Haspe. Der gesuchte Schütze hat sich offenbar in die Türkei abgesetzt. Jetzt werden weitere Hintergründe zum Verdächtigen und der Schießerei bekannt:
Neue Erkenntnisse im versuchten Doppelmord-Fall von Haspe: Am Steinplatz waren vor einem Monat zwei Männer (beide 40) auf offener Straße lebensgefährlich niedergestreckt worden. Inzwischen haben die Ermittler herausgefunden: Am Tatort fielen sechs Schüsse. Motiv war ein Eifersuchtsdrama um eine Frau. Der mittlerweile international gesuchte mutmaßliche Schütze befindet sich in der Türkei.
Er erkannte offenbar direkt nach der Schießerei, was ihm drohte und flog den Ermittlern im letzten Augenblick davon. Noch während in Hagen der Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wurde, saß Mehmet Sengül (23) bereits im sicheren Flieger nach Istanbul. Von dort wird er wohl nicht mehr zurückkehren. „Er besitzt eine doppelte Staatsangehörigkeit“, weiß der ermittelnde Staatsanwalt Lukas Franke. Für die Türkei gelte er deshalb als eigener Landsmann - und diese liefere man nicht aus.
Opfer erleiden schwerste Verletzungen
Der bisherige Ermittlungsstand: Am 9. Dezember, einem Samstag, ist es zwischen mehreren Beteiligten in Haspe zu einem Streit gekommen. Die Situation eskaliert - und wird gegen 14.20 Uhr durch Waffengewalt blutig beendet. „Sechs Schüsse sind gefallen“, bestätigt Staatsanwalt Franke. Der Tatort liege in unmittelbarer Nähe zu einem Kinderspielplatz. Im Kugelhagel werden zwei Männer getroffen, sie bleiben regungslos auf der Kurze Straße liegen. Schwer verletzt kommen die 40-Jährigen ins Krankenhaus, wo sie bis heute behandelt werden.
Die linken Oberschenkel haben nach mehreren Einschüssen Wunden, der Kopf, auf den mit einer Pistole wuchtig eingeschlagen wurde, ist noch immer von Mullbinden umwickelt. Eines der beiden Opfer, einen Mann aus Dahl, hat es besonders schlimm getroffen: In seiner Wirbelsäule steckt im Rückenmarkkanal ein Projektil fest. Folge ist eine motorische Querschnittlähmung.
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Keine zielführenden Hinweise
Trotz eines Aufrufs an die Bevölkerung hätte es keine konkreten Hinweise gegeben. „Es gab zwar welche“, bewertet es der ermittelnde Staatsanwalt, „aber nichts Zielführendes.“
Inzwischen ist das mögliche Tatmotiv durchgesickert: rasende Eifersucht. Es ging um eine Frau und um einen Seitensprung in einem Hotelzimmer. Die Streitigkeiten darüber waren eigentlich bereits beigelegt worden. Am Tattag entflammte der Zorn erneut. Die beiden späteren Opfer sind nach Haspe gefahren, um Mehmet Sengül nochmals zur Rede zu stellen. Einer stieg aus dem Fahrzeug aus, der andere wartete zunächst im Auto ab. Als es lauter wurde, stieg er ebenfalls aus dem Wagen, um die Streitigkeiten auf offener Straße zu schlichten. Plötzlich peitschten die sechs Schüsse.
23-Jähriger amüsiert sich über gelungene Flucht
Nach Informationen dieser Zeitung hat sich der Verdächtige direkt nach der Tat eines Fluchthelfers bedient. Mehmet Sengül zahlte diesem 1500 Euro und ließ sich mit dem Auto schnellstens ins Ausland chauffieren. Die 271 Kilometer lange Fahrt ging über die Niederlande nach Belgien, direkt zum Brüsseler Flughafen. Am Airport Zaventem hebt die Maschine nach Istanbul ab, ein erfolgreicher Flug in die Freiheit.
Die Mordkommission gehe davon aus, dass sich der Gesuchte derzeit in der Türkei aufhalte, aber man wisse nicht wo, erklärt Staatsanwalt Franke. Auf seinem Instagram-Account amüsiert sich Mehmet Sengül derweil über seine gelungene Flucht und beleidigt die Ermittler: „Ein Platz an der Sonne oder lebenslänglich, ihr Fotzen!!“
Gesuchter ist der Polizei gut bekannt
Der 23-Jährige ist der deutschen Polizei gut bekannt. Auch die Gerichte mussten sich oft mit ihm beschäftigen. Das Vorstrafenregister von Mehmet Sengül weist sieben Eintragungen auf: besonders schwere Diebstähle und immer wieder Körperverletzungen, für die er bereits als Jugendlicher in Arrest kam. Schließlich bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Dafür ging Sengül im Juni 2019 hinter Gitter. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Jugendstrafe von drei Jahren.
Nur wenige Tage vor der Bluttat, für die er jetzt gesucht wird, war er wieder mal angeklagt: In der Wohnung eines Freundes hätte er 19,26 Gramm Kokain gebunkert. Oder, vor einem Kiosk am Steinplatz, mit einem Klappmesser auf sein Gegenüber eingestochen. Die drei Anklagen wurden entweder abgetrennt oder gegen 600 Euro Geldbuße eingestellt. In diesem Strafverfahren trat ein türkischer Strafverteidiger aus Ostwestfalen für Mehmet Sengül auf. Genau dieser Anwalt hat sich jetzt bei der Staatsanwaltschaft Hagen gemeldet. Er beantragte Akteneinsicht für seinen in die Türkei geflohenen Mandanten. Mit uns wollte der Jurist nicht sprechen: „Dazu kann ich Ihnen keine Informationen geben“, teilte er schriftlich mit.
Einen Deal, dass der Tatverdächtige unter „gewissen Zugeständnissen“ nach Deutschland zurückkehren könnte, werde es auf keinen Fall geben, betont Staatsanwalt Lukas Franke auf Nachfrage: „Bei diesem Vorwurf, versuchter Mord in Tateinheit mit versuchtem Totschlag, ist das absolut unmöglich.“