Hohenlimburg. Schüler aus Hohenlimburg bekommen einen Tag frei - um Bäume im Wald zu pflanzen. Möglich macht das ein außergewöhnliches Schulfach:
Um den Grundstein für die Zukunft zu legen, braucht es eine Gartenschaufel. So hoch zumindest der ideelle Anspruch, den Schülerinnen und Schüler vom Gymnasium Hohenlimburg mit ihrer Pflanzaktion im Hagener Stadtwald verbinden. Eine Woche vor Weihnachten gab es deshalb nun einen Tag frei für die Zehntklässler, die das Fach „Nachhaltigkeit“ gewählt haben.
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Weißtannen pflanzen
Rund zwanzig Jugendliche stiefelten durch das nasskalte Unterholz im Fleyer Wald, nahe dem Hagener Polizeipräsidium, um dort mehr als zweihundert neue Weißtannen zu pflanzen. Denn hier soll neuer Mischwald entstehen, der sich in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten besser an den Klimawandel anpassen kann. Angeleitet von Thomas Jung, Fachbereich Grün beim Wirtschaftsbetrieb Hagen, und Silke Krüger vom Bildungszentrum Marienhof.
Klar, solche Fächer wie Mathe und Deutsch seien natürlich wichtig, sagt Sophia Proschwitz, die gerade mit der Schaufel ein Loch für ihren ersten Setzling gräbt. „Aber der Nachhaltigkeits-Kurs ist mal was Neues und wir haben damit auch Einfluss“, sagt die 15-Jährige. Die Nachrichten vom drohenden Klimakollaps nicht einfach hinnehmen, sondern mit Taten reagieren und dabei den normalen Schulalltag auch mal hinter sich lassen können - das kommt an.
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Neues Schulfach
Neuntklässler am Gymnasium konnten im vergangenen Jahr erstmals das Unterrichtsfach wählen und die Nachfrage war so groß, dass direkt zwei Kurse mit insgesamt 40 Schülerinnen und Schülern gefüllt wurden. Sophie Proschwitz und ihre Mitschüler, die neue Weißtannen in den Wald setzen, gehören zu dem ersten Kurs, der im Sommer 2022 für das neue Fach geschaffen wurde.
Nachhaltigkeit im Alltag
Sie haben sich mit klimafreundlicher Ernährung beschäftigt und dabei etwa Nuss-Nougat-Cremes ohne Palmöl getestet, haben die Mülltrennung an der Schule umgestellt und planen, die Flachdächer des Gymnasiums zu begrünen. Hier gebe es schon erste Kontakte mit der Stadt und die Signale sind vielversprechend. Für das kommende Frühjahr hat sich der Oberbürgermeister zum Besuch angekündigt, berichtet Kursleiterin Daniela Pfeil. Sie unterrichtet Erdkunde und Französisch am Gymnasium Hohenlimburg. Das neue Unterrichtsfach „Nachhaltigkeit“ hat sie maßgeblich entwickelt.
Ideen umsetzen
„Die Schüler sprühen vor Ideen“, freut sie sich, dass ihr Unterricht auf sprichwörtlich fruchtbaren Boden trifft. Denn mit dem Fach betrat sie vor eineinhalb Jahren neues Terrain. Anders als für „normale“ Fächer wie Englisch, Deutsch, Mathematik und Physik gibt es keinen Kernlehrplan des Schulministeriums NRW, der einen festen Rahmen für den Unterricht in Nachhaltigkeit setzt. Mit Leitplänen und Orientierungsrahmen des Ministeriums, der Kultusministerkonferenz und der Vereinten Nationen hat sie einen Lehrplan entwickelt. „Jede Schule kann diesen Lehrplan umsetzen“, sagt Pfeil.
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Ihr greifen die Leitlinien zur nachhaltigen Bildung des Schulministeriums NRW zu kurz, die das Thema Nachhaltigkeit auf verschiedene Schulfächer verteilt sehen. „In den Leitlinien steht, mit einem Fach ist es nicht getan. Das stimmt, aber zu glauben, ein bisschen hier, ein bisschen da, ein bisschen dort zu machen, das funktioniert leider auch nicht.“
Interesse groß
Drei Stunden pro Woche sind für das Fach Nachhaltigkeit angesetzt, dazu gibt es zwei Klassenarbeiten pro Halbjahr und Ausflüge, wie nun zum Baumpflanzen in den Flyer Wald. Die Zeit musste sich Pfeil im eng gestrickten Lehrplan eines Gymnasiums erst erkämpfen. Heute, eineinhalb Jahre nach der ersten Unterrichtsstunde, ist sie überzeugt, dass sich die Arbeit gelohnt hat: „Im ersten Jahr hatten wir 40 Schüler in den Kursen, im zweiten Jahr waren es schon 60 Schüler“, merkt sie steigendes Interesse. Auch andere Schulen hätten bereits angefragt, wie sie das neue Fach „Nachhaltigkeit“ etabliert hat.
Wichtig sei ihr, dass sich die Schüler in dem Fach ausprobieren können, wo und wie viel Verzicht in ihrem eigenen Leben möglich ist. Nicht jeder aus ihrem Kurs soll Veganer und Klimaaktivist werden - und einen Lebensweg vorschreiben, das werde sie nie. „Dogmatisches funktioniert nicht“, sagt Pfeil.
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Alltag ändern
Ihre Schülerinnen und Schüler haben derweil schon Schlüsse für ihr eigenes Leben gezogen: „Wir haben bei einer Aktion mal Bienenwachstücher selbst gemacht, die sind wiederverwertbar und ersetzen zum Beispiel Alufolie“, sagt Schülerin Sophie Proschwitz. „Diese Tücher nutze ich teilweise nun auch zuhause.“ Man müsse nicht gleich den Alltag komplett umstellen, meint Mitschülerin Zara Dogan, sondern könne auch kleine Schritte machen. Essensreste zu vermeidern und im Haushalt weniger Strom zu verbrauchen, das koste wenig Aufwand. Auch Kleidung gebraucht zu kaufen, auf dem Flohmarkt oder auf Online-Plattformen, das kann sich lohnen.“ Ihr Fach „Nachhaltigkeit“ hätten sie derweil gerne auch als Abiturfach, sagen sie. „Aber das geht leider nicht.“