Hagen. Nach der Messerattacke an der Hagener Hildegardis-Schule ist ein Urteil gefällt worden – deutlich niedriger als die Anklage gefordert hatte.

Der Hildegardis-Schüler (inzwischen 18), der zwei Mitschüler (17 und 18) mit einem Messer blutig attackiert hat: Um 11.12 Uhr stieg er am Freitagvormittag in Hagen lächelnd in den weißen Mercedes seines Verteidigers. Nach 233 Tagen in Untersuchungshaft ist er wieder auf freiem Fuß. Die ursprüngliche Anklage wegen zweifachen versuchten Mordes wurde von der 2. Jugendstrafkammer des Landgerichts im Urteil auf gefährliche Körperverletzung herabgestuft.

Die Entscheidung, von der die Öffentlichkeit aus Jugendschutzgründen nichts erfahren sollte, verkündete Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen hinter verschlossen Türen. Sie lautete auf eine dreijährige Jugendstrafe. Bis zum Strafantritt wurde zudem der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Oberstaatsanwalt Bernd Haldorn hatte vier Jahre Gefängnis wegen versuchten Totschlags gefordert. Weil der angeklagte Schüler zum Tatzeitpunkt erst 17 Jahre alt war, war die gesamte Verhandlung nicht öffentlich. Selbst die Mutter des schwerverletzten Opfers durfte nicht in den Saal. Sie stand während der Urteilsverkündung weinend auf dem Gerichtsflur.

Großräumig hatte die Polizei im Februar den Bereich rund um den Tatort abgeschirmt.
Großräumig hatte die Polizei im Februar den Bereich rund um den Tatort abgeschirmt. © Alex Talash

Rückblende: Mittwoch, 8. Februar. Für das katholische Gymnasium an der Zehlendorfer Straße kein Tag wie jeder andere. Eine Mordkommission ermittelt auf ihrem Gelände, was sich an diesem Mittwoch gegen 13.50 Uhr im Funckepark, direkt neben dem Schulgebäude, abgespielt hatte. Dort waren vier männliche Oberstufenschüler zusammengetroffen. Grund war ein vorausgegangener Streit mit Beleidigungen wie „Hurensohn“ und „Bastard“. Als die jungen Männer bereits Frieden geschlossen hatten, geschah überraschend die lebensgefährliche Attacke.

Mit Notoperation gerettet

Im Bereich der Treppe zum Märkischen Ring stach der Angeklagte mit einem Messer dreimal auf den Kopf eines Mitschülers (18) ein. Die 7,2 Zentimeter lange Klinge drang direkt ins Hirn. Ein weiterer Mitschüler erlitt Schnittwunden am Arm. Der Schwerverletzte wurde im Allgemeinen Krankenhaus erstversorgt und im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke notoperiert. Die Ärzte setzten ihm eine Titanplatte in die Schädeldecke ein. Vier Wochen dauerte der stationäre Aufenthalt.

Am Tattag hatte ein Großaufgebot der Polizei das Hildegardis-Gymnasium umstellt. In der Schultoilette konnten zunächst zwei Tatverdächtige, die sich dort versteckt hatten, festgenommen werden. Nur der jetzt Verurteilte blieb tatverdächtig und kam in Untersuchungshaft, wo er bis gestern fast acht Monate lang einsaß.

Gericht: Rücktritt vom Versuch

Das Tatmesser konnte sichergestellt werden. Warum er es damals bei sich trug? Auf der Anklagebank hatte der Schüler dazu erklärt: „In der Schulkantine gibt es kein Besteck.“ Ein Gutachter hatte dem jungen Angeklagten im Verfahren „Depressionen“ bescheinigt. Weil er nach dem dritten Stich in den Kopf des Mitschülers nicht noch weiter zugestochen hatte, sondern stattdessen das Messer zugeklappt hatte, ging das Gericht in seinem Urteil zugunsten des Angeklagten von einem „Rücktritt vom Versuch“ aus.

Der Fall hatte seinerzeit aufgrund der Brutalität und Rücksichtslosigkeit für großes öffentliches Aufsehen gesorgt. Dennoch sollte aus der geschlossenen Verhandlung nichts an die Öffentlichkeit dringen. Begründung: Jugendschutz. Das einzige offizielle Statement vom Landgericht lautete deshalb gestern: „Es ist ein Urteil gesprochen worden. Mehr sagen wir dazu nicht.“ Die Eltern des jungen Opfers reagierten fassungslos: „Dieses Urteil macht uns wütend. Es ist ein völlig falsches Signal.“