Hagen. Worüber sprechen Sterbende? Wie begleitet man sie? Zwei Ehrenamtliche vom ambulanten Hospizdienst der Caritas in Hagen erzählen.
Im Moment des Todes, sagt Dagmar Neander (70), sei sie selten dabei. Das seien die Augenblicke, die meistens die Familie abdecke. Intimität. Zurückgezogenheit. Ruhe. Dagmar Neander begleitet Menschen auf ihren letzten Lebensmetern hin zum Sterben. Sie ist Teil des ehrenamtlichen Teams des ambulanten Hospizdienstes der Caritas in Hagen. Eine Tätigkeit, die neben aller Trauer ein großes Geschenk sein kann. Für den Sterbenden. Und für den Begleiter.
Früher, in ihrem Berufsleben, da war Dagmar Neander in einem Einkaufsverband tätig. Als sie dort ihren Job verlor, fasste sie den Entschluss, frei werdende Zeit einer wertvollen Sache zu widmen: Menschen. „Ich wollte mich einbringen, ich spürte, dass es für mich an der Zeit ist, ehrenamtlich tätig zu sein.“ So kam Dagmar Neander zum ambulanten Hospizdienst. Als Ansprechpartner bietet der Dienst Beratung und Unterstützung bei Ängsten und Problemen. Er will Hoffnung geben und Mut bei Schmerz und Trauer. Die Bedürfnisse und Wünsche der Betroffenen stehen im Vordergrund.
Niemand weiß, wie es ist, zu sterben
Das Paradoxe an der Tätigkeit ist, dass niemand weiß, wie es ist, zu sterben. Wie es ist, loszulassen. Zu gehen. Für immer. Aber wenn man Dagmar Neander so zuhört, dann ist das auch nicht das, worauf es ankommt. „Es geht um Offenheit, um Zuhören, um einfaches Begleiten. Bei den Treffen mit den Betroffenen entsteht diese große Offenheit, wenn mir das Leben erzählt wird. Ich empfinde das oft als ein Geschenk.“
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Kommt der Tod in die eigene Familie, dann kann – so beschreibt es Dagmar Neander – da nie die natürliche Distanz und nicht immer der offene Raum sein, den manch Sterbender sich wünscht. Beziehungen, große Emotionen, gemeinsame Geschichte – all das raubt Angehörigen jede Objektivität. „Ich komme nicht zum Kaffee“, sagt Dagmar Neander. „Die Person ist der Herr der Lage. Sie entscheidet, wie wir die Zeit nutzen.“
Erste Begleitung ein Schlüsselmoment
In ihrer ersten Begleitung erlebte Dagmar Neander gleich einen Schlüsselmoment. „Die Person riet mir: „Leben Sie jetzt. Ich habe beispielsweise mein Leben lang gespart und zugesehen, dass das Geld zusammenbleibt. Jetzt liege ich hier mit dem Ersparten und sterbe.“ „Angesichts der Endlichkeit wird einem bewusst, wie wichtig die Lebensmomente sind“, sagt Dagmar Neander. Ist jeder Konflikt wirklich immer so groß wie wir denken? Ist jeder Streit immer das Ende von Beziehungen?
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Beziehungsabbrüche seien manchmal ein Thema bei Sterbenden. Der Wunsch nach Versöhnung sei dann groß. „Das ist nichts, was wir Begleiter inszenieren können und in das wir uns einmischen. Wir können da nur zuhören.“ Manche gehen gerne noch in die Stadt. Andere wollen Fotoalben durchblättern, wiederum andere das gewöhnliche Gespräch führen. Die letzten Lebensmeter sind oft kein Melodram, sie sind voller Menschlichkeit und oft auch voller Normalität. „Das ist, was dieses Ehrenamt so besonders macht. Man braucht keine Angst vor diesen Momenten zu haben. Sie sind, obwohl das Ende nah ist, einfach das Leben.“
Begleitung half auch im Privatleben
Dagmar Neander hat auch in ihrem eigenen Leben von ihrem Wirken im ambulanten Hospizdienst profitiert. Ihr Schwiegervater verstarb vor ihren Augen. Sie hielt ihre sterbende Schwester im Arm. Sie hielt ihren Mann an den Händen, als dieser nach 40 gemeinsamen Ehejahren starb. „Wir waren uns nie so nah wie in unserem letzten Jahr.“ Sie haben viel gesprochen, reflektiert, Zeit miteinander verbracht.
Die Sterbenden, die Dagmar Neander begleitet, sind oft um die 50 Jahre alt. Aber auch älter. Die Beisetzungen seien auch für Dagmar Neander wie Abschiedsrituale. Caritas bedeutet sinngemäß hingebende Liebe. Für Dagmar Neander ist es genau das. Sich jemandem hinzugeben. In einem wertschätzenden, begleitenden Sinne.
Begleitung von betroffenen Geschwisterkindern
Den anderen Pol der Arbeit im ambulanten Hospizdienst bildet Dagmar Neanders Kollegin Vanessa Hannig. Die beiden Frauen verbindet, dass Dagmar Neander aktuell Vanessa Hannings Mutter begleitet, die schwer erkrankt ist und sich mit der ehrenamtlichen Hospizbegleiterin an ihrer Seite sehr wohl fühlt. „Den Grundstein für dieses Ehrenamt hat bei mir eigentlich mein Vater gelegt“, sagt Vanessa Hanning. Als er starb, verfügte er, dass die Spenden zu seinem Tod an den Kinder- und Jugendhospizdienst Sternentreppe gegeben werden sollte. „Mich hat interessiert, wofür genau er da spenden wollte und bin der Sache nachgegangen“, sagt Vanessa Hanning. Ihre ehrenamtliche Tätigkeit begann dadurch.
Vannessa Hanning ist für die Sternentreppe tätig. „Das ist keine Sterbe-, sondern eine Lebensbegleitung. Ich begleite Geschwisterkinder von sterbenden Kindern.“ Ein hochsensibles Feld. Vanessa Hannig ist an der Seite der Familien, begleitet alltagspraktisch, hat immer ein offenes Ohr für Kinder und Eltern und sorgt für schöne Momente, die den oftmals sorgenreichen Familienalltag ein wenig aufheitern.