Hohenlimburg. Der Hohenlimburger Timon heuert nach dem Studium auf einem Kreuzfahrtschiff an. Er lebt und arbeitet an Bord – und will es nicht missen:
Der Hohenlimburger Timon Colonna hat gerade seinen Bachelor in Architektur in der Tasche, da heuerte er auf einem Kreuzfahrtschiff der Tui-Flotte an. Warum der 23-Jährige seine erste eigene Wohnung auf dem Mannschaftsdeck eines Schiffes bezieht, wie der Alltag an Bord aussieht und was er über Kreuzfahrten als Klimakiller denkt:
Wir sprechen über Telefon, wo erreichen wir dich gerade?
Mitten auf See. Gestern waren wir in Stockholm, morgen legen wir in Rostock an, also sind wir irgendwo zwischen Schweden und Deutschland. Ich bin auf dem Crewdeck und sehe vor mir nur weites Meer.
Wie lange bist du schon auf dem Schiff?
Inzwischen sind es fünf Monate.
Du warst unterwegs in Fjorden in Norwegen, am Nordkapp, in Schweden, Estland und Finnland. Schon die ersten Stürme auf See erlebt?
Bisher war es okay. Das Heftigste waren die Nordkapp-Reisen, so weit oben am nördlichsten Ende Europas ist die See schon rauer. Aber einen schweren Sturm hatten wir noch nicht. Wenn man länger an Bord ist, gewöhnt man sich auch schnell an den Seegang.
Wie muss man sich das Zusammenleben in der Crew vorstellen?
Außerhalb des Gästebereichs ist die offizielle Bordsprache Englisch. Es ist so, dass man an Bord eine große Familie wird. Gleichwohl besteht die Crew aus mehr als 1000 Personen, da kennt man nicht jeden persönlich. Jeder hat seine Gruppe, man ist in „Departments“ unter sich. Ich gehöre zu den Ausflugsexperten, wir haben viel Gästekontakt und meine Kollegen sind auch deutschsprachig. Aber der Großteil der Crew kommt aus Indonesien und den Philippinen. Wir teilen uns einen Crewbereich, wohnen nebeneinander. So lernt man viele Leute kennen. Spätestens, wenn wir abends in der Crewbar sitzen.
Wer auf Kreuzfahrt war, der kennt das: Vor Gästekabinen liegt schicker Teppichboden, verirrt man sich in den Crewbereich, wechselt der Boden in kahles Vinyl. Fühlt man sich da wohl?
Also der große Kronleuchter hängt bei uns nicht (lacht). Aber es wird viel Wert darauf gelegt, dass sich auch die Crew wohlfühlt. Ich liege gerade in der Hängematte auf dem Crewdeck. Wir haben einen Chill-Bereich, ein großes Wohnzimmer, wo man im Sessel entspannen kann – und dort liegt auch Teppich. Wir wohnen in einzelnen Kabinen mit schönen Holzmöbeln. Ja, die Flure sehen karg aus, aber es gibt auch im Crewbereich schöne Areale. Es ist nicht so, dass man sich fühlt, als wohne man im Keller – obwohl der Bereich baulich im Schiff so liegt.
Wie sieht dein Alltag aus?
Wir sind für die Landausflüge der Gäste zuständig, deshalb sind für uns die Hafentage deutlich stressiger als die Seetage. Am Hafentag sind wir die Ersten, die von Bord gehen. Wir begleiten die Ausflüge, schauen, dass Reisebusse und Tourguides in den Häfen bereit stehen, alle pünktlich losfahren und idealerweise am Ende des Tages wieder gesund zum Schiff zurückkommen.
Wie lange geht so ein Arbeitstag?
Je nach Liegezeit im Hafen können da schon zehn Stunden zusammen kommen. Nun kann man fragen, ist das mit den Ausflügen mehr Arbeit oder Vergnügen ist? Ich finde, es ist eine Mischung. Und so stressig die Hafentage sind, so ruhig sind dagegen die Seetage. Da machen wir nur Ausflugsberatung und Büroarbeit. So gleicht sich das aus.
Du bist 23 Jahre alt. Wie lange willst du diesen Job machen?
Erstmal bin ich noch bis Mitte Oktober an Bord. Die Arbeitsverträge gehen meist vier bis sechs Monate. Es ist mein erster Vertrag und der geht sechs Monate. Das ist häufig so, damit man genug Zeit hat, um sich an Bord einzuleben und die Routen ein paar Mal wiederholt hat. So kennt man sich aus und kann die Gäste gut beraten. Viele machen während des ersten Vertrages direkt den nächsten. Beim zweiten Vertrag kann man dann auch Wünsche äußern, wo man gerne hinreisen würde. Ich habe meinen zweiten Vertrag schon gemacht, zwei Monate durch die Kanaren, wieder auf diesem Schiff. Im Februar geht es los.
Viel Zeit dazwischen...
Ja, aber die Zeit braucht man auch. Wir arbeiten hier sieben Tage die Woche, acht bis zehn Stunden am Tag, leben immer unter Leuten. Danach braucht man eine Pause. Die Meisten machen mindestens drei Monate Pause, weil es sonst zu stressig wird. Ich habe nun noch einen Monat an Bord. Es macht viel Spaß, aber langsam freue ich mich auf zuhause. Für Heimweh bleibt an Bord aber wenig Zeit.
Nun gehörst du zur Generation „Fridays for future“ und Kreuzfahrten sollten euch angesichts ihrer Klimabilanz Bauchschmerzen bereiten. Wie denkst du darüber?
Das ist ein Thema, worüber sich vorher viele von uns Gedanken machen. Es ist ein Kompromiss und man muss die eigenen Prinzipien ein bisschen runterschlucken. Andererseits wird aber auf dem Schiff viel getan für den Umweltschutz. Es ist nicht so, als wäre das allen egal. Die oberste Regel heißt: Es geht kein Müll über Bord, alles wird recycelt. Es wird versucht, dass nicht enorme Mengen Essen übrig bleiben. Sie machen das Beste zutun, was man im Rahmen der Möglichkeiten machen kann. Aber klar, es bleibt letztlich ein Kreuzfahrtschiff.
Wie geht es bei dir weiter?
Ich habe letztes Jahr im September mein Bachelorstudium in Architektur im Städtebau abgeschlossen und war danach in der Schwebe. Das hat auch mit meiner Generation zutun, denk ich. Wir sind früh mit Studium und Ausbildung fertig und wissen nicht genau, wohin. Da bietet sich die Arbeit an Bord eines Schiffes an. Wir haben im Team eine bunte Mischung: Kita-Betreuer, Leute aus der Touristikbranche, Krankenschwestern… Alles Leute, die ein bisschen Abenteuer brauchen vor dem normalen Arbeitsalltag.
Möchtest du beruflich in der Branche bleiben?
Ich weiß, dass ich im nächsten Jahr noch drei Monate durch die Kanaren fahren werde. Vielleicht heuere ich dann wieder an und fahre nach Asien und Mittelamerika? Vielleicht höre ich auf und studiere weiter im Master Architektur.? Schauen wir mal. Hieran Bord sagt man, das Schiff ist eine Auffangstation für Leute, die mal eine Pause vom Alltag wollen und diejenigen, die noch nicht wissen, wo sie im Leben hinmöchten. Es ist eine riesige Möglichkeit. Wir kommen viel rum, sehen viel von der Welt. In den letzten drei Wochen war ich in sechs Ländern, in denen ich vorher nie war. Es ist reizvoll, dafür bezahlt zu werden, an Bord zu arbeiten und mit dem Schiff die Welt zu erkunden. Ich möchte das nicht missen.