Hagen. Müssen die Hagener sich auf eine schmerzhafte Steuererhöhung gefasst machen? Im Haushalt 2024/25 drohen Löcher in zweistelliger Millionenhöhe.
Die finanziellen Hiobsbotschaften für die Hagener reißen nicht: Kämmerer Christoph Gerbersmann stimmt die Bürger mit Blick auf die Finanzplanung 2024/25 auf erneute, drastische Einschnitte ein: „Wir stehen vor einer dramatischen Haushaltslage“, nennt er zwar noch keine konkreten Zahlen. Doch das drohende Jahresminus dürfte sich deutlich im zweistelligen Millionenbereich bewegen.
Abstottern über Generationen
Die während der Corona-Pandemie 2020 eingeführte und mit dem Haushaltsjahr 2023 auf Belastungen infolge des Kriegs gegen die Ukraine ausgeweitete Bilanzierungshilfe (Gesetz zur Isolierung der aus der COVID-19-Pandemie und dem Krieg gegen die Ukraine folgenden Belastungen der kommunalen Haushalte im Land Nordrhein Westfalen / NKF-CUIG) wurde als vorübergehende Ausnahme von den Regeln des kommunalen Haushaltsrechts konzipiert.
Damit wurden krisenbedingte Einnahmeausfälle (beispielsweise bei Steuern oder Gebühren) und Mehraufwendungen (zum Beispiel Energiekosten oder höhere Sozialkosten infolge eines erwarteten Wirtschaftseinbruchs) aufgefangen, die aufgrund der Corona-Pandemie bzw. des Krieges gegen die Ukraine entstehen. So wurde allen Städten und Gemeinden eine Planungsgrundlage für einen genehmigungsfähigen Kommunalhaushalt gegeben, um die Handlungsfähigkeit der Kommunen in dieser besonders krisenhaften Zeit aufrechtzuerhalten.
Diese Belastungen werden in einer Nebenrechnung des Haushaltes separiert (Isolierung) und einem fiktiven Anlagevermögen auf der Aktiv-Seite der Bilanz gegenübergestellt. Dieses muss ab 2026 über maximal 50 Jahre abgeschrieben werden. Mit Beginn dieser Abschreibung wird die Bilanzierungshilfe also zukünftige Haushalte jährlich in Höhe der vorzunehmenden Abschreibungen belasten.
Mithilfe der Bilanzierungshilfe konnten inmitten der Corona- und Energiekrise, deren weiterer Verlauf bis zum vergangenen Winter kaum absehbar war, die Genehmigungsfähigkeit der kommunalen Haushalte und damit die Handlungsfähigkeit der Städte kurzfristig gesichert werden. Gleichwohl werden strukturelle Probleme mit der Bilanzierungshilfe nicht gelöst, sondern die Belastungen des Haushalts durch die Abschreibungen auf zukünftige Jahre und Generationen verschoben.
Vor diesem Hintergrund wird der Verwaltungsvorstand mit der Vorlage des anstehenden Doppelhaushaltes ein weiteres Haushaltssicherungskonzept (HSK) vorlegen, um das Minus durch tiefe Spareinschnitte auszugleichen. „Es wird ein substanzielles HSK geben, also mit tiefgreifenden und deutlich schärferen Maßnahmen als zuletzt“, kündigt der Finanzdezernent an, dass im Rahmen einer Klausurtagung noch einmal sämtliche Positionen des Haushalts durchleuchtet werden sollen. „Wir müssen klar definieren, was wir noch können und was wir uns noch leisten wollen“, möchte Gerbersmann zurzeit lediglich bei den Investitionen in Kitas und Schulen keine Abstriche machen. Dabei schließt er auch Einnahmeverbesserungen nicht aus. Im Klartext: Über den Hagenern schwebt ab sofort wieder einmal das Damoklesschwert weiterer Gebühren- und Steuererhöhungen.
Nach 2023 kommt das große Loch
Dabei scheint es dem 58-Jährigen in diesem Jahr durchaus noch einmal zu gelingen, die finanziellen Enden aneinander zu bringen – vielleicht springt beim Jahresergebnis 2023 sogar ein knappes Million-Plus heraus. Doch bei der Zusammenstellungen des Zahlenwerks 2024/25 kristallisierte sich bei der Addition der Finanzwünsche aus den Fachbereichen und Ämtern schnell heraus, dass Hagen ein hoher zweistelliger Millionenbetrag fehlen wird. Wesentliche Gründe dafür sind der Wegfall der Bilanzierungshilfen (siehe Infobox), stetig wachsende Zinsbelastungen und nach den jüngsten Tarifabschlüssen rasant steigende Personalkosten.
Das aktuelle Minus bei den Liquiditätskrediten (städtischer Dispo) stand Ende August bei 863 Millionen Euro, hinzu kommen noch einmal 59 Millionen Euro an Investitionskrediten. Aufgrund der schrittweise auslaufenden langfristigen Zinsbindungen auf deutlich günstigerem Niveau werden die Zahlungen an die Banken künftig deutlich anziehen.
Aktuell profitiert Hagen noch von einem Gewerbesteuerüberschuss (+19 Mio.), deutlich höheren Schlüsselzuweisungen vom Land (+15,5 Mio.) sowie verbesserten allgemeinen Zuweisungen aus Düsseldorf (+5,1 Mio.). Doch diese Einmaleffekte lassen sich auf den Doppelhaushalt 2024/25 nicht hochrechnen: Es drohen Gewerbesteuereinbrüche, die Schlüsselzuweisungen des Landes werden geringer ausfallen und allein die Umlage für den Landschaftsverband Westfalen-Lippe steigt um sechs Millionen Euro. Zudem müssen künftig die Mehrbelastungen beispielsweise durch den Ukraine-Krieg komplett vom laufenden Etat mitgetragen werden müssen: „Der Wegfall der Bilanzierungshilfe wird die Ergebnissituation erheblich verschärfen“, nennt der Finanzdezernent Gerbersmann auch in seinem aktuellen Controllingbericht keine konkreten Zahlen.
Scharfe Kritik in Richtung Berlin
Scharfe Kritik richtet der Kämmerer erneut in Richtung Berlin – allerdings diesmal nicht bloß wegen einer fehlenden Altschulden-Lösung, die weiter auf sich warten lässt: „Das sogenannte Wachstumschancengesetz ist zwar mit 7 Milliarden Euro ausgestattet, allerdings gehen laut Regierungsentwurf der Bundesregierung davon 3 Milliarden Euro auf Kosten der Städte und Gemeinden. Dies ist ein Entwicklungsvernichtungsgesetz für die Kommunen.“ Entsprechend forderten in der jüngsten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses Sprecher aller Parteien, hier mit Hilfe der Hagener Abgeordneten in Bund und Land den Protest zu bündeln. „Wir dürfen hier nicht sehenden Auges in die Katastrophe laufen“, so CDU-Fraktionschef Jörg Klepper.
Vor dem Hintergrund dieser brisanten Lage wird der Doppeletat 2024/25 mitsamt einem neuen HSK voraussichtlich erst im Dezember der Politik vorgelegt, die somit erst im April oder Mai darüber entscheiden dürfte. Eine Genehmigung des Haushalts durch die Bezirksregierung in Arnsberg ist kaum vor der Sommerpause 2024 zu erwarten. Bis dahin regiert die Übergangswirtschaft, also der Stillstand – in dieser Phase dürfen in Hagen keine neuen Projekte gestartet werden.