Hagen. Seit 120 Jahren gibt es die Bahnhofsmission am Hauptbahnhof Hagen. Wie Menschen zwischen den Gleisen 8 und 10 geholfen wird.
Er blickt kurz aus dem Fenster. Bremsen quietschen schrill. Ein Regionalzug hält auf dem Gleis gegenüber. Dann ein erster Schluck. „Die Menschen hier kennen meine Geschichte“, sagt Jürgen Molitor. „Wenn man nicht so viel hat wie ich, dann freut man sich über eine warme Tasse Kaffee.“
Eigentlich steckt in diesen beiden Sätzen so viel, das die Bahnhofsmission des Diakonischen Werks Mark-Ruhr in Hagen im Jahr 120 ihres Bestehens beschreibt: Menschen vorübergehend Schutz schenken, sich zu ihnen setzen für ein gutes Gespräch, sie ernst nehmen, ihnen ein Stück Würde geben.
Viele Stammgäste in der Bahnhofsmission
Molitor, ein Mann, der nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens gestanden hat und der es mag, mit seinem Sozialticket auf Reisen durch NRW zu gehen, kommt immer wieder hierher. „Dreimal die Woche bestimmt“, sagt er. Und damit zählt er quasi zu jenen Stammgästen, die zumindest einen Teil der Gäste zwischen den Gleisen 8 und 10 am Hagener Hauptbahnhof ausmachen. „Ich wohne in der Nähe. Hab’s nicht weit. Hier kann man sich gut unterhalten.“
15.000 Kontakte zählt die Einrichtung der Diakonie Mark-Ruhr pro Jahr. Die Besuche von Jürgen Molitor machen da nur einen ganz geringen Teil aus. Reisende kommen, die auf Züge warten. Gestrandete, die nicht mehr weiter wissen. Mütter, die mal eben einen Raum brauchen, um ihr Baby zu wickeln. Oder Menschen aus Hagen und Umgebung, denen es gut tut, dass ihnen einfach mal jemand zuhört.
Ehrenamtliche gehen mit auf Reisen
Dieter Bress, einst beschäftigt bei der IKK-Akademie, ist so ein jemand. Seit drei Jahren ist der Mann, der in Finnentrop wohnt, früher gern bei der Deutschen Bahn gearbeitet hätte und nun mit dem Zug zur Bahnhofsmission kommt, Rentner. „Ich habe einen sinnvollen Bereich gesucht, um mich ehrenamtlich zu engagieren“, sagt er und lächelt. „Das hier hat ja zumindest im weiteren Sinne etwas mit Eisenbahn zu tun.“
Bremsen quietschen schrill. Züge fahren vor und wieder ab. Und manchmal steigen die Ehrenamtlichen in ihren blauen Westen mit ein. Reisebegleitung heißt das. Für Menschen, die alleine nicht so gut zurecht kommen. Oder für Menschen, die Angst davor haben, in einen Zug einzusteigen. „Wir machen uns immer wieder auch auf den Weg“, erzählt Dieter Bress, „wir streifen über die Bahnsteige und durch die Bahnhofshalle.“ Präsenzdienst nennen die Ehrenamtlichen das. Immer wieder würden sie dann gezielt angesprochen. Aber vielen, die Hilfe bräuchten, sehe man das auch an.
Zuhälter warteten am Bahnhof
Am 22. März 1903 wird die Bahnhofsmission zum ersten Mal erwähnt. „Es war eine Zeit, in der viele junge Frauen vom Land in die Städte gezogen sind“, sagt Ilona Ladwig-Henning, Leiterin von Bahnhofsmission und Luthers Waschsalon, einer Einrichtung an der Körnerstraße, in der Menschen eine Waschmöglichkeit und eine Mahlzeit erhalten. „Am den Bahnhöfen warteten damals Zuhälter, die die Frauen mit falschen Versprechungen lockten.“
Es waren Kirchenvertreter, die das Elend beobachteten und schließlich beschlossen, dass dem Einhalt zu gebieten sei. „Sie haben Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen, Arbeitsplätze organisiert“, sagt Ilona Ladwig-Helling. 100 Bahnhofsmissionen entstehen im Laufe der Jahre bundesweit.
14 Ehrenamtliche engagieren sich
Einrichtungen, die sich – wie die in Hagen – an keine spezifische Zielgruppe wenden. „Wir wollen soziale Härten mindern und Mobilität aufrechterhalten“, beschreibt Ilona Ladwig-Helling eine für soziale Einrichtungen wohl einzigartige Kombination. Und sie sagt auch: „Es gibt Menschen, die schon seit Jahren zu uns kommen – immer wieder.“
Menschen, deren Dankbarkeit der Antrieb für die 14 Ehrenamtlichen ist, die sich in der Bahnhofsmission Hagen engagieren. „Wenn wir uns mit einem Lächeln voneinander verabschieden“, sagt Dieter Bresse, „dann haben wir die Gewissheit, dass wir ihr Leben ein kleines Stück lebenswerter gemacht haben.“
Es ist der Moment, in dem Jürgen Molitor sich am Tisch vorne im Gastraum erhebt. Er geht. Und er lächelt.