Hagen. Ein wichtiger Job: Hebamme Sandra de Vries half etlichen Kindern im Storchennest auf die Welt. Geburten sind dort jetzt nicht mehr möglich.
Schöne, helle Räume, Kerzen für eine gemütliche und beruhigende Atmosphäre und eine Wand voller Dankeskarten und Bildern von Babys. Das Geburtshaus Storchennest in Haspe um Hebamme Sandra de Vries hat über die Jahre unzählige Geburten gesehen – doch nun wohl zum letzten Mal.
1992 haben die Hebammen Sandra de Vries und ihre Mutter das Storchennest eröffnet. „Das war so ein Traum, aber wir wussten nicht ,tut sich hier was?’“, erinnert sich de Vries. Doch die Sorge stellte sich schnell als unbegründet heraus. „Wir hatten immer reichlich zutun.“
Als Hebammen betreuen sie die Frauen über die komplette Schwangerschaftszeit hinweg, so de Vries. Sie bieten nicht nur Kurse für die schwangere Frau an, sondern befassen sich vor allem mit der Vor- und Nachsorge der Frauen und Babys.
„Eine Hebamme ist gleichberechtigt mit einem Gynäkologen. Wir dürfen auch Vorsorgeuntersuchungen machen. Und für einen Ultraschall haben wir unsere Hände, dann wissen wir auch, wie das Kind liegt.“ Nur hat sie als Hebamme das Glück, sich mehr Zeit für die Frauen nehmen zu können. Aber auch nach der Geburt ist sie als Hebamme für die Frauen und das Kind zu erreichen. „Wir machen auch die Wochenbettbetreuung bei den Frauen Zuhause, da gucken wir nach dem Baby und nach der Mutter“, erklärt die 53-Jährige einen weiteren großen Teil ihrer Arbeit. Doch natürlich ist „die Geburt die Kernaufgabe der Hebamme“, weiß de Vries.
Mehrere tausend Kinder
Bis Anfang des Jahres haben sie auch im Storchennest Geburten durchgeführt – ein Service, den sie jetzt nicht mehr anbieten kann. „Die Entscheidung war echt schwierig“, doch da ihre Mutter, mit der sie sonst die Geburten zu zweit betreut hat, in den Ruhestand gegangen ist und sie keinen Ersatz gefunden hat, musste sie sich letztendlich für diesen Schritt entscheiden. „Wir haben alle Fühler ausgestreckt“, hat de Vries versucht, auch weiterhin Geburten anbieten zu können, aber heutzutage seien Hebammen viel gesucht.
Hebammen gesucht
Da Hebammen in den Kliniken überlastet seien, wie de Vries immer wieder hört, und man sich als außerklinische Hebamme selbst versichern muss – eine Versicherung, die mit mehreren tausend Euro im Jahr sehr hoch ist –, stelle sich die Suche nach einer neuen Hebamme als schwierig heraus. „Viele Hebammen hören auf, gehen in andere Berufe oder werden Mütter“, erzählt de Vries. Dabei ist der Beruf selbst sehr wichtig, gilt in Deutschland doch die Hinzuziehungspflicht, die besagt, dass eine Hebamme bei einer Geburt anwesend sein muss.
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„Früher hatten wir teilweise zwei oder drei Hebammen angestellt. Da gab’s das noch“, erinnert sie sich zurück. Und sie haben viele Geburten betreut, vielen Kindern auf die Welt geholfen. Die genaue Zahl wisse de Vries aber nicht: „Es waren knapp 100 Geburten pro Jahr“, kann sie nur schätzen.
Rund um die Uhr
„Es fällt jetzt auch ein kleiner Druck weg, auch wenn es natürlich schade ist, dass wir keine Geburten mehr anbieten“, sieht die Hebamme beide Seiten der Medaille. „Ich hatte gar nicht mehr geregelt frei“, erinnert sich de Vries. Über ihr Handy war und ist sie auch weiterhin rund um die Uhr erreichbar – ein Service, der immer noch reichlich genutzt wird; so klingelt ihr Telefon während des Gesprächs immer mal wieder. „Ich hatte eigentlich immer Bereitschaft“, sagt die Hebamme. Schließlich kommt ein Kind bekanntlich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf die Welt. Doch auch wenn sie nachts nicht mehr für Geburten raus muss, ist sie dennoch für ihre Kunden da: „Es kommt immer wieder vor, dass die Frauen anrufen, weil sie da ein paar Fragen haben. Es sind all die kleinen Fragen, die nach der Geburt dann kommen“, lächelt sie.
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Viele Anfragen – zu wenig Zeit
Das Storchennest habe immer gleichbleibend viele Anfragen und müsse auch schon einmal Frauen ablehnen. Vor allem wohl auch, weil sie, so de Vries, innerhalb Hagens die einzige außerklinische Wahlmöglichkeit für werdende Mütter waren. „Wir waren die einzige Alternative, leider ist das so.“ Da Sandra de Vries mittlerweile alleine im Storchennest ist, kann sie nur noch weniger Frauen betreuen und annehmen. Früher hätten sie auch Frauen von weiter weg betreut. Für Geburten sind die jungen Familien teilweise aus Bochum oder Halver angefahren. „Jetzt muss ich gucken, wen ich annehmen kann. Ich muss die Runde ja auch fahren“, besucht de Vries die Frauen zudem in ihrem Zuhause.
Das Schönste, was einem passieren kann
Sie liebt ihre Arbeit: „Ich habe mit Menschen und Familien zutun und kann die in ihrer schönsten zeit begleiten“, sagt sie glücklich. „Ein Baby ist das Schönste, was einem passieren kann. Und ich kann zu den Frauen ein Vertrauensverhältnis aufbauen.“ Das sei sowieso ein riesiger Vorteil: „Die Frauen können sich so leichter fallen lassen.“
Als Hebamme sei es ihr Ziel, „die Frau so stark und selbstbewusst zu machen, dass sie gut durch die Geburt kommt“. Und die Zeit danach.