Hagen. Bei Petra Stiefel wird ein bösartiger Tumor in der Wange entdeckt. In einer mehrstündigen OP gelingt den Ärzten am Josefs-Hospital Unglaubliches.
Da war sie. Diese kleine, offene Wunde im Mundraum. „Mir war kurz vorher ein Zahn abgebrochen – ich dachte, die offene Stelle käme daher“, sagt Petra Stiefel. Monatelang hatte sie damit zu kämpfen. Dachte immer, es würde von alleine heilen. Dann aber hatte sie plötzlich wie eine Art kleines Loch in der Wange. Und fürchterliche, fast unerträgliche Schmerzen. „Im Josefs-Hospital wurden Proben entnommen – und dann bekam ich die Diagnose. Es war ein bösartiger Tumor“, erinnert sich die 60-Jährige aus Herdecke. Er war von innen heraus durch die Wangenhaut durchgebrochen. „Das ist ungewöhnlich – normalerweise begrenzt sich der Tumor eher auf die Wangenschleimhaut“, sagt Dr. Jonas Park, Klinikdirektor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde und Kopf- und Halschirurgie am Josefs-Hospital in Hagen.
Petra Stiefel hatte 2007 schon einmal Krebs, ein Analkarzinom. Sie machte Chemo und Bestrahlung – der Tumor verschwand, aber seitdem lebt sie mit einem künstlichen Darmausgang. „Durch die Bestrahlung hatte ich Verbrennungen überall. Das wollte ich nicht noch einmal durchmachen, und dann im Gesicht. Für mich stand sofort fest, dass ich operiert werden möchte“, sagt die 60-Jährige. „Die Diagnose habe ich gelassen genommen – ich kann es eh nicht ändern. Nur vor der OP hatte ich panische Angst“, blickt sie auf den Tumor im Mund.
Großes Loch in der Wange muss verschlossen werden
In einer vierstündigen Operation wurde der Tumor entfernt – aber nicht nur das: Für einen Laien ist das, was das Team geschafft hat, mit einem kleinen medizinischen Wunder gleichzusetzen. „Zurück blieb ein großes Loch in der Wange“, sagt Dr. Jonas Park. „Da wir den Patienten ein normales Leben ermöglichen möchten, war es von Anfang an geplant, mittels Gewebetransplant das Loch zu verschließen.“
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Normalerweise hätten die Ärzte dafür Gewebe aus dem Unterarm transplantiert, „aufgrund des schlechten Gefäßstatus der Patientin hätte man diesen Weg aber nicht ohne Folgeschäden für die Hand durchführen können“, gibt Park Einblicke. Also mussten die Ärzte Gewebe aus der Schulter entnehmen – zwei große Hautinseln.
„Alles muss dafür genau ausgemessen werden, damit das Transplant richtig durchblutet wird und nicht abstirbt. Die Gefäße werden aus der Schulter mit in die Wange „geschwenkt“, sagt Park. Also nicht entnommen und neu vernäht – sondern nur auf eine neue Bahn gelegt. Das Transplant hatte dabei etwa 13-14 Zentimeter Länge, sechs Zentimeter Durchmesser. Die offene Stelle an der Schulter wurde vernäht.
In der Wange wurde das Loch von außen und von innen verschlossen – aufgrund des komplexen Aufbaus des Wangengewebes. In einem zweiten Eingriff musste Dr. Park noch den Mundwinkel rekonstruieren und Fettgewebe entfernen. „Ein Eingriff folgt dieses Jahr noch, die Stelle ist gut verheilt, sieht aber noch etwas wulstig aus, es muss also noch einmal Fettgewebe entfernt werden.“
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Für die große Operation war Petra Stiefel schnell wieder auf den Beinen, kann normal essen und trinken. „Das einzige ist: Wenn man mich an der Wange berührt, merk ich es in der Schulter“, sagt sie und lacht.
Rachen mit Unterarmgewebe rekonstruiert
Auch Kornelia Decker ist am Josefs-Hospital operiert worden. Die 65-Jährige ist eine Frohnatur. Sagt Dinge einfach, wie sie für sie sind: „Man kann ja nicht den ganzen Tag zuhause rumsitzen und meckern“, sagt die Hagenerin. Nächstes Jahr sind es fünf Jahre seit ihrer Operation. „Dann bin ich offiziell krebsfrei“, sagt Kornelia Decker und lächelt. Die große Narbe an ihrem Unterarm wird sie dennoch ein Leben lang daran erinnern. In einem zehnstündigen Eingriff haben die Ärzte nicht nur den Tumor entfernt, der in Kornelia Deckers Rachen gefunden wurde, sondern zeitgleich auch Gewebe aus dem Unterarm transplantiert, um daraus einen Teil des Rachens zu rekonstruieren und der Patientin ein normales Leben zu ermöglichen.
Der Tumor muss vorher über Monate gewachsen sein. „Meine Stimme blieb immer wieder weg, als ob ich heiser wäre“, erinnert sich die Hagenerin an erste Symptome. Mehrere Arztbesuche blieben ohne Befund. „Man vermutete immer eine Erkältung“, sagt die 65-Jährige, die zu dieser Zeit noch geraucht hat. „Irgendwann konnte ich aber nicht mehr richtig schlucken“.
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Im Josefs-Hospital folgt dann nach diversen Untersuchungen die Diagnose: Es ist ein Tumor, ein Oropharyngeales Plattenepithelkarzinom im Rachenraum, Stadium 4. Er drückte auf den Kehlkopf – das erklärt die Heiserkeit. Eine Chemotherapie – auch das wäre möglich gewesen – schloss Kornelia Decker aus. „Ich wollte gleich die OP und die Gewissheit, dass das Ding weg ist.“
Millimeter-Arbeit: Gefäße werden miteinander verknüpft
Dabei handelte es sich um „mit einen der größtmöglichen Eingriffe in diesem Bereich“, blickt Dr. Jonas Park aus fachlicher Sicht auf den Fall. Neben dem betroffenen Areal mussten auch Lymphdrüsen entfernt werden, da der Tumor zum Streuen neigt. Zurück blieb ein großes Loch am Schlund. Ein Loch, das wiederum massive Einschränkungen bedeutet hätte. „In der gleichen Operation wurde also Gewebe samt Gefäßen aus dem Unterarm entnommen, um es damit zu verschließen“, erklärt Dr. Jonas Park die Vorgehensweise.
Dabei handelt es sich um mikrochirurgische Operationstechniken – die Gefäße des Gewebetransplantats müssen im Millimeterbereich miteinander verknüpft werden. „Sie sind nur ein bis zwei Millimeter groß und werden mit Fäden, dünner als das menschliche Haar, miteinander verbunden.“ All das passiere unter einem Mikroskop. „Am Ende muss das transplantierte Gewebe leben und durchblutet werden. Bei Frau Decker hat das wunderbar funktioniert“, blickt Dr. Jonas Park auf den Fall.
Und Kornelia Decker? „Ich habe seitdem nie wieder geraucht“, sagt sie stolz. Denn vor allem Tabak- und übermäßiger Alkoholkonsum sind Risikofaktoren (neben dem menschliche Papillomavirus (HPV)), die diese Art von Tumoren – wie auch den von Petra Stiefel – verursachen. Beide Frauen müssen weiterhin regelmäßig zur Nachsorge.
Aber ihr Leben geht weiter – ohne Tumor. Dank der Ärzte, die diese kleinen, aber so wichtigen medizinischen Wunder vollbringen.