Hagen. Keine Lebensfreude mehr: 165 Kilo bringt Georgios Chouvardas auf die Waage, heute noch knapp 90. Eine Schlauchmagen-OP verändert sein Leben:

Georgios Chouvardas feiert jedes Jahr zwei Geburtstage. Einmal den Tag, an dem er geboren wurde. Und einmal den Tag, der sein Leben verändert hat. Ein Tag, der so bedeutend war, weil Georgios Chouvardas seitdem überhaupt erst wieder richtig leben kann. „Ich war eigentlich schon immer übergewichtig. Am Ende habe ich über 160 Kilogramm gewogen“, erklärt der 50-Jährige, der in Lüdenscheid lebt und arbeitet.

Sein Leben war wortwörtlich: schwer. „Ich kam von der Couch nicht hoch, ohne Schwindelanfälle zu bekommen. Ich konnte meine Schuhe nicht anziehen, jedes Mal, wenn ich mich irgendwo hingesetzt habe, dachte ich, der Stuhl bricht zusammen. Ich hatte keine Lust mehr auf mein Leben, ich habe das Haus so gut wie nie verlassen“, sagt er.

Georgios Chouvardas wog vor der Schlauchmagen-Operation in Haspe 165 Kilogramm.
Georgios Chouvardas wog vor der Schlauchmagen-Operation in Haspe 165 Kilogramm. © Privat | Chouvardas

Er konnte essen ohne Pause. Essen, ohne satt zu werden. Einen Ein-Liter-Eimer Eis konnte er ohne Probleme in wenigen Minuten verdrücken, danach auch einen zweiten. Es ging soweit, dass er irgendwann mit einem Zuckerschock auf der Intensivstation landete, sein Körper einfach nicht mehr mitmachen wollte. „Ich habe viel versucht, aber es ist ein Teufelskreis.“

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    Ein Teufelskreis, aus dem man – gerade bei so einem hohen Gewicht, wie Georgios Chouvardas es hatte – nicht einfach mal eben so wieder rauskommen kann. Zumal bei so starkem Übergewicht mit einem beachtlichen Body-Mass-Index (BMI) von über 50 nicht nur die Lebensqualität abnimmt – sondern auch die Lebensdauer. Diagnose: Adipositas Grad III, Risiko für Begleiterkrankungen: hoch.

    Von 165 ist fast die Hälfte weg: Patient Georgios Chouvardas ist mit seinem Ergebnis mehr als zufrieden. Hier mit Fachkoordinatorin (Adipositas-Sprechstunde) Beatrix Schöneborn.
    Von 165 ist fast die Hälfte weg: Patient Georgios Chouvardas ist mit seinem Ergebnis mehr als zufrieden. Hier mit Fachkoordinatorin (Adipositas-Sprechstunde) Beatrix Schöneborn. © WP | Michael Kleinrensing

    Georgios Chouvardas beschloss irgendwann, sich bei der AOK zu melden. Die Berater dort wiederum empfahlen ihm das Adipositas-Kompetenzzentrum am Evangelischen Krankenhaus in Hagen-Haspe. „Ich habe mich hier informiert und dazu entschlossen, eine Schlauchmagen-Operation hier durchführen zu lassen. Ich hatte natürlich Angst, aber es hätte nicht so weitergehen können“, erinnert er sich an das Jahr 2020 zurück.

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    Vor besagter Operation durchlaufen Patienten zunächst ein drei- bis sechsmonatiges „Multimodales Konzept“. „Dieses besteht aus Ernährungsberatung, psychologischer Beratung, speziellen Blutuntersuchungen und Bewegungstherapie“, erklärt Beatrix Schöneborn (Fachkoordinatorin Adipositas Ambulanz) die verpflichtende Vorbereitung auf den operativen Eingriff für alle Adipositas-Patienten, die in der Klinik für eine OP vorstellig werden.

    Patient Georgios Chouvardas mit Chefarzt Dr. Claas Brockschmidt, Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie
    Patient Georgios Chouvardas mit Chefarzt Dr. Claas Brockschmidt, Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie © WP | Michael Kleinrensing

    Schlauchmagen-OP: Magengröße wird deutlich verkleinert

    „Bei der Schlauchmagen-Operation wird der Magen deutlich verkleinert und damit die Menge des Essens reduziert“, erklärt Chefarzt Dr. Claas Brockschmidt das Verfahren. „Ein normaler Magen umfasst etwa 800 bis 1200 Milliliter – nach einer solchen Operation ist der Magen noch etwa 100 Milliliter groß.“ Bedeutet: Der Patient ist zum einen schneller satt.

    Andererseits werden durch die Verkleinerung Hungerhormone derart reduziert, dass ein langanhaltendes Sättigungsgefühl eintritt. „Es handelt sich dabei nicht um einen komplizierten Eingriff, mittlerweile haben wir die medizinische Möglichkeit, schonend und ohne große Schnitte im Bauchbereich zu arbeiten“, erklärt Dr. Brockschmidt. Mit einem Ultraschallmesser wird dabei ein Teil des Magens von seiner Umgebung gelöst und kleine Gefäße verschlossen/vernäht. Der Magenausgang bleibt, im Gegensatz zu anderen Verfahren, nach diesem Eingriff erhalten.

    Ernährungsberaterin Susanne Müller begleitet Patienten auf ihrem Weg zur Operation.
    Ernährungsberaterin Susanne Müller begleitet Patienten auf ihrem Weg zur Operation. © WP | Michael Kleinrensing

    Im Dezember 2020 wird Georgios Chouvardas in Haspe operiert. Der Eingriff verläuft ohne Komplikationen. „Seitdem“, sagt der 50-Jährige und lächelt „hat sich mein Leben verändert.“ Im ersten Jahr nach dem Eingriff nahm der Lüdenscheider 80 Kilo ab, wiegt jetzt noch 85 Kilogramm. „Alles geht immer besser. Ich habe keinen erhöhten Blutdruck mehr, keine Zuckerprobleme, ich kann mich normal bewegen, gehe gerne raus, reise viel mit meiner Frau“, erzählt er von seiner neuen Lebensqualität. Und eine erhöhte Lebensdauer wie Dr. Brockschmidt erklärt: „Dazu gibt es belegbare Zahlen. Bei einem Alter von 50 und BMI von 50 zeigt sich, dass Patienten mit Operation im Schnitt 13 Jahre länger leben als ohne“, sagt der Chefarzt, für den diese Eingriffe Routine sind.

    Für Menschen wie Georgios Chouvardas aber bedeuten sie mehr. Sie bedeuten ein völlig neues Leben. Ein leichteres Leben. Einen zweiten Geburtstag.

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    Ab wann ein Patient als adipös gilt, wird über den Body-Mass-Index (BMI) eingeteilt: Als adipös gilt man ab einem BMI von 30. Ab einem BMI von 35 gehen Ärzte davon aus, dass es eine erhöhte Gefahr für Begleiterkrankungen gibt. Ab einem BMI von 40 ist die Adipositas so weit fortgeschritten, dass sie das Leben der Betroffenen deutlich verkürzen kann. Ab einem 50er-BMI spricht man davon, dass die Operation das einzig verbliebene sinnvolle Verfahren ist, um Patienten zu „retten“, bzw. ihnen schnell zu helfen.

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    „Wir führen hier im Adipositaszentrum gut 600 Beratungen im Jahr durch – zuletzt gut 400 Operationen“, sagt Beatrix Schöneborn. In rund 75 Prozent der Fälle entschieden sich Patienten für die besonders schonende Schlauchmagen-Operation. In den restlichen 25 Prozent würde ein anderes Verfahren angewendet, sagt Dr. Claas Brockschmidt. Die Patienten kommen größtenteils aus dem Einzugsgebiet Südwestfalen. „Wir beobachten seit einigen Jahren, dass die Patienten immer jünger werden“, so Brockschmidt. Der Chefarzt möchte auch betonen: „Es muss jedem bewusst werden, dass es sich bei Adipositas nicht um individuelle Schuld handelt. Patienten werden oft stigmatisiert – viele flüchten sich aus psychischen Gründen ins Essen, weil es ihnen Sicherheit bietet.“

    Warum immer mehr Menschen zu Übergewicht neigen liege laut Ernährungsberaterin Susanne Müller auf der Hand: Das Essverhalten hat sich stark verändert. Lebensmittel seien viel zuckerhaltiger, es werde leichter zu Fast-Food gegriffen. Susanne Müller berät Patienten auf dem Weg zur Operation und versucht, gesundes Essverhalten zu vermitteln und Alltagshilfen mit auf den Weg zu geben. Parallel sollen sie auch den Spaß an der Bewegung wiederentdecken: „Früher haben viele Kinder noch draußen gespielt, heute finden viele Aktivitäten drinnen oder vor dem Fernseher/Computer/Smartphone statt.“