Hagen. Die Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr aus Hagen arbeitet federführend an einem Gesetz, das die Sterbehilfe revolutionieren soll.

Im Deutschen Bundestag wird derzeit intensiv an einer neuen Gesetzgebung zum Thema Sterbehilfe gearbeitet und es wird auch kontrovers darüber diskutiert. Mittendrin ist eine Politikerin aus Hagen, die eine besondere Rolle spielt: Die Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr (FDP), die in ihrer Fraktion vor allem bei medizinischen und juristischen Fragen in Erscheinung tritt, ist eine der federführenden Personen im Gesetzgebungsverfahren.

Das Ziel ist, eine konkrete Regelung für die Möglichkeit der Sterbehilfe festzustecken. Das heißt, in welchem Maß zum Beispiel Ärzte oder Angehörige einem kranken Menschen ermöglichen können, sich selbst das Leben zu nehmen - und welche Grenzen es dabei geben sollte. Helling-Plahr ist in das Gesetzgebungsverfahren nicht nur involviert, sondern hat in Berlin für eine der Interessensgruppen, die aus Parlamentariern aus den Reihen der FDP, SPD, Grünen und Linken besteht, gewissermaßen den Hut auf.

Gesetz für Sterbehilfe: Teile des Entwurfs sind am Esstisch entstanden

Zentrale Ideen im Gesetzentwurf stammen unter anderem von ihr: „Die Grundlagen sind schon vor einiger Zeit entstanden, tatsächlich an meinem Esstisch in den Weihnachtsferien. Wir haben seit dem immer weiter daran gearbeitet und jetzt geht es in die Abstimmung. Dafür müssen wir dann im Bundestag eine Mehrheit kreieren. Das versuchen wir gerade“, sagt die Bundestagsabgeordnete.

Für Helling-Plahr ist Sterbehilfe eines ihrer Kernthemen, für das sie seit den rund sechs Jahren, in denen sie in Berlin nun Abgeordnete ist, kämpft: „Es ist ein Thema, das unfassbar viele Menschen bewegt. Im Grunde erreichen mich jeden Tag Nachrichten von Menschen, die mir ihre Geschichte erzählen und für die dieses Thema ausgesprochen wichtig ist, weil es sie eben so stark betrifft. Es handelt sich um so viele Schicksale.“

Ärzte sind sehr vorsichtig

Wer unheilbar krank ist und jede Lebenslust verloren hat, der darf sich in der Theorie auch unter Beteiligung eines Arztes das Leben nehmen. Weil die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür aber aktuell nicht ins Detail festgelegt sind, wird im Bundestag ein neues Gesetz für die Sterbehilfe erarbeitet.
Wer unheilbar krank ist und jede Lebenslust verloren hat, der darf sich in der Theorie auch unter Beteiligung eines Arztes das Leben nehmen. Weil die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür aber aktuell nicht ins Detail festgelegt sind, wird im Bundestag ein neues Gesetz für die Sterbehilfe erarbeitet. © dpa | Bernd Thissen

Seit einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 2020, so erklärt Helling-Plahr, gebe es auf dem Papier eine Freiheit, die es in der Praxis oft aber eben nicht gebe, unter anderem weil Ärzte bei diesem durchaus umstrittenen Thema sehr vorsichtig seien und nicht zuletzt auch weil viele Medikamente zum Zweck der Selbsttötung nicht verschrieben werden dürfen. In diesem Umstand sieht die FDP-Abgeordnete die Notwendigkeit, nun für eine klare Gesetzeslage zu sorgen.

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Mit anderen Worten: Es gibt theoretisch das Recht auf Selbsttötung, aber kaum jemand kann es praktisch umsetzen. Und genau das will Helling-Plahr mit ihren Mitstreitern ändern - und nun auch die praktischen Voraussetzungen für die vom Verfassungsgericht zugeschriebene Freiheit schaffen.Bestandteil des neuen Gesetzes, das bereits einige Schritte des üblichen Gesetzgebungsverfahrens im Bundestag durchlaufen hat, ist vor allem die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit jemandem das Recht auf Selbsttötung gewährt werden kann. „Es soll sich niemand gedrängt fühlen, die Möglichkeit des Selbstmords zu wählen. Aber wer es wirklich möchte, der soll eben auch das Recht dazu haben“, findet Helling-Plahr.

Beratungsnetzwerk soll sicherstellen, dass niemand beeinflusst wird

Andersherum müsse man mit Beratungsangeboten sicherstellen, dass Menschen diese Entscheidung nicht leichtfertig treffen, weil sie etwa Angst haben jemanden zur Last zu fallen oder Geldprobleme haben. „Diese Leuten gilt es aufzufangen z.B. über konkrete Hilfe im Alltag oder durch eine Schuldnerberatung“, sagt die FDP-Abgeordnete. Geplant sei ein umfassendes Beratungsnetzwerk, das auch sicherstellen soll, dass niemand in seiner Entscheidung beeinflusst wird.

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Doch das Thema ist in Berlin durchaus umstritten. Viele Abgeordnete, so erläutert Helling-Plahr, seien noch unentschlossen wie sie abstimmen sollen. Bei solchen Gesetzen, bei denen ethische Fragen im Vordergrund stehen, sind die Abgeordneten meist von ihrem Fraktionszwang befreit, das heißt jeder Abgeordnete kann seine Stimme unabhängig von der Haltung seiner Fraktion abgeben.

Zwei Entwürfe wurden kombiniert

Unter anderem um eine Mehrheit zu generieren, wurde der Entwurf von Helling-Plahr gewissermaßen mit einem Pendant kombiniert, das wiederum federführend von Renate Künast (Bündnis90/Die Grünen) erarbeitet wurde. Aus konservativeren Kreisen des Bundestages gebe es aber auch einen anderen Gegenentwurf, der aus Sicht von Helling-Plahr allerdings lediglich bedeuten würde, dass sich wenig verändere und im Kern möglicherweise die Zustände wiederhergestellt werden, die vom Verfassungsgericht als nicht rechtmäßig erklärt wurden.

Helling-Plahr wirbt jedenfalls für ihren eigenen Entwurf und rechnet ihm auch gute Chancen zu. Rund 150 Unterschriften von Abgeordneten (736 sitzen derzeit im Bundestag) deutet sie als hoffnungsstiftend. Eine Entscheidung soll am 7. Juli fallen, wenn der Bundestag über die Entwürfe abstimmt. Helling-Plahr hofft jedenfalls, dass ihr gemeinsamer Entwurf mit Renate Künast die nötige Zustimmung erhält.

Für den Hintergrund: In Sachen Sterbehilfe hat sich die vergangenen Jahre etwas getan. Aktive Sterbehilfe war und ist in Deutschland nicht erlaubt, bestimmte Formen der Beihilfe zur Selbsttötung wurden 2015 durch Paragraf 217 Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt. Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15 u.a) wurde Paragraf 217 allerdings dann für verfassungswidrig erklärt und das Recht auf den selbstbestimmten Tod als eigenständiges, aus dem allgemeines Persönlichkeitsrecht unmittelbar abzuleitendes Grundrecht anerkannt.