Hagen. Er wollte sich impfen lassen. Zu spät. Das Virus war schneller. Bezirksbürgermeister Kohaupt aus Hagen hat Gürtelrose.
Dieses ständige Jucken auf der Kopfhaut, es kann einen zum Wahnsinn treiben. Wenn da nicht der Schmerz wäre, der die gesamte rechte Kopfhälfte erfasst, pochend anschwillt, allmächtig ist, alle Gefühle und Gedanken überlagert, sogar den Juckreiz dominiert, keinen Platz lässt für etwas anderes als den Wunsch: „Geh endlich wieder weg!“
Heinz-Dieter Kohaupt (65) hat Gürtelrose. Seit 13 Wochen bestimmt die Krankheit sein Leben. Lähmt sein Gesicht. Schmerzt. Brennt. Sticht. Juckt. „Wenn ich auf meinen Kopf fasse, kribbelt es wie tausend Ameisen“, sagt er.
Als die Gürtelrose ihren Zenit erreichte, habe ihm das enorm zu schaffen gemacht, so Kohaupt, Bezirksbürgermeister von Boele und den anderen Stadtteilen im Norden von Hagen: „Wie wahnsinnig starke Zahnschmerzen.“ Mittlerweile hätten sich die Schmerzen eingependelt, mit Medikamenten, die er permanent nehmen muss, seien sie „einigermaßen“ auszuhalten.
Sorge um bleibende Schäden am Auge
Eine Zeit lang fürchtete er um sein Sehvermögen, denn der rechte Augenmuskel war gelähmt. Kohaupt berichtet von einer Autofahrt auf der Hagener Straße: „Das linke Auge zeigte mir eine gerade Strecke, aber mit dem rechten sah es so aus, als würde die Straße abbiegen.“ Sein Augenarzt verschrieb ihm eine Okklusionsfolie, die den Fehler ausglich: „Sonst hätte ich ständig mit zugekniffenen Augen herumlaufen müssen.“
Aber herumgelaufen ist er ohnehin nicht viel. Der sonst so leutselige Bezirksbürgermeister sagte zahlreiche Termine ab und mied die Menschen. Erstens weil Gürtelrose ansteckend ist, aber das war sie nach zehn Tagen, nachdem die Pusteln und Blasen im Gesicht verschwunden waren, nicht mehr.
Kohaupt wollte allein sein mit dem grellen Schmerz: „Mit dem Hautausschlag sah ich aus wie der Glöckner von Notre-Dame. Ich war nicht in der Lage etwas zu unternehmen. Ich habe stundenlang auf dem Sofa gelegen. Mehr ging nicht.“
Es brennt und juckt auf der Kopfhaut
Er hat sich eine Postzosterneuralgie eingefangen, eine besonders langwierige und quälende Form der Gürtelrose. Noch immer kommt es vor, dass ihn plötzlicher ein bohrender Schmerz überfällt, dass es brennt und juckt auf der Kopfhaut.
Ein schier unerträglicher Schmerz sei denn auch das hervorstechendste Symptom einer Gürtelrose, berichtet Dr. Volker Kingreen, Hautarzt in Hagen: „Das können die schlimmsten Schmerzen sein, die vorstellbar sind.“ Typisch sei, dass der Schmerz attackenweise auftrete: „Und dann wie ein Hammer einschießt.“
Mitunter könne der Schmerz über sehr lange Zeiträume anhalten, beim leisesten Verdacht auf eine Gürtelrose solle man deshalb sofort den Hausarzt aufsuchen: „Je schneller die Behandlung mit einem hochdosierten Schmerzmittel beginnt, desto erfolgversprechender ist sie.“
Wer Windpocken hatte, kann an Gürtelrose erkranken
An Gürtelrose könne jeder Mensch erkranken, der als Kind Windpocken hatte, erläutert Kingreen: „Die Viren nisten sich im Rückenmark ein, befinden sich sozusagen im Ruhezustand.“ Wenn das Immunsystem geschwächt sei, könnten sie jedoch wieder aktiv werden und über einen Nervenstrang in die Haut wandern. Das könne der Gürtelbereich sein (daher der Name der Krankheit), doch bisweilen sei auch der Kopf oder ein Bein betroffen: „Immer aber nur eine Körperhälfte.“
Seit 2004 empfiehlt die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts die Varizellenimpfung für alle Kinder im Alter von 11 bis 14 Monaten, die damit vor Windpocken geschützt sind und als Erwachsene nicht mehr an Gürtelrose erkranken können. Allen Personen ab 60 Jahren legt die Behörde eine Impfung gegen Gürtelrose nahe.
Auch Heinz-Dieter Kohaupt, das sei ja die Ironie seiner Gürtelrose, hatte vor, sich in diesem Jahr gegen die tückische Krankheit impfen zu lassen: „Und das werde ich auch nachholen, sobald die Schmerzen vollständig abgeklungen sind.“
Nur rechte Kopfhälfte betroffen
Immerhin kann er sich wieder für ein paar Stunden konzentrieren, Akten lesen, Fernsehen gucken, an seinem geliebten Hengsteysee spazieren gehen. Das Fahrrad, mit dem er sonst meistens unterwegs war, bleibt im Keller stehen, die gereizte, überempfindliche Kopfhaut würde auf den Helm mit Schmerz- und Kribbelsalven reagieren.
Bei Kohaupt ist nur die rechte Kopfhälfte von der Gürtelrose betroffen. Über den Trigeminus verbreiten sich die plötzlich einschießenden Schmerzen von der Stirn bis zum Kinn. Die permanenten Attacken haben dem maßvollen, unerschütterlichen Menschen Heinz-Dieter Kohaupt die innere Ruhe genommen. „Eigentlich bin ich ein Mensch des Ausgleichs, privat wie in der Politik. Aber ich hatte depressive Phasen, und dann war ich regelrecht krawallig und bin sogar zu Hause aus der Haut gefahren und musste mich entschuldigen.“
Gott sei Dank sei die Lähmung des Augenmuskels nicht geblieben, atmet Kohaupt auf. Er hofft, dass auch die Schmerzen irgendwann ganz verschwinden und er keine Folgeschäden zurückbehält. Wo er sich die Zoster-Viren, die für die Gürtelrose verantwortlich sind, eingefangen hat, weiß er nicht.
Und der Juckreiz, dieser schier übermächtige Juckreiz. Der Wunsch sich zu kratzen, ist kaum zu unterdrücken, doch wenn er ihm nachgibt, würde alles nur noch schlimmer. Die Gürtelrose ist auch ein Kampf mit sich selbst. Heinz-Dieter Kohaupt will diesen Kampf gewinnen, keine Frage.
Er will wieder schmerzfrei leben und ohne das Gefühl, als krabbelten tausend Ameisen auf seinem Kopf herum.