Hagen-Mitte. Viel gelesen im Jahr 2023. Der reichste Hagener seiner Zeit und seine Villa sind der Grund, warum die Hagener City so aussieht - und die Nazis.

Wer in Hagen lebt oder aufgewachsen ist, wird irgendwann einmal hier lang gelaufen sein. Der Volkspark als innerstädtische Grünfläche gehört zu den bekanntesten Punkten der City. Was in der breiten Öffentlich kaum jemand weiß: Wer sich hier aufhält, steht eigentlich im Garten einer der reichsten Familien, die je in Hagen lebte. Und um ein Haar wäre der Mittelpunkt der City hier entstanden. Vermutlich schöner als heute. Das Geheimnis des Volksparks. Und warum alles anders kam.

„Schruwen Wilm, „Schrauben-Wilhelm“ Funcke, sein Vater und der nahe Verwandte Friedrich Hueck, hatten die Schraubenfabrik Funcke und Hueck 1844 in Hagen gegründet. Dort, wo das Sparkassen-Karree steht, das alte Elektromark-Gebäude daneben und die Kaufmannsschule am Volmeufer – genau dort stand zunächst die riesige Fabrik am Volmeufer.

+++ Lesen Sie auch: Belagerung vor Netto in Hagen – Was ist bloß in Hagen los? +++

„Und der Chef lebte direkt daneben“, sagt Stadtheimatpfleger Michael Eckhoff, der für uns den großen historischen Bogen spannt und auf dessen Recherchen alle Informationen in diesem Bericht zurückgehen.

Als die Firma erfolgreicher und größer wird, zieht sie um. 1908 ist das. Sie zieht in einen Komplex, von dem heute noch die „alte Schraubenfabrik“ an der Bahnhofshinterfahrung steht. Es ist eine große Zeit in Hagen. Die Stadt steht an der Schwelle, eine besondere zu werden. Groß, vielleicht sogar mondän. Schraubenfabrik-Gründervater Bernhard Wilhelm Funcke war der Großvater von Karl Ernst Osthaus. Als Funcke starb, hinterließ er seinem Enkel ein Vermögen von drei Millionen Goldmark, mit dem Osthaus das Folkwang-Museum gründete.

Die einstige Villa der Familie Funcke am heutigen Eingang des Hagener Volksparks.  
Die einstige Villa der Familie Funcke am heutigen Eingang des Hagener Volksparks.   © Unbekannt | Stadtarchiv Hagen

Ohne Schraubenfabrik kein Osthaus

Ohne die Schraubenfabrik, kein Folkwang, keine bedeutende Sammlung, kein Hagener Impuls, kein Hohenhof, nichts. Hagen ist in Europa ein bedeutender Ort.

+++ Auch interessant: Die Elbersstiege – Ein verwunschener Ort mitten in der Hagener City +++

In den Blütejahren des Unternehmens steigt Theodor Springmann ein. Die Springmannstraße an der Kaufmannsschule ist nach ihm benannt. Er war von 1875 bis 1926 Mitinhaber der Schraubenfabrik Funcke & Hueck. Inspiriert durch Friedrich Harkort, setzten sich Funcke und Springmann für die sozialen Belange ihrer Beschäftigten ein. Sie bauten Wohnungen mit Gartenland, Speiseanstalten, richteten Spar- und Pensionskassen.

Diese Aufnahme zeigt die ehemalige Schraubenfabrik am Volmeufer. An dieser Stelle steht heute die Kaufmannsschule.  
Diese Aufnahme zeigt die ehemalige Schraubenfabrik am Volmeufer. An dieser Stelle steht heute die Kaufmannsschule.   © Unbekannt | Stadtarchiv Hagen

Am Funckepark in Altenhagen ließen sie die „zehn Gebote“ errichten. Zehn stattliche Häuser, in denen Arbeiter unterkamen. Eine weitere Siedlung entstand an der Philippshöhe. Und auch der Bau des Stadttheaters geht auf Springmann mit zurück.

Das Grundstück wird veräußert

Lange lebte Wilhelm Funcke selbst in der Villa am heutigen Volkspark. Der Park selbst war seine private Gartenanlage, unzugänglich für die Öffentlichkeit. Als er stirbt, verliert das Areal an Bedeutung für seine Erben. Die Nähe zur Fabrik ist nicht mehr da. Das Grundstück wird Ende der 20er-Jahre an die Stadt Hagen veräußert.

Die Fabrik am Volmeufer in der heutigen City ist da schon zurückgebaut. Funckes Erben übergeben die Flächen der Stadt und eine Eckfläche an den Warenhauskonzern Leonhard Tietz (Kaufhof), was generelle Überlegungen zur Neu-Überplanung der Innenstadt überhaupt erst anstößt.

Stadtheimatpfleger Michael Eckhoff an der Stelle, wo früher die Funcke-Villa stand.
Stadtheimatpfleger Michael Eckhoff an der Stelle, wo früher die Funcke-Villa stand. © Unbekannt | Michael Kleinrensing

Da hieß die Karl-Marx-Straße noch Breite Straße. Als schnurgerade Allee läuft die Bahnhofsstraße von der 1849 eröffneten Bahnstation (heutiger Hauptbahnhof) auf die Funcke-Villa zu, endet dort aber.

Jansen plante auch Ankara

Ein Durchstich wird politisch diskutiert. Über den heutigen Volkspark hinaus Richtung Kampstraße. Ein Architektenwettbewerb beginnt. Das Hagener Büro Ludwigs und der damals renommierte Stadtplaner Hermann Jansen, der auch die türkische Hauptstadt Ankara neu plante, schickten große Pläne ins Rennen.

„Hagen-Hof“ war das Diskussions-Stichwort dieser Zeit. Die Hagener Innenstadt sollte um dem ehemaligen Garten der Funckes gebaut und angesiedelt werden. Beide Planer sahen einen Durchstich der Bahnhofstraße Richtung altem Rathaus vor – auf Kosten des Volksparks.

Blick in die alte Bahnhofstraße. Im Bildhintergrund sieht man, wie sie vor der Funcke-Villa endet, die am heutigen Eingang des Volksparks steht (dort wo heute die Deutsche Bank liegt).
Blick in die alte Bahnhofstraße. Im Bildhintergrund sieht man, wie sie vor der Funcke-Villa endet, die am heutigen Eingang des Volksparks steht (dort wo heute die Deutsche Bank liegt). © Unbekannt | Stadtarchiv Hagen

Funcke-Villa unterbricht Achse

Der neue Bahnhof sollte mit der alten Stadtmitte verbunden werden – und mit dem, was aus alten Urkunden als der ganz ursprüngliche Kern dieser Stadt hervorgeht: der Bereich rund um die Johanniskirche. Doch die Bahnhofstraße endete auf halber Strecke – vor der Funcke-Villa.

Architekt Jansen schlug vor, zwischen Hohenzollern-, Körner- und Elberfelder- sowie an der heutigen Karl-Marx-Straße einen mit Flachdächern versehenen Komplex mit Büro- und Wohnbauten zu errichten – ähnlich der Cuno-Siedlung. Dazwischen sollte ein großer Innenhof liegen, der Hagen-Hof. Nach dem Vorbild von Wiener Wohnhöfen wäre hier die neue Hagener Mitte entstanden.

Blick von der Eisdiele „Öse“ und der Hohenzollernstraße in den Volkspark.
Blick von der Eisdiele „Öse“ und der Hohenzollernstraße in den Volkspark. © Unbekannt | Michael Kleinrensing

Die Weltwirtschaftskrise machte die Debatte zunichte. Ab 1933 gab es die Pläne schon nicht mehr, die Nazis machten die Funcke-Villa zum Wehrbezirkskommando und die Grünanlage dahinter als „Volkspark“ der Öffentlichkeit zugänglich.

Anschließend wurde nach Plänen des Gartenarchitekten Birkigt der Volkspark als grüne innerstädtische Lunge beibehalten. Ringsherum entstanden in den 50er-Jahren Banken, Kaufhäuser, SIHK und Elektromark – und die Konzertmuschel.

Auf dem Luftbild kann man sehr gut die Achse vom Bahnhof zum Volkspark und darüber hinaus zum Friedrich-Ebert-Platz sehen.
Auf dem Luftbild kann man sehr gut die Achse vom Bahnhof zum Volkspark und darüber hinaus zum Friedrich-Ebert-Platz sehen. © Unbekannt | Hans Blossey

Funcke-Villa verhindert alles

Obwohl es Funckes im Krieg zerstörte Villa nicht mehr gibt, wird nicht zusammengeführt, was womöglich den größten Sinn ergeben hätte. Die alten Poststraßen nach Schwelm (Elberfelder Straße) und Herdecke (Körnerstraße) sowie der Bereich am Theater nebst Kaufhäusern und der Sparkasse und des alten Rathauses bilden fortan vier innenstädtische Viertel. Funckes Villa am heutigen Volkspark verhinderte das neue Herz der Stadt also auch über ihr Ende hinaus.

Stadtbaurat Hans Hübler legte 1946 einen Bebauungsvorschlag für die Innenstadt vor. Er wollte die Bahnhofstraße ins Rathausviertel münden lassen, unter Verschiebung der Körnerstraße nach Norden Richtung Potthoffstraße. Der Stadtrat verwarf die Ideen und behielt am Ende das „Dreieck“ bei. Der von den Nazis geschaffene Volkspark erstand wieder auf und der damalige Stadtbaurat Knipping jubelte zehn Jahre nach Kriegsende: „Heute ist der größte Teil der zerstörten Innenstadt wieder aufgebaut. Hier ist ein Schwerpunkt entstanden. Verwaltungsbauten und Schulen umrahmen locker dieses Parkgebiet.“