Lennetal. Höhere Preise, Lieferengpässe, Ukraine-Krieg. Dieses Jahr bringt für die Kaltwalzer viele Probleme. Wie ist die Stimmung? Wir haben nachgefragt

Steigende Preise bei Gas und Strom, Lieferengpässe, Ukraine-Krieg, Pandemie-Nachwehen: Das Jahr 2023 bringt für die Kaltwalzindustrie an der Lenneschiene viele Unsicherheiten. Entsprechend schwierig fällt der Ausblick auf das Geschäftsjahr 2023 aus. Wie ist die Stimmung vor Ort? Wir haben bei mehreren Kaltwalzern vor Ort nachgefragt.

Steigende Energiekosten

Grundsätzlich sei 2023 besser angelaufen als von vielen erwartet, sagt Martin Kunkel, Geschäftsführer der Fachvereinigung Kaltwalzwerke (FVK), auf Anfrage. Unter dem Dach der FVK sind zahlreiche kleinere und größere Betriebe aus dem Stadtgebiet und darüber hinaus versammelt, von der Bilstein Group und C.D. Wälzholz bis zu H.D. Lenzen und Boecker + Wender Stahl. Man erwarte stabilere Verhältnisse als im Vorjahr, so der Tenor der Fachvereinigung.

Doch Probleme und Unsicherheiten bremsen die Euphorie: Um eine Rezession abzuwenden, geht der Blick in Richtung Europäischer Zentralbank, um die erheblichen Inflationsrisiken einzudämmen. Neben den steigenden Kosten generell machen insbesondere die Energiepreise Sorgen. Der Industriezweig ist energieintensiv, nennenswerte Einsparungen könnten nur durch Einschränkung der Produktion erreicht werden, so Kunkel. „Wir sind daher auf eine stabile Versorgung zu wirtschaftlich vertretbaren Preisen angewiesen.“

Coils für die verarbeitende Stahlindustrie werden von der Schiene umgeschlagen und per Lkw zu Betrieben gebracht.
Coils für die verarbeitende Stahlindustrie werden von der Schiene umgeschlagen und per Lkw zu Betrieben gebracht. © WP | Michael Kleinrensing

Preisbremse verpufft

Die von der Bundesregierung angekündigten Energiepreisbremsen seien durch die unterschiedlichsten Einschränkungen in den Durchführungsbestimmungen so verwässert, dass sie keine nennenswerte Hilfe, bestenfalls eine kleine Unterstützung darstellen. „Insgesamt eine sehr enttäuschende Initiative, die viel versprochen und wenig gehalten hat.“ Eine Gasmangellage für diesen Winter sei zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet. Für den folgenden Winter bestünden aber noch Risiken. „Je nach Entwicklung der Verfügbarkeit von Gas und Strom sind auch weitere starke Preisschwankungen in den nächsten Monaten nicht ausgeschlossen.“

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„Bürokratiemonster“

Mittelfristig bereite auch die Zukunft der europäischen Stahlindustrie, die für die lokale Versorgung der Industrie unverzichtbar ist, große Sorgen. Grund seien neben steigenden CO2-Abgaben auch der von der Europäischen Union geplante Carbon Border Adjustment Mechanism (kurz „CBAM“). Ein Grenzausgleichsmechanismus, der verhindern soll, dass energieintensive Industriezweige aus der EU ihre in der Produktion anfallenden CO2-Emissionen in Drittstaaten mit weniger strengen Klimaregeln verlagern. Ein „politisches Bürokratiemonster“, findet Kunkel, das gemeinsam mit steigenden CO2-Abgaben zur drastischen Verteuerung der Produktion führe und einen fortschreitenden Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit nach sich ziehen werde. „Wie in diesem Szenario die Transformation zu einer CO2-freien Produktion finanziert werden soll ist völlig unklar.“

An der Lenneschiene – hier das Gebiet an der Buschmühlenstraße – liegen Unternehmen wie C. D. Wälzholz und Bandstahl Schulte.
An der Lenneschiene – hier das Gebiet an der Buschmühlenstraße – liegen Unternehmen wie C. D. Wälzholz und Bandstahl Schulte. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Bürokratische Hürden

Mit rechtlichen Vorschriften kämpft auch Wolfram Schulte, Technische Geschäftsleitung bei Bandstahl Schulte. Dazu kommen aufwendige und lange Genehmigungsverfahren und der Fachkräftemangel. Und auch hier ist die Explosion der Preise für Strom und Gas ein großes Problem, sagt Schulte. „Diese wirkten sich deutlich auf die Margen, aber auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit aus.“ Eine teils sehr schwankende Marktlage bringt für den Betrieb starke Schwankungen bei den Auftragseingängen mit sich. „Dies stellt Produktion vor große Herausforderungen da sie sich regelmäßig auf neue Situationen einstellen muss.“ Die Lage führe zu widersprüchlichen Situationen, die sich zwischen der Notwendigkeit von Kurzarbeit und der Überlastung des Betriebs bewegen. „Dies fordert der Flexibilität unserer Mitarbeiter einiges ab.“

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Um mit solchen Themen umzugehen, werden man die Prozesse effizienter gestalten, Kosten einsparen und noch stärker auf Digitalisierung und Automatisierung setzen müssen. „Wir sind aber auch auf die Unterstützung durch die Politik (Bürokratieabbau, Bekämpfung der Inflation, etc.) angewiesen.“

Geringere Margen

Auch wenn im Vorjahr weniger produziert wurde, blicke man wirtschaftlich noch recht positiv auf 2022 zurück. Ein Ausblick gestaltet sich angesichts der großen Unsicherheiten jedoch schwierig. „Für das kommende Jahr rechnen wir mit deutlich geringeren Margen.“ Mengenmäßig erwarte man maximal das Niveau von 2022. „Insgesamt ist aufgrund der rückläufigen Preise bei steigenden Kosten daher auch mit einer wirtschaftlichen Eintrübung für 2023 im Vergleich zu 2022 auszugehen.“

Hohe Lagervorräte

Auch die Kaltwalzer von Huesecken Wire aus der Nahmer zeigen sich zufrieden mit dem Geschäftsjahr 2022 und sind geben bei der Frage nach einem Ausblick nur eine vorsichtige Antwort: „Die Erwartungen für 2023 sind schwierig vorherzusagen“, so Thomas Wallau, Geschäftsführer Huesecken Wire, „da viele Kunden weiterhin zurückhaltend sind, weil sie von hohen Lagervorräten betroffen waren bzw. sind, die abgebaut worden sind bzw. noch abgebaut werden. Wir gehen daher von einer Erholung nicht vor dem zweiten Quartal aus.“ Auch hier werden die gestiegenen Kosten für Gas und Strom als größte Herausforderung gesehen, um weiterhin wettbewerbsfähig produzieren zu können.

Der Blick auf 2023 ist für die hiesige Industrie – hier eine Halle von Risse und Wilke – von Unsicherheiten geprägt.
Der Blick auf 2023 ist für die hiesige Industrie – hier eine Halle von Risse und Wilke – von Unsicherheiten geprägt. © IKZ

Instabile Lieferketten

Bei Risse und Wilke zählt man neben steigenden Energiekosten und Fachkräftemangel auch die weiter instabilen Lieferketten als größte Herausforderung für die Produktion. „Hier kann es immer wieder zum kurzfristigen Ausfall von notwendigen Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen kommen“, so Jörg Lohölter, Geschäftsführer Risse und Wilke. „So ist es nicht sicher, ob die Versorgung mit Erdgas für unsere Wärmenhandlung oder auch die Verfügbarkeit von Reserveteilen für die Instandsetzung der Maschinen immer zu 100 Prozent gewährleistet ist.“ Man reagiere intern darauf mit einem hohen Maß an Flexibilität. Letztendlich werde aber nur ein Ende der vielen externen Krisen - Corona, Ukraine-Krieg, hohe Inflation, Infrastrukturprobleme - zu stabileren Verhältnissen führen.

Hoffen auf Belebung

Dennoch blicke man vorsichtig optimistisch auf 2023 und ist mit der wirtschaftlichen Lage im eigenen Betrieb grundsätzlich zufrieden. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen gelinge es, die gesteckten Ziele im Wesentlichen zu erreichen. „Auch wenn die von der Bundesregierung getroffen Maßnahmen aus unserer Sicht noch nicht ausreichen und weitere Maßnahmen sowie Korrekturen der getroffenen Maßnahmen noch erfolgen müssen, hoffen wir insgesamt, dass wir nach dem Frühjahr mit einer neuerlichen Belebung der Nachfrage in vielen Bereichen rechnen können.“l