Haspe. Mit einem virtuellen Cyber-Classroom erhält die Pflegeausbildung am Hasper Krankenhaus eine neue Qualität. Wir erklären, was das ist.
In diesem Klassenraum tragen alle Schüler eine Brille. Und das nicht etwa, weil die Krankenpflege-Auszubildenden allesamt an einer chronischen Sehschwäche leiden, vielmehr tauchen sie mit Hilfe der futuristisch anmutenden Augengläser in dreidimensionale, virtuelle Welten ab. „Cyber-Classroom“ tauft die am Hasper Mops-Krankenhaus ansässige Bildungsakademie Volmarstein (BAVO) ihre jüngste Errungenschaft, die die Pflegeausbildung des Hagener Hauses auf ein neues Level wuchtet. Mittel aus dem Digitalpakt der Bundesregierung haben im Wesentlichen den Weg für diese 40.000-Euro-Investition frei gemacht.
Abtauchen in einen Körper
Simulationszentrum macht fit für die Arbeit am Patienten
Im sogenannten Skills- und Simulationszentrum an der am Hasper Krankenhaus angesiedelten Bildungsakademie Volmarstein (BAVO) können die Pflege-Auszubildenden das in der Theorie Erlernte an medizinischen Patientenpuppen oder sogar Patienten-Schauspielern konkret anwenden und ausprobieren.
Dieses Angebot bildet einen geschützten Raum, in dem Lernende Handlungen erproben, reflektieren und weiterentwickeln können. Das Skills- und Simulationszentrum schlägt somit eine Brücke zwischen der theoretischen Ausbildung – unterfüttert durch die neuen virtuellen Angebote – und der praktischen Ausbildung direkt am Patienten. Dabei spiegelt die räumliche Ausstattung ein möglichst realitätsnahes Setting des künftigen beruflichen Tätigkeitsfeldes wider.
Angrenzend ist ein Beobachtungsraum angegliedert, in dem Lehrende durch eine Spiegelscheibe getrennt die Simulationen beobachten können. Dabei werden neben klassischen pflegerischen Tätigkeiten auch invasive Maßnahmen durchgespielt: Das Spektrum reicht von Blutdruckmessung und Getränkegaben über Wundversorgung und Atemwegsmanagement bis hin zum Setzen einer Magensonde. Letztlich erhöht diese Übungsmöglichkeit mit maximaler Realitätsnähe vor allem die Patientensicherheit.
Sarah Schmidt ist bereits hinter einer VR-Brille (VR=Virtual Realität) verschwunden, die eher den Eindruck vermittelt, als wolle sie zu einem ausgedehnten Tauchgang in den Tiefen des nächsten Gewässers verschwinden. Doch die Schülerin des Oberkurses steht vor einem wandgroßen Projektionsbild und taucht virtuell in den Körper eines Menschen ab. Der Startschuss zu einer absolut realitätsnahen Entdeckungsreise durch Blutkreislauf, Muskelapparat und Verdauungstrakt. „Das ist anfangs schon ein wenig gewöhnungsbedürftig“, ringt sie in den ersten Minuten noch um ihre Balance, während sie durch eine virtuelle Einzäunung tapst, um bei ihrem wilden Ritt durch die menschliche Anatomie nicht mit den Wänden des Klassenraums zu kollidieren.
Nächste Etappe: eine Echokardiografie, also eine klassische Herzecho-Routine-Untersuchung. Die Spezialbrille liefert einen plastischen Bilder-Hagel, Sarah Schmidt agiert mit einem joystickartigen Steuerungsgerät in der Hand. Mit jeder Minute Praxis werden die Bewegungen geschickter und zielgerichteter. Neue Übungseinheit: endotracheales Absaugen. Dabei wird ein Kunststoffkatheter durch die Öffnung der Trachealkanüle in die Luftröhre eingeführt, um die Atemwege mit Hilfe maschineller Unterstützung von störendem Sekret zu befreien. Genauso realitätsnah gestaltet sich die erste subkutane Injektion mit einer Spritze in den Körper eines Menschen. Absolut wirklichkeitsnah, lehrreich und – es tut in der virtuellen Welt auch bei zigfachen Wiederholungen keinem weh.
Lehrbücher müssen bleiben
„Natürlich kann der Einsatz der digitalen Lernmittel den Blick in ein Lehrbuch nicht ersetzen“, betont Thorsten Krause, in Haspe Fachbereichsleiter für die generalistische Pflegeausbildung an der BAVO. Auch weiterhin muss das theoretische Basisrüstzeug durch die Pädagogen im Unterricht erarbeitet und vermittelt sowie im Nachgang anhand von Fachliteratur von den Schülern vertieft werden. Allerdings eröffnen die neuen virtuellen Welten die Chance, an einem geschützten Lernort anhand konkreter Pflegesituationen zu erlernen und sich Fähigkeiten zu erarbeiten, ohne beispielsweise zugleich Unmengen an Material zu verbrauchen. Dabei zählt die virtuelle Brille auch die sozialen Interaktionen der angehenden Pflegekräfte an den Krankenbetten mit, also beispielsweise die direkten Augenkontakte oder Berührungen mit dem Patienten – Indikator für Empathie.
Parallel dazu kann die Lerngruppe mit klassischen, aus Kino-Erlebniswelten bereits bewährten 3-D-Brillen auf einem weiteren, gut zwei Meter breiten Monitor sich in anatomische Lernmodule vertiefen. Ein Blutkreislauf zum Anfassen, Organe zum Öffnen, Drehen und Zoomen mit passenden Lernaufträgen, animierten medizinischen Erläuterungen, Beschriftungen und Übungsaufträgen. „Dieses Angebot wird direkt in das Unterrichtsgeschehen integriert, ständige Wiederholungen sind möglich, die Schüler sind motivierter und der Spaßfaktor nimmt zu“, zeigt sich Krause von den positiven Lerneffekten überzeugt.
Entspannter Wechsel in die Praxis
„Den Schülern werden vor allem Berührungsängste genommen – die Hemmungen sind beim ersten Agieren in der Praxis dann einfach geringer“, unterstreicht seine Kollegin Bettina Schmitz-Grohs, Fachbereichsleitung Operationstechnische Assistenten (OTA), nach den ersten Trainingseinheiten im Cyber-Classroom. Untersuchungen in der Schweiz hätten bereits belegt, dass sich durch die modernen Techniken die Lerneffekte verbesserten und sich vor allem die Motivation der Schüler erhöhe: „Die heutige Generation ist auf diese digitalen Welten ganz anders fokussiert, und jeder Auszubildende wird genau dort abgeholt, wo er inhaltlich gerade steht“, unterstreicht Schmitz-Grohs, dass diese interessante Form der Ausbildung gerade in Zeiten des Fachkräftemangels dem Job zusätzliche Attraktivität verleihe.
Letztlich entwickelt sich bei der BAVO die Ausbildungsrhythmik zu einem Vierklang: Die klassischen Theorie-Schulungen im Unterricht werden künftig durch die virtuellen Angebote im Cyber-Classroom anschaulich vertieft, bevor im Skills- und Simulationszentrum konkret geübt werden kann. Erst im Anschluss geht es zu den echten Patienten im Krankenhausbetrieb.
Etwa 40.000 Euro hat sich das Haus diese Zukunftsentwicklung kosten lassen. Geld, das nicht bloß aus dem Fördertopf des Bundes stammt, sondern auch von der Evangelischen Stiftung Volmarstein investiert wird, die künftig auch die Software-Lizenzgebühren tragen wird. „Aber diese virtuellen Techniken, die beispielsweise bei der Pilotenausbildung oder beim Militär schon seit Jahren angewendet werden, sind heute auch für andere Branchen bezahlbar und werden die Pflegeausbildung in den nächsten Jahren sicherlich anschaulich ergänzen“, zeigt sich Fachbereichsleiter Krause von der Sinnhaftigkeit überzeugt.