Wehringhausen. Viel gelesen im Jahr 2023 und deswegen von der Redaktion noch einmal präsentiert. Die alte Kneipe „Simpl“ ist längst dicht, aber immer noch da
Gaststätte "Simpl" - ein Lost Place
Über 40 Jahre war niemand hier drin. Das Licht der Lampe, die Patrick Bänsch vorsichtig durch den alten Schankraum schwenkt, lässt die eingefrorene Zeit auftauen. Es ist, als wenn einer dieser Tauchroboter durch das Wrack der Titanic schwebt. Wir sind in der einstigen Kneipe „Simpl“, die zwischen 1975 und 1980 an der Wehringhauser Straße das Maß der Dinge in der Hagener Ausgeh-Szene war. Das Gebäude, ein verrottender, aber detailverliebter Gruß aus dem Jahr 1725, ist dem Verfall preisgegeben. Dass die Hagener Erschließungs- und Entwicklungsgesellschaft (HEG) als Besitzerin es nicht längst abgerissen hat, hat nur einen Grund: Denkmalschutz.
Christian Isenbeck ist auch dabei. Zahlreiche Kneipen hat der Gastronom, ehemalige Basketball-Manager und heutige Elbersgelände-Chef in Hagen gemacht. Diese hier auch. Er ist für gewöhnlich einer, der eher nur das sagt, was nötig ist. Hier aber kommt er ins Plaudern. In der Dunkelheit des urigen, unberührten Tresenraums erzählt er von der alten Zeit. Von Polonaisen über die Wehringhauser Straße, von Bier in Strömen, belegten Baguettes und Spaghetti mit Soße, von Basketball-Bundesliga-Gäste-Teams, die nach dem Spiel hier noch einen trinken gingen. Andere Zeit, andere Kultur, andere Lockerheit. (Lesen Sie auch: Warum die fetten Jahre im Hagener Nachtleben vorbei sind)
Besitzerin unterschätzte die Kneipe
Eine der Spaghettis hängt noch über Christian Isenbeck an der Holzdecke, die einen ziemlichen Bauch hat. „Die haben wir immer da dran geworfen, um zu testen, ob die Nudeln durch waren“, sagt Isenbeck. Kurz vorher hatte er beschrieben, wie sie bei Karnevalsfeten im Keller unter die Stützbalken des Holzbodens Bierfässer geklemmt hatten, damit der Boden unter dem Gewicht auch vieler schwerer Basketballer nicht durchkrachte. Die alte Frau Philipps, der das Gebäude gehörte und die nebenan einen Tabakladen betrieb, hätte nie vermutet, dass diese Pinte in Randlage je brummen würde, als sie den Mietvertrag mitunterzeichnete. Als er nach fünf Jahren auslief, gab sie das Mietverhältnis genervt dran. Tausende Male hatte sie mit dem Besenstiel auf die Holzdielen geklopft, damit Ruhe herrsche. Von unten klopften sie einfach zurück. So war das. (Lesen Sie auch: Nightlife in Hagen – Die große Lust auf die Kneipe „Rose“)
Straße mal als echter Zulauf
Es gab keine Smartphones, keine Dating-Plattformen und keine sozialen Medien. „Wolltest du Kontakt, musstest du in die Kneipe“, sagt Isenbeck. „Ganz einfach.“ Da brauchte es auch keinen verkopften Business-Plan. Das Bier war günstig, die Speisekarte minimalistisch und die Wehringhauser Straße war nicht abgeklemmt wie heute, sondern ein echter Zulauf. Nicht umsonst war in dem Gebäude 1725 eine Pferdewechsel-Station für Bundesstraßen untergebracht.
Gute 300 Jahre später ist das Gebäude zum Hemmnis für Quartiersentwicklung geworden, wenn es nach der HEG geht. Die hat hier im Straßenzug bis zum Bodelschwingh-Platz seit 2018 insgesamt 32 Immobilien erworben und saniert und modernisiert Stattliche, weit über 100 Jahre alte Gebäude und eben dieses Fachwerkhaus mit seinen mit Lehmputz versehenen Backsteinen, morschen Sparren, Aschedecken und handgemachten Geländern und Dekors. „Aktuell wird ein Gutachten erstellt“, erklärt Patrick Bänsch. Vereinfacht gesagt soll geprüft werden, ob es überhaupt noch einen Nutzung geben kann in diesem Gebäude, die halbwegs wirtschaftlich darstellbar ist. Falls nicht, könnte das in der Theorie vielleicht auch das Ende des Denkmalschutzes hier sein.
Die Fantasie, dass jemand das Gebäude kaufen, entwickeln oder sanieren könne, gebe es nicht mehr. Die HEG selbst halte es auch nicht für wirtschaftlich. Zumal in Hagen eigentliche die Prämisse gelte, derart alten Wohnraum verschwinden und modernen entstehen zu lassen.