Hagen-Mitte. Redakteur Mike Fiebig hat in der ältesten Shisha-Bar NRWs Wasserpfeife geraucht und Yasar Kavak getroffen. Eine Vater-Figur im Bahnhofsviertel.
Yasar Kavak sagt, er sei Student. Lebenslang. Der Mann hat keine Uni je von innen gesehen. Und dazu kommt: Gäbe es für das, was er studiert, wirklich einen Lehrstuhl, dann wäre er vermutlich der Professor. Er studiert nämlich Shisha, wie er sagt. Zu Gast im „Rockstanbul“, der ältesten Shisha-Bar Nordrhein-Westfalens. Zu einem Gespräch über die Leidenschaft für Wasserpfeifen, den Kontrolldruck der Behörden in Hagen und die schwarzen Schafe der Branche. Und natürlich macht mir Yasar eine Shisha an.
Ich bin kein Raucher. Eine Shisha habe ich auch nicht daheim. Ich kann die Faszination der orientalischen Pfeife aber nachvollziehen. Die Shisha versprüht eine gewisse Lässigkeit. Sie ist wie ein Lagerfeuer, um das man sich versammelt. Zum Sprechen. Zum Austauschen. Zum Entspannen. (Lesen Sie auch: Saturn zieht in Hagen wieder in die Volme-Galerie)
Die Deutschen haben lange ihre Schwierigkeiten mit ihr gehabt, sie als etwas Fremdes gesehen, etwas, das man nur aus dem Türkeiurlaub kannte. Heute ist sie etabliert. Auch wenn das Image, das ihre Bars und viele Betreiber umgibt, weiter politurbedürftig ist. (Lesen Sie auch: Forscher sehen in Berliner Platz im Bahnhofsviertel eine riesige Bausünde)
In Hagen ist noch eine Handvoll Shisha-Bars übrig. Es waren mal mehr. Das mag in vielen Fällen unternehmerische Gründe haben. Klar ist aber auch: Bei dem hohen Kontrolldruck, der herrscht, überleben nur die, die wirklich sauber sind. Dass der so hoch ist, hat Gründe. Aber: Er trifft oft die Richtigen und belastet viel zu oft die Falschen.
Shisha Bars haben sich in den Augen der Behörden seit Anfang der 2000er-Jahre zu Treffpunkten von Clankriminalität gemausert. Tarnung für Geldwäsche, andere kriminelle Deals. Ja, hat es im Ruhrgebiet zigfach gegeben. Es gibt aber eben auch solche Lokale wie das „Rockstanbul“ in der Straße Am Hauptbahnhof. Seit rund 20 Jahren.
Nicht „gesünder“ als Zigaretten
Yasar hat aufgefahren. In einem Raum, den man im Prinzip sein Labor nennen muss – mit eigener Luftfilterungsanlage und penibel aufgereihtem Besteck, Tabak und anderen Zutaten – hat er eine Wasserpfeife vorbereitet. Drei Kohleblöckchen glühen oben auf dem Kopf. Rauchsäule und Bowl (also Gefäß) muss man sich noch merken, dann hat man den Aufbau einer Shisha eigentlich schon verstanden. Der Tabak liegt auf gelöcherter Alufolie, der Rauch wird unten durch das Gefäß gezogen, gekühlt und wandert dann durch Schlauch und das Mundstück Richtung Lunge des Konsumenten.
Was ich hier gerade mache, ist nicht weniger schädlich als Zigaretten es auch sind. Und doch: es schmeckt. Cremiger Apfel kann man das nennen, was Yasar zusammengestellt hat. Jedes Mal, wenn ich ziehe, brodelt es unten im Gefäß so, als wenn ein Wasserkocher kurz vor fertig ist. „Ich dachte mir, dass du eher der cremige Typ bist“, sagt Yasar. Was immer das heißt.
Zu selten beleuchtet
Ich bin nicht explizit wegen der Pfeife hier. Sie ist der Türöffner. In eine Welt, die wir viel zu wenig öffnen, deren Mitglieder wir unberechtigterweise viel zu wenig beleuchten.
Eine Klimaanlage bereitet klarste Luft, es gibt keinen Staub, keinen Aschefilm, reinste Reinlichkeit. „Meine Haltung zu meiner Leidenschaft“, sagt der Mann, der 58 Jahre alt ist. Er ist Sohn türkischer Einwanderer, sein Vater malochte bei der Varta, er selbst trat keine Ausbildung an. Er ist, auf seinem Level und auf seinem Gebiet, ein „Self-made-man“ der Shisha-Gastronomie. „Ich wollte Unternehmer sein, mit meiner ganz eigenen Idee.“ Er ist es bis heute.
Anfang der 2000er keimte die Shisha-Kultur in Deutschland immer mehr auf. „Sie war am Anfang natürlich im arabischen und südländischem Raum verankert, dann kam es unter deutschen Jugendlichen immer mehr auf. Heute ist ein Großteil meiner Kundschaft deutsch“, sagt Yasar. Ein Lehrer-Stammtisch kommt regelmäßig aus dem Sauerland ins Hagener Bahnhofsviertel vorgefahren, um hier Shisha zu rauchen. Selbst Behörden-Mitarbeiter sind Gäste. Yasar pflegt und kultiviert seine eigenen Regeln. Wer herkommt, genießt Privatsphäre. Frauen wie Männer. Es gibt hier kein Gockeln, kein Posen, kein Aufplustern. „Bei mir zählen der Genuss, die gute Zeit und die vertraute Atmosphäre.“
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Die Bar ist strenggenommen die zweitälteste Shisha-Bar in NRW. Die erste, so erklärt Yasar, sei seinerzeit das Orhan Café in Dortmund gewesen. Als das schloss, habe das „Rockstanbul“ sie abgelöst. Als Oma unter den Shisha-Bars. Das Rockstanbul und Inhaber Yasar sind Seismograph hier im Viertel. In einer Straße, bei der die breite Hagener Bevölkerung sich darauf verständigt hat, dass sie wahlweise die schmutzigste, die gefährlichste, die kriminellste, die dunkelste oder die ausländerstärkste in der Stadt sei. Das das jene bewerten, die nur kurz mit dem Auto reinfahren, um jemanden zum Bahnhof zu bringen, bleibt Yasar ein Rätsel.
Die meisten Läden sind in den Händen von Betreibern mit Migrationshintergrund, ja. „Aber gefährlich? Hier ist nichts gefährlich“, sagt Yasar, bei dem sich so mancher, der hier eine Geschäftsidee verwirklichen wollte, zuvor vorgestellt hat. Er ist eine väterliche Figur in der Straße. Er hält den Kiez zusammen. Er weist auf Pflichten hin, legt Wert auf Ordnung. „Ich fege vor meinem Laden, lege Wert auf Sauberkeit“, sagt er – und verlangt das auch von anderen.
„Die Straße hat mit Unrecht einen schlechten Ruf. Ich kann nur empfehlen, mal hier her zu kommen und sich selbst ein Bild von den Menschen zu machen“, sagt Yasar.
Der Zoll ahndet bei regelmäßigen Kontrollen in der Szene illegalen Wasserpfeifentabak ohne Steuermarken aus dubiosen Quellen. Ohnehin dürfen beim Tabak nur noch kleine Gebinde bis zu 25 Gramm verkauft werden. Die Steuern wurden deutlich erhöht. Aber das Bundesfinanzministerium hat längst angedeutet, dass der legale Wasserpfeifenmarkt einbricht. Solche Geschäfte wie das von Yasar werden immer seltener. Gleichzeitig brechen die Steuereinnahmen für den Staat ein.
Steuerverlust für den Staat
Die Tabakmenge, für die Steuerzeichen in Deutschland gezogen wurden lag im ersten Halbjahr 2022 bei 900 Tonnen. Im Jahr zuvor waren es noch 2600 Tonnen. Steuerverlust für den Staat: 28 Millionen Euro. Yasar hält seinen Preis. 12 Euro kostet so eine Shisha wie die, die ich bei ihm rauche, weiterhin.
Wenn der Zoll kommt, dann spielen sich im „Rockstanbul“ die gleichen Szenen ab. „Ich mache die Musik aus, begrüße die Herren und sie mich auch“, sagt Yasar. Er holt einen Ordner unter der Theke hervor, aus dem alle für die Behörden wichtigen Dinge hervorgehen, dann verabschiedet man sich nach kurzer Kontrolle wieder voneinander. „Die machen ihren Job so wie ich meinen auch mache. Mit Leidenschaft und sehr genau. Ich habe Respekt davor, sie auch vor mir. Und so kommen wir seit Jahren sehr gut miteinander aus.“