Hengstey. Blick an einen Ort, an den Unbefugte niemals dürften: das Laufwasserkraftwerk am Hengsteysee in Hagen. Dazu Bilder aus der Bauzeit.
Die große knarrende Holztür, die Matthäus Schallenberg öffnet, ist ein Originalteil aus dem Jahr 1926. Jogger und Spaziergänger sehen sie an der Seite des Laufwasserkraftwerks. Dort, wo der Hagener Volksmund einfacherweise sagt: „Wir treffen uns am Wehr.“ Weil die Öffentlichkeit nie durch dieses Laufwasserkraftwerk geführt wird, weiß auch niemand, dass hinter der knarrenden Holztür in dem gerade frisch gestrichenen Kraftwerksbau die Zeit sozusagen eingefroren ist. Denn seit dem ersten Tag bis zum heutigen laufen hier drin dieselben Maschinen nach der derselben Technik. Unsere Zeitung durfte hinein und traf die Mannschaft, die das bewahrt, was ihre Vorgänger vor 100 Jahren installierten.
Zur simplen technischen Erklärung benötigt man noch kein Studium der Wasserwirtschaft. Nach dem Bau der Anlage in den 1920er-Jahren war das Ruhrwasser zum Hengsteysee aufgestaut. Seitdem liefern das Flusswasser und der Höhenunterschied von etwa viereinhalb Metern die Grundlage für regenerative Stromerzeugung. Das Wasser strömt ins Kraftwerk, kurbelt drei mächtige Kaplan-Turbinen, deren wuchtige Schaufelräder durch das kalte Ruhrwasser angetrieben werden. Dann entsteht Strom. „Quasi wie bei einem Dynamo am Fahrrad“, sagt Matthäus Schallenberg. Der Dynamo sind die Turbinen, das Ruhrwasser ist der Reifen.
Das Archiv des Ruhrverbandes hat unserer Zeitung Fotos zur Verfügung gestellt. Darauf ist zu sehen, wie eine Mannschaft von Arbeitern die gigantischen Turbinen der Firma Siemens einsetzt. Bauteilgleich wie heute. Die riesigen Muttern, die die einzelnen Teile verbinden, sind die dieselben. „Kaplan-Turbine Escher Wyss &Cie“ steht auf einer Plakette. Das schweizerische Unternehmen hatte die Turbinen in Ravensburg produziert und am Hengsteysee aufgestellt. Eine Luftaufnahme zeigt das Laufwasserkraftwerk in den 1920er-Jahren im Bau. Gut zu sehen ist noch, dass die Ruhr hinter dem Kraftwerk Richtung Herdecke einen ganz anderen Verlauf nahm. Sie wurde später verschwenkt.
Die Männer, die hier in ihrem Pausenraum sitzen, sind die Nachfolger jener Männer, die einst das Kraftwerk bauten und in Betrieb nahmen und deren Arbeiten auf den historischen Aufnahmen zu sehen sind. Sie sind, so wie ihre Vorgänger es waren, Schlosser und Elektriker und arbeiten an denselben Maschinen in denselben Gängen hinter denselben Mauern. „Sicher, die Maschinen werden gewartet, geölt, immer wieder instandgesetzt. Und natürlich ist drumherum moderne Elektronik und Hydraulik dazu gekommen. Aber die Maschinen sind im Originalzustand“, sagt Matthäus Schallenberg. (Lesen Sie auch: Brücke am Wehr – Ist die See-Umrundung bald nicht mehr möglich?)
Für die Mannschaft hier, hat das einen hohen ideellen Wert. „Zu wissen, dass so etwas Altes und Verlässliches 100 Jahre später genau das liefert, was heute mehr denn je gefragt ist, ist schon etwas, was stolz macht. Das würde auch die Männer stolz machen, die sie damals eingebaut haben.“ Mit seiner Leistung von 11 Millionen Kilowattstunden im Jahr kann das Kraftwerk heute 4000 bis 5000 Haushalte versorgen. Es muss aber immer im Gesamtzusammenhang mit der Wehranlage Stiftsmühle an der neuen Brücke über die Volmemündung und der Wehranlage am Obergraben des Harkortsees betrachtet werden. (Lesen Sie auch: Emotionales Video: Hagener Pfleger suchen nach neuen Kollegen für ihre Station)
Alle drei Werke regeln die Wasserstände in Hengsteysee und Harkortsee. Der Harkortsee dient der Feinreinigung des aus der Volme und dem Ablauf des Klärwerks Hagen zufließenden Wassers, das sich mit dem im Hengsteysee bereits behandelten Wasser aus Ruhr und Lenne mischt. Außerdem hat er die Funktion eines Ausgleichbeckens für den Pumpspeicherbetrieb am Hengsteysee. Genau wie der Hengsteysee selbst. Seit Mai diesen Jahres ist der Ruhrverband wieder Eigentümer und Betreiber der Laufwasserkraftwerke am Hengsteysee, am Harkortsee und an der Wehranlage Stiftsmühle. Zuvor war das RWE.
So könne der Ruhrverband, wie er selbst erklärt, den „Fremdbezug des an seinen Betriebsanlagen verbrauchten Stroms weiter reduzieren und durch regenerativ erzeugte Energie ersetzen.“ Bisher wurden die Laufwasserkraftwerke und damit die Wasserstände von Hengstey- und Harkortsee nach dem Bedarf des Pumpspeicherkraftwerks Herdecke gesteuert.
Hengstey- und Harkortsee werden weiterhin als Unterbecken für das Pumpspeicherwerk dienen, indem das im Oberbecken des Pumpspeicherwerks gespeicherte Wasservolumen wie bisher jederzeit in den beiden Seen freigehalten wird.