Hagen. „Aus dem Dunkeln ein Licht“ heißt eine ganze Veranstaltungsreihe gegen Rassismus und Antisemitismus. Was das Projekt in Hagen so besonders macht.
Es gibt dieses Bild von den alten weißen Männern. Es sind die, die das Sagen haben. Im Alterungsprozess leicht oder ganz ergraut, haben sie es an die Schaltstellen geschafft. In Firmen, in der Politik, in der Gesellschaft. Und von dort, wo sie sind, bestimmen sie das Geschehen und verkünden ihre Wahrheiten. Alte weiße Männer sind Männer. Deutsche Männer. Keine Frauen, keine Menschen mit Migrationsgeschichte, und sie sind alt und nicht jung.
Aya Alali, Nadine Burkhardt, Mohamed Anis Merabet und Almir Murati kennen das. Es waren die alten weißen Männer, die sie zornig gemacht haben. Diejenigen, die im letzten Jahr nach dem gescheiterten Anschlag im September und auch am 9. November vor der Synagoge in Hagen das Wort ergriffen haben. Und es waren die alten weißen Männer, die die jungen Menschen unterschiedlichster Herkunft zornig gemacht haben.
Starke Worte vor der Synagoge
Männer, wie ein Vertreter der katholischen Kirche, der den vielleicht gut gemeinten Appell losgelassen hat, dass es eben nicht ausreiche, wenn junge Menschen nur einmal im Jahr eine Kerze hochhalten. Oder wie jenen Bundestagskandidaten, der im September 2021 in ihren Augen viel zu sehr den vereitelten Anschlag eines jungen Syrers in den Fokus gerückt hat. „Wir waren doch da. Eine ganze Woche lang. Und wir haben nicht nur Kerzen hochgehalten“, sagt Nadine Burkhardt.
Aya und Almir haben selbst syrische Wurzeln. Sie standen zweimal vor der Synagoge. Sie haben das Wort ergriffen. Auch weil Hagay Feldheim, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde für sie in den letzten Jahren zu einem Freund geworden ist.
Viele Partner bei „Aus dem Dunkeln ein Licht“
Sie haben aber nicht nur an diesem Tag das Wort ergriffen, eine Kerze hochgehalten. Sie haben – wie auch in diesem Jahr – gemeinsam mit anderen jungen Menschen und Partnern wie dem Music Office, dem jungen Theater Lutz, dem Kulturzentrum Pelmke, dem Jugendring und nicht zuletzt der Jüdischen Gemeinde eine ganze Woche mit Veranstaltungen organisiert, die die Themen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den Fokus rücken. Themen, die sie selbst das ganze Jahr beschäftigen. Weil sie selbst zum Teil ausländische Wurzeln haben und weil sie als Mitglieder einer Gruppe „Lichter der Großstadt“ teilhaben wollen an der Entwicklung der (Stadt-)Gesellschaft.
Gandhi Chahine, Leiter des Music Office Hagen, ist Initiator der Gruppe „Lichter der Großstadt“. Er begleitet junge Menschen auf dem Weg in eine Erwachsenenwelt, in der vieles fremd scheint. Er verleiht Jugendlichen Selbstbewusstsein, prägt sie in ihrer Entwicklung und verhilft ihnen dazu, Dinge einzuordnen und sich eine Meinung zu bilden. „An jedem 9. November habe ich in der Vergangenheit von denselben Leuten dieselben Lippenbekenntnisse“, sagt der Mann, der einst mit der Band „Sons of Gastarbeiter“ Erfolge feierte und selbst ausländische Wurzeln hat. „Aber das ist doch wie mit dem Muttertag: Eine Mutter verdient auch nicht nur Aufmerksamkeit an einem Tag. So müssen wir nicht nur in Hagen dafür sorgen, dass das Gedenken sichtbar wird, dass wir mehr Menschen erreichen. Nicht nur an einem, am besten an 365 Tagen.“
Perspektive der Opfer kommt zu kurz
Dazu kommt für Chahine, dass bei all dem, was offiziell an Tagen wie dem 9. November organisiert wird, die Perspektive der Opfer und ihrer Familien viel zu kurz gekommen ist. „Da wurde von oben eine Gedenkveranstaltung organisiert. Nur mit der jüdischen Gemeinde hat zunächst niemand gesprochen. Um so erfreulicher ist es, dass es in diesem Jahr nun eine gemeinsame Veranstaltung von Stadt und Gemeinde gibt.“
Ähnlich verhält sich das in Chahines Augen, wenn über Jugendliche und junge Erwachsene gesprochen wird. „Wer sich wirklich für junge Menschen interessiert, sollte nicht über sie reden, sondern sich mit ihnen zusammensetzen und ihnen zuhören. Das gilt besonders für alle politisch Engagierten, die das hohe Lied auf die Partizipation singen. Wer von denen weiß denn schon, wie schwer es für Jugendliche aus einer syrischen Community ist, sich vor eine Synagoge zu stellen und so deutlich Position zu beziehen?“
Hoffnung auf Veränderung
Die Jugendlichen haben sich allein gefühlt. „So viele Veranstaltungen haben wir vor einem Jahr organisiert. Und so gering war zum Teil die Resonanz“, sagt Nadine Burkhardt. Und so bleibt der Satz mit der Kerze in ihrer Erinnerung. Verbunden mit der Hoffnung, dass sich im Jahr 2022 bei der Reihe „Aus dem Dunkeln ein Licht“ etwas ändern möge.
So denken vier junge Hagener über Erinnerung und Gedenkkultur:
Junge Hagener schildern ihre persönlichen Eindrücke
„Aus dem Dunkeln ein Licht“ – so ist eine Woche voller Veranstaltungen anlässlich der Reichspogromnacht überschrieben.
Organisiert haben diese Woche das Music Office Hagen, die Jüdische Gemeinde und das Junge Theater Lutz.
Unsere Zeitung begleitet die Woche. Mit Aya Alali, Nadine Burkhardt, Mohamed Anis Merabet und Almir Murati schildern in dieser Woche vier junge Menschen in unserer Zeitung immer wieder ihre persönlichen Eindrücke und berichten online sowie auf Instagram.
Nadine Burkhardt: „Gedenken bedeutet für mich, den Opfern Anerkennung und Respekt zu schenken. Ein gemeinsames Erinnern, und zwar unabhängig vom Alter, ist das Licht, was wir in die Dunkelheit tragen.“
Mohamed Anis Merabet: „Gedenken bedeutet, nicht nur einmal im Jahr ein Ereignis zu erwähnen. Ereignisse aus der Vergangenheit aufzuarbeiten und gemeinsam Inhalte zu kreieren, führt zu einem tieferen Verständnis.“
Aya Alali: „Gedenken ist Wertschätzung und Erinnerung der Blick in die Vergangenheit, aus dem wir die Motivation schöpfen, eine bessere Welt zu hinterlassen. Erinnern heißt handeln. Jeden Tag.“
Almir Murati: „Gedenken bedeutet für mich eine langfristige Auseinandersetzung mit dem Thema. Denn eine Gesellschaft, die sich erinnert, kann dafür sorgen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.“