Hagen. Seit einem Jahr sitzt Timo Schisanowski (SPD) im Bundestag. Aus der Hauptstadt blickt er mit neuen Augen auf Hagen. Und formuliert harte Kritik:

Alles ist Neuland: die Kulisse, die Kolleginnen und Kollegen sowie die Aufgaben. Seit einem Jahr tummelt sich der direktgewählte Hagener Bundestagsabgeordnete Timo Schisanowski (SPD) in der Hauptstadt. Während die über Listenplätze ebenfalls im Bundestag sitzenden Hagen-Vertreter Kathrin Helling-Plahr (FDP) und Janosch Dahmen (Grüne) schon in der vorangegangenen Legislaturperiode Erfahrungen auf dem Berliner Parkett sammeln konnten, gilt der Genosse als absoluter Novize auf dem Terrain. In den Herbstferien fand er mal wieder die Zeit, zu einem Interview in der Stadtredaktion vorbeizuschauen.

Nach einem Jahr in der Hauptstadt: Mit welchen Augen blicken Sie auf Hagen? Welche Eindrücke hat dieser Perspektivwechsel gebracht?

Reden wir Klartext: Mit Hagen geht’s seit geraumer Zeit bergab. Zu wenig Zukunftsprojekte und -investitionen, eine zunehmend schlechte Infrastruktur, vielerorts ein dreckiges, müllverschmutztes Stadtbild; die Mängelliste lässt sich unendlich fortführen. Wer mit offenen Augen in Hagen unterwegs ist, weiß, wovon ich spreche. Hagen droht seine Zukunftsfähigkeit zu verlieren. Wir werden im Wettbewerb mit anderen Städten in unserer Region zunehmend abgehängt und drohen unserer Stellung als Oberzentrum in Südwestfalen nicht mehr gerecht zu werden. Als Bundestagsabgeordneter komme ich viel herum, sowohl im Wahlkreis als auch im ganzen Land. Insoweit höre und sehe ich auch, was woanders alles geht und funktioniert. Vielerorts packen die Städte ihre Stadtentwicklung beherzt an, bringen Zukunftsprojekte auf den Weg, akquirieren dazu maximal Fördergelder. In Hagen hingegen wird nur der Mangel verwaltet. Als wären wir mehr ins Scheitern verliebt als ins Gelingen agiert man im Rathaus planlos, mutlos, hilflos. All das erfüllt mich mit Blick auf meine Heimatstadt offen gesagt mit sehr großer Sorge.

Sie haben das Thema Fördermittel gerade selbst angesprochen. Woran scheitert Hagen, wenn es um die Verteilung der Gelder geht?

Hagen betreibt kein echtes Fördermittelmanagement und ist damit oftmals von Anfang an raus. Die Stadtspitze um OB Schulz und den Ersten Beigeordneten Gerbersmann hat eine falsche Einstellung zu dem Thema und lehnt den Aufbau eines professionellen Fördermittelmanagements aus Kostengründen beharrlich ab. Manchmal kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Förderprojekte als störend empfunden werden, wenn man einen Eigenanteil finanzieren muss. Doch wenn ich beispielsweise mit 100.000 Euro Eigenanteil ein Förderprojekt in Höhe von einer Million Euro ermöglichen kann, dann ist das Geld sehr sinnvoll investiert. Die Haltung der Hagener Stadtspitze, dass Zukunftsentwicklung nichts kosten darf, ist die falsche. Wer sich nicht mit allem Nachdruck und professionell um Fördergelder bemüht, der geht am Ende eben leer aus.

Welche priorisierten Ziele werden Ihnen aus dem Hagener Rathaus nach Berlin gespiegelt, für die Sie sich dort zum Nutzen ihrer Heimatstadt engagieren könnten?

Abgesehen von Resolutionen des Stadtrates erreicht mich aus dem Hagener Rathaus wenig bis gar nichts. Am Beginn meiner Amtszeit habe ich alle Rathauschefs in meinen Wahlkreis besucht und eine aktive Zusammenarbeit zum Wohle unserer Heimat angeboten. In Hagen wird davon wenig Gebrauch gemacht. Ganz anders im Ennepe-Ruhr-Kreis, wo beispielsweise der Landrat seit Jahren eine regelmäßige Abgeordnetenkonferenz eingerichtet hat, um sich als kommunale Familie mit den heimischen Abgeordneten in Bund, Land und Europa parteiübergreifend über die gemeinsamen Herausforderungen und Ziele auszutauschen. Das zeigt auch eins der Hauptprobleme von Hagen: Die Hagener Stadtspitze und die sie tragende „Allianz des Grauens“ aus CDU, FDP und Grünen haben offenkundig keine gemeinsamen Ziele und Ideen. Deshalb gibt es ja seit Jahren keinen Koalitionsvertrag oder Ähnliches, weil man dafür ja konkrete gemeinsame Ziele formulieren müsste – an denen man sich dann übrigens auch messen lassen müsste. Aber: „Ohne Ziel ist jeder Weg der falsche“, weiß schon ein Sprichwort.

Wie würden Sie überhaupt das Miteinander zwischen der Teppichetage des Rathauses und ihrem Berliner Abgeordneten-Büro beschreiben?

Wie gesagt, mich erreicht wenig aus dem Hagener Rathaus. Bedenkt man, dass Hagen insgesamt drei Bundestagsabgeordnete, zwei Landtagsabgeordnete sowie weitere für uns zuständige Europaabgeordnete und Betreuungsabgeordnete hat, noch dazu aus allen demokratischen Parteien, dann könnte man – wenn gewollt – gemeinsam ganz sicher einiges bewegen.

OB Erik O. Schulz formulierte bei seiner Amtsübernahme seinerzeit als parteiloser Verwaltungschef seinen Anspruch, zwischen allen Parteien des Rates moderieren zu wollen. Wie nimmt die Hagener SPD bislang diesen sicherlich wohl gemeinten Vorsatz wahr?

Mit seinem selbst formulierten Anspruch und Wahlversprechen, als Parteiloser unabhängig zwischen den politischen Kräften im Stadtrat moderieren zu wollen, ist Erik O. Schulz schon früh gescheitert. Stattdessen dient er ausschließlich als Erfüllungsgehilfe seiner Allianz aus CDU, FDP und Grünen. Mag sein, dass das Experiment eines parteilosen OBs, getragen von einem breiten politischen Bündnis, damals ein interessantes war. Doch es ist de facto gescheitert. OB Schulz und seine Allianz stehen für Stillstand, mit dem man Hagens Negativentwicklung nicht aufhalten kann.

Wie bewerten Sie bislang das Wirken und Handeln des Verwaltungschefs? Bedient er in Ihren Augen seit 2014 die richtigen Hebel in Hagen oder hält ihn letztlich bloß der Mangel an guten Alternativen im Amt?

Ein Genosse mit vielen Hasper Wurzeln

Timo Schisanowski wurde um August 1981 in Hagen geboren. Nach seinem Abitur am Hasper Christian-Rohlfs-Gymnasium
absolvierte er seinen Zivildienst im St.-Josefs-Hospital in Altenhagen.


Im Anschluss absolvierte er ein Jura-Studium an der Ruhr-Universität Bochum und der Fernuniversität in Hagen. Im Anschluss verdiente der Wirtschaftsjurist sein Geld als Geschäftsstellenleiter der VBW Stiftung bei der VBW Bauen und Wohnen GmbH in Bochum.


Bereits als 19-Jähriger trat Schisanowski im Jahr 2000 der SPD bei, die er seit 2012 als Vorsitzender des Unterbezirks Hagen führt. Zudem war er über ein Hasper Direktmandat von 2004 bis 2012 sowie von 2020 bis 2021 Mitglied des Hagener Rates sowie von 2020 bis 2021 Mitglied im Ruhrparlament. Seit der Bundestagswahl 2021 ist er Mitglied der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und hat somit das Direktmandat von René Röspel übernommen.


Der ledige, evangelische Christ ist zudem Mitglied bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO), bei Arbeit schaffen in Haspe (AS), Hackebämmels Enkel, im Hasper Heimat- und Brauchtumverein (HHBV), Hasper SV, Städtepartnerschaftsverein Hagen, TSV Fichte Hagen sowie Förderer von Amnesty International.

Erik O. Schulz hat die Rolle des Verwaltungschefs nie angenommen. Stattdessen gefällt er sich eher in seiner repräsentativen Rolle. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kämmerer Gerbersmann der „heimliche“ Verwaltungschef im Rathaus ist. Doch hat der sich einer blinden Sparpolitik verschrieben, die dringend notwendige Zukunftsinvestitionen verhindert und nur den Mangel verwaltet. Bei unserer Stadtspitze kann ich keinerlei Zukunftskonzept und keinerlei Gestaltungswillen erkennen. Dass ich das mal sagen muss – aber ich vermisse einen OB Dehm, der hatte wenigstens noch Ansprüche und Ziele. Zwar nicht die Ziele meiner Partei, doch ein anpackender Verwaltungschef war er.

Den Bürgern brennen vor allem die Themenfelder Sicherheit/Ordnung/Sauberkeit, Kita und Schule sowie Arbeit und Gewerbeflächen unter den Nägeln. Tragen an den Defiziten denn nicht auch die Genossen durch Versäumnisse in der Vergangenheit eine Mitschuld?

Niemand ist frei von Fehlern, auch meine Partei nicht. Doch eins ist nun mal Fakt: Seit 1999 regiert die CDU Hagen in unserer Stadt ununterbrochen in unterschiedlichen Bündnissen, drei der vier letzten Oberbürgermeister wurden von der CDU gestellt bzw. getragen. Seit vielen Jahren ist die SPD im Rathaus hingegen in der Opposition. Für die negative Entwicklung und den schlechten Zustand unserer Stadt trägt daher die Hagener CDU mit weitem Abstand die Hauptverantwortung. Der letzte große, erfolgreiche Aufbruch in unserer Stadt, das war die noch in den 90er-Jahren von der SPD auf den Weg gebrachte „Neue Mitte“. Die letzten 20 Jahre hingegen waren insgesamt keine gute Zeit für Hagen.

Mit welcher Strategie möchte die Hagener SPD künftig der Dominanz der Allianz im Hagener Rat die Stirn bieten und was sind die Ziele für die Kommunalwahl 2025?

Ein japanisches Sprichwort sagt: „Vision ohne Handlung ist ein Tagtraum. Handeln ohne Vision ist ein Alptraum.“ Letzteres erleben wir gerade. Hagen muss die Karre wieder aus dem Dreck bekommen. Die SPD in Hagen ist bereit, hierbei tatkräftig mit anzupacken. Angesichts der katastrophalen Bilanz der Allianzparteien im Hagener Rathaus und des ideenlosen Noch-OBs Schulz werden wir als SPD Hagen selbstbewusst in den nächsten Kommunalwahlkampf ziehen und für einen echten Politikwechsel kämpfen. Für eine sichere und saubere Stadt, für eine zuverlässige Infrastruktur, für gute und gerechte Bildung, für eine starke Wirtschaft mit gut bezahlten Arbeitsplätzen. Ein Wettbewerb um die besten Ideen für die Zukunft unserer Stadt, der würde Hagen guttun. Im Gegensatz zur Stadtspitze und zur Allianz haben wir noch Ideen. Die Hagener SPD ist bereit, Verantwortung zu übernehmen.