Hagen. Kneipe und Bibel - wie geht das zusammen? Antworten gibt es jeden Dienstag in der Bier-Kneipe Honselstube in Hagen.
„Heimathafen“ steht auf dem Schild, das über der Theke hängt und das dahin weist, wo Stella Fortunato gerade ein frisches Pils aus dem Zapfhahn in ein Glas fließen lässt. Heimathafen ist ein Ort, an dem man sich zu Hause fühlt, an dem man geborgen ist. Die Honselstube in Hagen ist ein Heimathafen. Im besten Sinne. Eine Eckkneipe, eine klassische Bierkneipe, die es seit 120 Jahren gibt.
Kneipen in dieser Stadt sind ein Stück Heimat. Die Honselstube wiederum ist jeden Dienstag ein ganz besonderes. Denn dann finden nicht nur außergewöhnliche Gäste bei Stella Fortunato einen Heimathafen, sondern auch der liebe Gott.
Ein Gespräch über Gott und die Welt
„Bibel-Kneipe“ ist überschrieben, was sich an jenem Tag vor und hinter dem Tresen ereignet: Menschen, Kneipengänger und solche, die hier sonst nie landen würden, Menschen aus Hagen und aus Städten in der Umgebung, kommen zusammen – hier in der Eckkneipe Honselstube, um im wahrsten Sinne über Gott und die Welt zu plaudern.
Es sind Menschen wie Bettina Scheel, die sich die Fahrt mit dem Öffentlichen Personennahverkehr nach Hagen auch dank des 9-Euro-Tickets so gerade leisten kann und die sagt: „Ich fühle mich hier wie in einem Kokon – so beschützt. Wenn ich am Abend nach Hause fahre, bin ich gesegnet.“
Positive Folge der Jahrhundertflut
Oder Menschen wie Heike Kreitzsch, die sich im CVJM engagiert, an der Johanniskirche den Küster unterstützt und die über sich sagt, dass sie eigentlich alleine keine Kneipe besuchen würde. Jetzt ist sie hier. An diesem Tag zum ersten Mal. Und trifft Christen ebenso wie Menschen, die den Glauben an Gott und seine Kirche verloren haben. „Es ist eine schöne Atmosphäre.“
Wenn man so will, ist die Bibelkneipe eine der wenigen positiven Folgen der Flutkatastrophe, die vor etwas mehr als einem Jahr die Stadt Hagen heimsuchte. Die Honselstube liegt in direkter Nachbarschaft der Volme. Und die Wassermassen suchten sich Mitte Juli 2021 einer Sturmflut gleich ihren Weg durch den Heimathafen.
Wie die Idee der Bibelkneipe entsteht
Anne-Vanessa Youmba á Aroga ging in jenen Tagen an der Kneipe entlang. Sie sah, wie zwei Männer versuchten, den Schankraum von den Schlammmassen zu befreien. Und sie fühlte, dass sie helfen musste. Aus einer Stunde wurden zwei, aus zwei drei. Irgendwann wurde es Abend. Und Anne-Vanessa Youmba á Aroga kam wieder am darauf folgenden Tag.
Sie lernte die Wirtin Stella Fortunato kennen, die ihre große Liebe verloren hatte und aus Portugal zurückkehrte. Man kam ins Gespräch und Anne-Vanessa Youmba á Aroga erklärte, dass sie gern andere Christen in Hagen kennenlernen würde. Stella wiederum gab ihr die Telefonnummer von Bernhard Sponner, einem Mann, der sich in freien evangelischen Gemeinden engagiert. Und das Trio entwickelte die Idee, einen Ort zu schaffen, an dem Glauben eine Rolle spielt, an dem aber niemand Hemmungen haben muss, über die Schwelle zu treten.
Gastfreundschaft und gute Gespräche
„Wir wollen letztlich auch Menschen ansprechen, die mit Kirche nicht viel im Sinn haben“, sagt Bernhard Sponner, „Menschen, die am Glauben zweifeln, die Fragen haben. Ganz niederschwellig.“
Eine starre Tagesordnung kennt die Bibelkneipe nicht. Nur Gastfreundschaft, gute Gespräche und christliche Musik aus den Boxen, aus denen sonst Rock oder Schlager klingen. Es gibt Kaffee und Kuchen, den Bernhard Sponners Frau in jeder Woche selber backt. Dazu kleine Snacks, die Stella Fortunato reicht. „Wer zum ersten Mal kommt, den lade ich auf das erste Getränk ein“, sagt Bernhard Sponner, der fest davon überzeugt ist, dass „der Glaube an Gott gut für das Leben ist“.
Ein Gebet mit einem Nazi
Die Idee der Bibel-Kneipe verbreitet sich. Unter den Stammgästen der Honselstube, in Kirchengemeinden. „Und wenn ich beim Gassigehen im Park Menschen getroffen habe, habe ich ihnen davon erzählt“, sagt Stella Fortunato. Es spricht sich rum, dass es hier einen besonderen Nachmittag, einen besonderen Abend gibt.
Und so kommt es von ganz alleine zu bewegenden Begegnungen und Momenten. Wie zu jener, als ein Mann, Mitte 40, der sich gerade von seiner Partnerin getrennt hat, in die Honselstube kommt und in die Bibelkneipe gerät. „Ich habe mich mit ihm unterhalten, und er hat mir erklärt, dass er der rechtsradikalen Szene angehört“, sagt Anne-Vanessa Youmba á Aroga, die afrikanische Wurzeln hat, „ich habe seine Hände genommen und für ihn gebetet. Da hat er sich geschämt und ist in Tränen ausgebrochen.“ Als er die Bibelkneipe verlässt, gibt Stella ihm das Buch Gottes mit auf seinen Weg.
„Heimathafen“ steht auf dem Schild über dem Tresen, ein Rettungsring hängt an der Decke. Die beiden Frauen haben ihn geworfen, und ein Mann, der den Glauben an das Gute verloren hatte, hat danach gegriffen.