Hagen-Mitte. An der Marktbrücke in Hagen ansässige Einzelhändler und Gastronomen beklagen sich über die Riesenbaustelle Marktbrücke. Wie die Stadt reagiert.
Selten sind sich Menschen so einig wie in diesem Fall: Vor gut einem Monat starteten die Arbeiten rund um den Abriss der Marktbrücke, seitdem ist bei den dort ansässigen Geschäftsleuten und Gastronomen tote Hose.
„Wir sind wie abgeschnitten“, bringt es Wilhelm Isbruch auf den Punkt. Seit über 40 Jahren betreibt Isbruch das Fachgeschäft Modell Pelzer, in dem Modelleisenbahnen, Modellbau und Spielwaren angeboten werden, in der Potthofstraße 2.
Viele Kunden aus dem Sauer- und Siegerland
Wenn er aus seinem Bürofenster schaut, blickt er direkt auf die neben ihm liegende Riesenbaustelle. „Wenn ich an die Vorweihnachtszeit denke, wird mir ganz anders“, sagt der Einzelhändler und spielt damit auf seinen zu erwartenden Umsatzrückgang an. Da die Potthofstraße für den Individualverkehr gesperrt ist – nur Durchgangsverkehr ist aufgrund der Baustellensituation erlaubt – blieben die Kunden fern: „Viele meiner Kunden kommen aus dem Sauer- und Siegerland und sie parken normalerweise auf dem Potthof-Parkplatz oder im Cinestar-Parkhaus. Mittlerweile weiß aber fast jeder, dass ganz Hagen derzeit eine Riesenbaustelle ist, deshalb scheuen es viele, überhaupt in die City reinzufahren.“
Seit Einrichtung der Marktbrückenbaustelle kommen zu Modell Pelzer 20 Prozent weniger Kunden, „in der Vorweihnachtszeit mache ich sonst mein Hauptgeschäft mit 50 Prozent des Jahresumsatzes. Die Baustelle ist für mich existenzgefährdend.“
Wenn die Potthofstraße als Ausweichstrecke für die Marktbrücke freigegeben würde, kämen mehr Kunden, da sind sich die Anrainer des Viertels sicher und haben sich daher an die Stadt gewandt. Die erteilt dem Wunsch allerdings eine Absage. Stadtsprecherin Clara Treudes Begründung: „Wir benötigen die Straße als Weg für Rettungsfahrzeuge. Wenn es dort zum Stau kommt, gibt es für Feuerwehr und Notarztwagen kein Durchkommen.“ Probleme könnten außerdem auch die Busse der Straßenbahn, die ihre Taktung einhalten müssen, bekommen.
Laufkundschaft fehlt
Schräg gegenüber von Modell Pelzer sagt Björn Klimanski vom Tattoo-Studio Joker ziemlich sauer: „Die Laufkundschaft, größtenteils ältere Schüler, fehlt. Die Tür geht einfach seltener auf.“
Und auch Martin Heinemann, verantwortlicher Leiter der Fahrschule Burgmann, die einen von vier Schulungsräumen in der Potthofstraße 2 bis 4 betreibt, spricht von einer deutlichen Beeinträchtigung für seine Fahrschüler, die am theoretischen Unterricht teilnehmen, „die Atmosphäre hier ist nicht besonders einladend.“
Den Schulungsraum in der City während der Baustellenzeit zu schließen und seine Schüler in den anderen Standorten zu betreuen, kommt für ihn nicht in Frage: „Die meisten haben ja noch keinen Führerschein, wollen also wohnortnah unterrichtet werden.“
Estela Fortunato, Wirtin der Honselstube am Märkischen Ring 112, plagen andere Probleme: „Meine Gäste kommen zu Fuß, manche nehmen sich für den Heimweg ein Taxi. Aber da die Gaststätte ja bis tief in die Nacht geöffnet hat, komme ich erst spät ins Bett.“ Estela Fortunato, die über der Kneipe wohnt, schläft daher in der Regel morgens länger, „jetzt werde ich aber vom entsetzlichen Baustellenlärm aus dem Bett getrieben.“
Beschwerden häufen sich
Direkt neben der Honselstube befindet sich der türkisch-arabische Imbiss Bei Ali. „Wir sind seit Januar hier am Märkischen Ring. Zuerst kam Corona, dann die Baustelle“, klagt Ahmed Hussein. Er betreibt auch einen Lieferdienst, doch seit vier Wochen häufen sich bei ihm die Beschwerden: „Durch die Umwege, die wir fahren müssen, um aus der Stadt heraus zu kommen, kommt das Essen verspätet, matschig und kalt bei den Kunden an. Wir haben 50 Prozent weniger Umsatz.“
Ein paar Meter weiter ist das Fachgeschäft XL-Toner ansässig, in dem Drucker, Tinte, Toner und Zubehör verkauft werden, außerdem befindet sich in dem Laden ein DHL-Paket-Shop sowie ein Copy-Shop. „Viele meiner Kunden kommen aus Schwelm, Schwerte oder Witten und haben bislang zum Be- und Entladen kurz vor meinem Laden gehalten. Jetzt kommt kaum noch ein Kunde“, sagt Ladeninhaber Steven Gebler. Zum Glück betreibe er parallel einen Online-Shop, „dadurch kann ich meinen Umsatzrückgang zumindest etwas kompensieren.“
Auch bei Stief Schuhe – Bio-Line keine strahlenden Gesichter hinter der Theke: „Viele unserer Kunden haben Problemfüße, müssen lose Einlagen oder Diabetikerschuhe tragen“, sagt Mitarbeiterin Birgit Hering. Häufig würden die gehandicapten Kunden von ihren Angehörigen mit dem Auto direkt vor den Laden gefahren und dort rausgelassen, „Leute von außerhalb, die sich in Hagen nicht auskennen, meiden die Stadt aufgrund der katastrophalen Baustellensituation jetzt komplett“, bedauert Birgit Hering.
Lange Umwege schrecken ab
Auch Elektro Böhme in der Mittelstraße 2 leidet unter den Auswirkungen der Großbaustelle. „Kunden von außerhalb, die normalerweise über den Zubringer am Landgericht kommen, scheuen die langen Umwege und bleiben Hagen gleich fern“, resümiert Geschäftsführer Oliver Böhme.
Den Anrainern auf der Seite der Springe geht es kaum besser: Tassia Evgenia, Betreiberin des griechischen Imbiss Mikado am Märkischen Ring 117, spricht von einem 50-prozentigen Umsatzrückgang, seit dem die Baustelle eingerichtet wurde. „Wir haben fünf Lieferfahrzeuge im Einsatz. Wo sollen die Fahrer hier jetzt halten, um ihre Autos zu beladen?“, fragt die Chefin kopfschüttelnd.
15 Monate für Abriss und Neubau
Mit der Fertigstellung des Kreisels an der Eilper Straße startete Anfang September das Bauprojekt „Neubau der Marktbrücke“. Der Abriss der alten und Bau der neuen Marktbrücke werde, so die Stadt Hagen, 15 Monate dauern.
Und auch das Team der Löwen Apotheke fast nebenan klagt über ein Drittel weniger Umsatz. „Da weniger Kunden in die Apotheke kommen, haben wir unseren Botendienst von zwei auf vier Fahrzeuge ausgeweitet. Und wir liefern jetzt, anders als sonst, Medikamente auch vormittags aus“, erklärt PTA Heike Vieth-May. Das bedeute für die Apotheke natürlich Mehrkosten, „außerdem machen wir mehr Werbung in Zeitungen und auf Flyern, auch das bringt natürlich zusätzliche Kosten.“