Haspe. Die Hagenerin Karin Hennig ist 72 Jahre alt und lebt seit 30 Jahren in einer Pflegeeinrichtung. Im Haus Bettina hat sie schon eine Menge erlebt.

Kurz vor dem Mittagessen hat Karin Hennig noch einiges zu tun. Das Zimmer aufräumen, die Zeitschriften ordnen, alles so herrichten, wie sie es mag, damit es gemütlich ist, sie sich wohlfühlt wie sie sich seit 30 Jahren hier wohlfühlt. So lange schon wohnt sie in Zimmer 208 in Haus Bettina an der Heilig-Geist-Straße in Hagen-Haspe. 28 Quadratmeter, Sideboard, Pflegebett, Kleiderschrank, mit rostfarbenem Stoff bezogenes Sofa, auf der Lehne sitzt Lumpi, ein Plüschhund.

30 Jahre in einem Pflegeheim, ein Jubiläum, das es heute kaum mehr gibt, geben kann, da Menschen zumeist in ihrer letzten Lebensphase, wenn Pflegebedürftigkeit da ist, in einer Einrichtung versorgt werden wollen.

Mutter und Tochter ziehen ein

„Ich war 42 Jahre alt, als ich hier einzog“, erzählt dagegen Karin Hennig. „Vorher habe ich mit meiner Mutter in einer Wohnung gelebt, sie hat das aber nicht mehr geschafft und wir beschlossen, ins Haus Bettina einzuziehen.“

Drei Monate später, nachdem die gemeinsame Wohnung aufgelöst war, belegte auch ihre Mutter ein Zimmer im zweiten Obergeschoss des Hauses. Sie verstarb Jahr 2006. Karin Hennig scheint sich selber zu fragen, wo nur die Zeit geblieben ist. In 30 Jahren ist so viel passiert.

Haus Bettina, 1974 gegründet als Damenstift von Seniorchefin Betty Brandt von Zwieback Brandt für alleinstehende Arbeiterinnen aus der Fabrik, dann in ein Altenheim, später ein Pflegeheim umgewandelt, hat – gemeinsam mit Karin Hennig – eine wechselvolle Geschichte durchlebt. Seit 2002 ist das Haus in Trägerschaft des Caritasverbandes, 2008/2009 wurde es kernsaniert und präsentiert sich heute als Einrichtung mit 34 Einzel- und drei Doppelzimmern.

Langeweile kennt Karin Hennig (72) nicht. Im Haus Bettina fühlt sie sich wohl.
Langeweile kennt Karin Hennig (72) nicht. Im Haus Bettina fühlt sie sich wohl. © Michael Kleinrensing

1992, als Mutter und Tochter Hennig einzogen, lebten nur Frauen im Haus, betreut wurden sie unter anderem von Ordensschwestern. Zwar habe sie schon dann und wann überlegt, ob es nicht schöner sei, in einer eigenen Wohnung zu wohnen, konkret wurden die Pläne aber nie, erinnert sich Karin Hennig. Unterstützung brauche sie schon, bekennt sie freimütig, alleine leben gehe nicht aufgrund ihrer Behinderung. Und so fand und findet sie bis heute die Begleitung, die sie braucht. Und sie sagt: „Ich fühle mich hier Zuhause. Es gefällt mir.“

Klare Strukturen

Karin Hennigs Tag hat klare Strukturen. Früh geht es aus dem Bett, um halb 7. „Wenn ich doch wach bin, stehe ich auf“, sagt sie. „Was soll ich im Bett?“ Nach Waschen und Anziehen geht es zum Frühstück in die Cafeteria, da ist Treffpunkt mit den Bekannten aus dem Haus.

Vormittags macht sie sich auf nach Haspe, so „die Knie das zulassen. Vorher frage ich, wem ich ein Brötchen mitbringen soll“, erklärt Karin Hennig. Das habe sie schon immer gemacht – und ihr „Service“ werde gerne angenommen.

Natürlich müsse sie sich abmelden im Wohnbereich. Mittagessen steht dann auf dem Tagesplan, nachmittags nimmt sie gerne die Angebote des sozialen Dienstes wahr. Zwischendurch werden Kreuzworträtsel gelöst oder gemütlich ferngesehen. Abends isst sie auf dem Zimmer, ganz in Ruhe, nach einem langen Tag.

Einmal in der Woche – ebenfalls seit 30 Jahren – kommt ihre Schwester Monika Stamm (75) zu Besuch. Die Familie hat eine enge Beziehung zum Haus: Neben der Mutter lebten sowohl der Onkel als auch ihre Tante in der Einrichtung. Von allen musste sie Abschied nehmen, ebenso wie immer wieder von lieb gewonnenen Mitbewohnern.

„Das ist schon immer traurig“, sagt sie und nennt Namen von Verstorbenen, die ihr ans Herz gewachsen waren. „Aber so ist das Leben.“ Genauso wie sie viele Mitarbeiter Kommen und Gehen sah, auch hier gibt es aus 30 Jahren viele persönliche Verbindungen und mittlerweile Freundschaften.

Ungewöhnlicher Jahrestag

Das eben auch ein Leben 30 Jahre lang in einem Pflegeheim möglich machen kann. Der ungewöhnliche Jahrestag wird am 1. August mit einem kleinen Fest begangen. „Wir machen eine schöne Feier“, verspricht Einrichtungsleiterin Claudia Heide. Sie weiß: Karin Hennig mag schöne Feste.

In langen Jahren in der Altenhilfe hat auch Claudia Heide solch ein Jubiläum noch nicht erleben dürfen. Es gibt Kaffee, Kuchen, ein Gläschen Sekt. Karin Hennig strahlt, wenn sie daran denkt. Und erzählt von vielen Festen aus 30 Jahren in Haus Bettina. Ihrem Zuhause, an dem sie gar nichts Schlechtes finden kann. Bis auf dieses vielleicht: „Das Essen könnte manchmal besser sein“, hebt sie an – und ergänzt ihre Leibspeisen: „Kaiserschmarrn, Germknödel, Griesbrei….“ Vielleicht hat sie ja einen Wunsch frei zum Jubiläum. Und darf sich ein Essen aussuchen.