Hagen. Das Gipfelkreuz markiert den höchsten Punkt in Hagen. Ein Ort des Weitblicks, der Fragen aufwirft. Ein Teil der Serie „Neulich in Hagen“.

Der Weg ist zumindest Teil des Ziels. Weil er so schön ist, dieser Weg. Der Radfahrer mit rotem Helm und rotem Trikot ist mühsam unterwegs auf diesem Weg. Was wiederum an jenen legendären Satz erinnert, den der Wasserträger dem ebenso schwächelnden wie gedopten Radprofi Jan Ullrich 1997 in den Vogesen zurief: „Quäl dich, du Sau.“ Ullrich quälte sich, Ullrich gewann im Anschluss die Tour de France.

Zugegeben: Der Hagener Süden ist nicht die Vogesen. Aber diesen Weg, der im Grunde irgendwo im Volmetal startet, habe ich mich selbst schon oft mit dem Rad hochgequält. Und dieser Satz schleicht sich da irgendwie immer wieder in den Kopf.

+++ Das Konzept zur Sommerserie +++

Gipfelkreuz Hagen, 438 Meter über dem Meer – ein Ziel für masochistisch veranlagte Radfahrer ohne Motor. Für Radfahrer wie den Mann in Rot, der dem Fotografen noch kurz zuwinkt, aber für ein Gespräch dann doch keine Zeit mehr hat. Er rauscht vorbei.

Ein Radfahrer hat sich hinauf gequält zum Gipfelkreuz und passiert den höchsten Punkt von Hagen.
Ein Radfahrer hat sich hinauf gequält zum Gipfelkreuz und passiert den höchsten Punkt von Hagen. © WP | Michael Kleinrensing

Habe den Gipfel zumindest diesmal fix mit dem Auto erklommen, was durchaus eine gewisse Qual war, weil ein Drängler in einem silberfarbenem Seat mit Lichthupe, Blinker links und Gesten mir verzweifelt begreiflich machen wollte, dass man auch über eine enge, einspurige Straße mit durch Gras und Büschen zugewachsenen Kurven durchaus mit 70 Stundenkilometern brettern kann. Irrtum.

Ein Gipfelkreuz, das kein Kreuz ist

Sein Versuch scheiterte. Ich habe den Rückspiegel ignoriert, vorausgeblickt, mal nach links, mal nach rechts. Weil ich ja wusste, dass schon der Weg Teil des Ziels sein würde.

Am Gipfelkreuz in Hagen drehen sich Windräder. WP-Redakteur Jens Stubbe stört das nicht.
Am Gipfelkreuz in Hagen drehen sich Windräder. WP-Redakteur Jens Stubbe stört das nicht. © WP | Michael Kleinrensing

Am Ziel steht ein Holzkreuz, das eigentlich kein richtiges Kreuz ist. Obendrauf fehlt ein Stück. Darauf ist diese Zahl eingraviert. 438 Meter. Was an dieser Stelle ein wenig gelogen ist. Der Waldweg links, der zu einer Panoramatafel führt, und die Straße, die der Radfahrer gerade Richtung Stadtgrenze unter seine Rennradräder genommen hat, steigen noch leicht an.

Das Gipfelkreuz aber steht an einem kleinen Platz direkt an der Straße. Dort, wo es auch wahrgenommen werden kann. Auch von Menschen, die es mit der Umwelt nicht so genau nehmen. Eine Zigarettenpackung in einer Folie liegt an seinem Fuße. Aufdruck: „Rauchen mindert ihre Fruchtbarkeit.“ Mit Verlaub: Diesem Ferkel sei’s gegönnt.

Ein Kreuz, das kein richtiges Kreuz ist: Das Gipfelkreuz Hagen wurde 2012 von der Stiftung Haus Dahl aufgestellt und markiert den höchsten Punkt.
Ein Kreuz, das kein richtiges Kreuz ist: Das Gipfelkreuz Hagen wurde 2012 von der Stiftung Haus Dahl aufgestellt und markiert den höchsten Punkt. © WP | Michael Kleinrensing

Den Blick lasse ich schweifen – hier oben. Klinik Ambrock, Steinbruch, die Windräder, über die so viel gestritten wird und die sich doch so friedlich auf den Höhen zu drehen scheinen und mich kein Stück stören.

Blicke auch auf zwei Schilder: eines erklärt, dass die Stiftung Haus Dahl diesen so besonderen Punkt mit eben jenem Kreuz versehen hat. Dickes Lob und Dank dafür. Und auf eines, auf dem erläutert wird, dass die schmale Straße, die am Kreuz vorbeiführt, einst eine der bedeutendsten Handelsrouten der Region war.

45.000 Zentner Handelsgüter sind hier zwischen Meinerzhagen und Hagen auf zweirädrigen Karren pro Jahr transportiert worden. Klingt viel – die Lastwagen auf der Sauerlandlinie direkt nebenan brauchen dafür vermutlich nicht mal einen Tag. Länger allerdings haben die Fuhrleute für die rund 45 Kilometer lange Strecke gebraucht. Maximal 30 pro Tag waren drin. Was auch mit den engen Wegen zu tun hatte. Wer zuerst eine Engstelle befuhr, hatte Vorfahrt, musste allerdings Pfeifen und mit der Peitsche knallen. Grüße an den Seat-Rüpel von gerade...

Randalierer haben die Panoramatafel unweit des Gipfelkreuzes zerstört. Der Blick von hier reicht bis zum Kraftwerk Datteln.
Randalierer haben die Panoramatafel unweit des Gipfelkreuzes zerstört. Der Blick von hier reicht bis zum Kraftwerk Datteln. © WP | Michael Kleinrensing

Panoramatafel umgeknickt

Mit dem Auto sind auch zwei Männer gekommen, die sich mit zwei Flaschen Veltins-Pils auf den Wanderweg in Richtung Panoramatafel begeben. Sitzen auf einem Baumstumpf am Wegesrand, als ich ihren Spuren folge. Einen der Metallständer der Tafel ein paar Schritte weiter haben ein paar Deppen so umgeknickt, dass sie nun schräg steht. Trotz einiger dicker Filzstiftstriche kann ich lesen, was ich an diesem Tag am dunstigen Horizont sonst nur erahnen kann: das Kraftwerk Datteln am Dortmund-Ems-Kanal in 42 Kilometer Entfernung zum Beispiel.

Scheint die Biertrinker nicht weiter zu kümmern. Sind auf meinem Rückweg verschwunden. Unser Fotograf zieht auf dem Rückweg eine Flasche Veltins aus dem hohen Gras am Wegesrand. Ein paar Tropfen tropfen aus der Pulle. Hier sei die Wasserscheide, habe ich gerade gelesen. Überlege kurz, ob die Tropfen irgendwann in der Lenne oder in der Volme landen. Ist aber eigentlich auch egal.