Hagen. In der Bahnhofstraße in Hagen befand sich bis vor einigen Jahren noch ein Atomschutzbunker. Das Inventar wird nun in die Ukraine transportiert.
Es ist sicherlich einer der ungewöhnlichsten unter den zahlreichen Transporten mit Hilfsgütern, die derzeit die Ukraine erreichen. Stühle, bunte Becher, Plastikteller, Vorhänge, dazu Betten, Kissen, Matratzen, ein Behandlungstisch und Hygieneartikel für Babys – dieses Sammelsurium an Artikeln aus Hagen soll den Menschen in Lwiw (Lemberg) helfen, den Krieg gegen Russland zu überstehen.
All die Gegenstände waren Teile der Einrichtung und des Inventars eines Atombunkers, der einst Menschen in Hagen Schutz im Falle eines Nuklearangriffs bieten sollte. In dem ehemaligen Parkhaus, in dem heute die Polizei an der Bahnhofstraße die neue Wache Mitte betreibt, befand sich früher ein Atombunker, der in einem möglichen Ernstfall seiner Funktion wohl kaum gerecht geworden wäre – ein kleiner Teil des Kalten Kriegs, ein kleiner Teil aus einer anderen Zeit.
Ausstattung erhält ursprüngliche Sinnhaftigkeit zurück
Als der Bunker geschlossen und zur Polizeiwache umfunktioniert wurde, griff Michaela Beiderbeck zu, die an der Bergstraße in der Hagener Innenstadt das inzwischen weit über Hagen hinaus bekannte Kriegsbunkermuseum betreibt. Sie sicherte sich die einigermaßen kuriosen Utensilien, die niemand mehr haben wollte, und integrierte Teile davon in ihrer Ausstellung: „Was nicht niet- und nagelfest war, haben wir mitgenommen aus dem Atomschutzbunker.“
Jetzt aber, in Zeiten des Ukraine-Kriegs, gewinnt die Ausstattung ihre ursprüngliche Sinnhaftigkeit zurück. Und deshalb haben Michaela und Gottfried Beiderbeck beschlossen, die Einrichtungsgegenstände des einstigen Atombunkers für die notleidende Bevölkerung in Lwiw zu spenden. „Die Sachen sind zwar alt, aber ungenutzt und noch hervorragend zu gebrauchen.“
Zahlreiche Flüchtlinge in Lwiw
Unterstützung erhält das Ehepaar von Erwin Garter (57), der die Hilfsgüter mit seinem Lastwagen unentgeltlich nach Lemberg bringt. „Ich möchte den Menschen helfen, die in Not sind“, sagt er und spricht von der „widerlichen, unmenschlichen“ russischen Kriegsrhetorik: „Das ist pure Heuchelei.“
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Allein 48 Bettengestelle samt Matratzen und Bettzeug packte Garter am Donnerstag zusammen; im westukrainischen Lwiw, wo immer mehr Flüchtlinge aus anderen Gegenden des Landes eintreffen, kann man sie gut gebrauchen. Bis auf das (einlagige) Klopapier haben Beiderbecks so ziemlich alles nach Lemberg weitergegeben, was sich einstens im Hagener Atombunker befand. Schließlich lautet das Motto ihres Besucher-Bunkers in der Bergstraße: „Nie wieder Krieg.“
Menschen versammeln sich und singen gemeinsam
Das Ehepaar hatte zuvor bereits zwei Hilfstransporte mit Medikamenten, Verbandsmaterial, aber auch Matratzen und Isomatten für ein ukrainisches Militärlazarett nach Lwiw gebracht. Von der Atmosphäre und der vom Krieg bislang nicht so stark betroffenen Stadt und dem Durchhaltewillen der ukrainischen Bevölkerung war Michaela Beiderbeck angetan: „Die Menschen sammeln sich in Gruppen im Park vor der Oper und singen gemeinsam. Es ist sehr berührend, das mitzuerleben.“
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Viele Geschäfte seien zwar verbarrikadiert, Schaufensterpuppen jedoch in den ukrainischen Nationalfarben Blau und Gelb gekleidet. Auch nächtliche Luftalarme samt Evakuierung aus ihrem Hotelzimmer erlebten Beiderbecks mit.
Was die Eheleute in ihrem Bunker in Hagen nachstellen, ist in der Ukraine bittere Realität. Und so findet selbst das Inventar des einstigen Atomschutzbunkers noch Verwendung, selbst wenn das niemand mehr für möglich gehalten hätte.