Hagen. Christyna ist 17. Der Krieg hat sie in ein emotionales Chaos gestürzt. Nun ist sie in Hagen gestrandet und gibt Einblicke in ihre Gefühlswelt.

Als ein Hubschrauber durch den Himmel fliegt, hebt Christyna (17) auf dem Schulhof des Hildegardis-Gymnasiums in Hagen erschrocken den Kopf, und auch Maria Nosenko (45) gibt zu, dass sie Angst verspüre: „Das wird vielleicht nie wieder weggehen, ich weiß es nicht.“

Tagelang haben die beiden Ukrainerinnen in ihrer Heimat erfahren müssen, was das Herannahen von Hubschraubern und Flugzeugen bedeuten kann: Bomben, Vernichtung, Krieg. Jetzt sind sie in Hagen gestrandet, doch was sie erlebt haben, lässt sich nicht aus dem Gedächtnis löschen: „Sie haben nach Gefühlen gefragt“, antwortet Christyna dem Reporter: „Am Anfang des Krieges habe ich Angst gespürt, große Angst. Jetzt spüre ich Ärger, Wut und Hass.“

Fünf Tage im Keller gehockt

Christyna stammt aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Kiew. Sie ist zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Danya (14) geflohen. Mit dem Krieg verbindet sie Flugzeuge, Hubschrauber, Detonationen und Zerstörung. Am 24. Februar wurde die Familie von einem Tosen aus dem Schlaf gerissen. Als sie die Haustür öffneten, sahen die drei Frauen eine Rakete in der Luft explodieren, wahrscheinlich getroffen von einem Luftabwehrgeschoss. Um 4 Uhr nachts wurde es taghell.

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Fünf Tage lang hätten sie anschließend im Keller gehockt, berichtet Christyna, und nur eines gefühlt: „Angst!“ Zunächst hätten sie nicht wahrhaben wollen, dass der Krieg über ihr Heimatland hereingebrochen sei, sie hätten immer geglaubt, im Krieg würden nur militärische Ziele angegriffen, aber nicht Zivilisten, Wohnhäuser, Kindergärten, Krankenhäuser. „Jetzt haben wir es verstanden.“

Zwei Wochen flüchteten sie gen Westen, nahmen noch eine Frau und deren Kind mit. Und die Angst fuhr mit, die Angst, eine Rakete könnte das Auto treffen, mit dem sie auf abenteuerlichen Umwegen die polnische Grenze erreichten.

Das Haus des Vaters

Jetzt sind sie in Hagen gestrandet, doch was sie erlebt haben, lässt sich nicht aus dem Gedächtnis löschen: „Sie haben nach Gefühlen gefragt“, sagt Chrystina, und sie will über ihre Gefühle reden: „Ich habe immer noch Angst“, sagt sie. „Aber nicht mehr Angst um das eigene Leben, sondern Angst um die Menschen, die in der Ukraine geblieben sind. Ich habe Angst um meine Freunde und Lehrer, um die Menschen, die mir am Herzen liegen.“

Christyna hat Angst um das Haus. 15 Jahre lang hat ihr vor einem Jahr verstorbener Vater daran gebaut, sie sagt, das Haus sei ihr von ihm geblieben. Sie hat Angst, dass die Russen es zerstören werden, dass sie ihr die Erinnerung an den geliebten Vater nehmen, sie sagt, sie wolle so schnell wie möglich in ihre Heimat zurück, und wenn das Haus dann nicht mehr da sei, sei sie nur noch eine Obdachlose.

Die Propaganda der Russen

Aber sie spricht auch von der Wut und dem Hass. Das russische Fernsehen verbreite eine unerträgliche Propaganda von der Befreiung der Ukraine und der Militäroperation gegen die Faschisten, und diese Lügen und dass die Russen sie auch noch glaubten, steigere ihre Wut noch.

Und auch wenn die Russen es vielleicht nicht besser wüssten, weil sie ja nur diese Propaganda vorgesetzt bekämen, so richteten sich ihre negativen Gefühle nicht nur gegen Putin, sondern gegen alle Russen, die den Krieg gutheißen und ihn führen: „Denn sie sind ja in unser Land gekommen, schießen auf uns und bombardieren uns.“

Im Gegensatz zur russischen wisse die ukrainische Armee, wofür sie kämpfe, sagt Christyna. Es muss ein Tosen der Gefühle in ihr und all den anderen Flüchtlingen sein. Jeder Hubschrauber, der über ihre Köpfe hinwegfliegt, weckt es von neuem.