Altenhagen. Es ist Ramadan-Zeit. Unsere Reporterin besuchte Familie Isik beim Fastenbrechen in Hagen. Die Fastenden möchten zunächst ihren Durst löschen.

19.30 Uhr. Die Tür geht auf. „Willkommen, Frau Laura.“ Willkommen in Hagen, willkommen bei Familie Isik.

Es ist Ramadan-Zeit. Seit 5.05 Uhr hat der Großteil der Familie nichts mehr gegessen. Mikail Isik lebt seit 1980 in Deutschland, seit 1985 in Altenhagen neben dem grauen Betonkoloss, der nur als „Ebene 2“ bekannt ist.

Heute kommen seine zwei Söhne und zwei Töchter, die beide verheiratet sind und jeweils drei Kinder haben, zum Fastenbrechen – Iftar. „Wir sind eine große Familie“ sagt der Mann, der einen Schlüsseldienst betreibt und in Hagen bekannt ist wie ein bunter Hund. Er lacht.

„Von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang wird gefastet“, erklärt Mikail Isik und holt einen schwarzgrünen Ramadan-Kalender hervor, auf dem sich für den gesamten Fastenmonat neben den erlaubten Essenszeiten auch die Gebetszeiten ablesen lassen. Jeden Tag verändern sich diese Zeiten, zumindest ein bisschen. Heute darf die Familie ab 20.27 Uhr das Iftar begehen. Nach 15 Stunden ohne Essen und Trinken. Und wir sind eingeladen.

Keine Lebensmittel verschwenden

Es ist 20.25. Das Essen, das Kerime Isik schon seit einem Tag für den Besuch der Familie vorbereitet, steht auf dem Tisch, Frauen und Kinder essen zusammen, die Männer in einem getrennten Raum nebenan. Es duftet nach Hähnchen. Ein türkischer Gebetsruf ertönt. Das heißt nichts anderes als: Jetzt darf gegessen werden.

Das Fasten wird traditionell mit einer Dattel gebrochen. Dann, nach 15 langen Stunden, kann zum ersten Mal auch wieder getrunken werden. Es gibt Zitronenwasser. „Wir haben jetzt alle vor allem erstmal Durst“, sagt Tochter Betül.

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Beim Iftar wird nicht riesig aufgetischt. Man soll in der Ramadan-Zeit nichts verschwenden. Vor allem keine Lebensmittel. Das übrige Essen, wenn etwas übrig bleibt, wird also nicht weggeworfen, sondern für das Frühstück oder das nächste Iftar aufbewahrt.

Fasten aus Überzeugung

„Heute gibt es erst Linsensuppe. Dann Hähnchen mit Reis, Kartoffeln, Bohnen und Salat“, sagt Kerime Isik. Sie müsste eigentlich nicht fasten, weil sie zuckerkrank ist. Aber sie macht es aus purer Überzeugung. Und weil sie sich dadurch gut fühlt. „Ich habe das mein ganzes Leben lang gemacht.“

Zur Erklärung: Kranke sind vom Fasten ausgenommen, Schwangere oder Stillende fasten ebenfalls nicht (sollten allerdings schnellstmöglich „nachfasten“). „Momentan ist das Fasten auch nicht so anstrengend“, gibt Mikail Isik Einblicke. In der Sommerzeit beispielsweise musste teilweise bis 10 Uhr abends gefastet werden, „also fast 20 Stunden, trotz heißer Temperaturen, ohne Wasser und Essen“, sagt der Familienvater.

Verständnis für Situation von Bedürftigen schärfen

Tochter Betül erklärt: „Man hat mehr Energie und Ruhe, für den Körper ist es wie eine Reinigung.“ Im Prinzip geht es darum zu erkennen, wie es armen und bedürftigen Menschen geht. Wie es ist, Hunger zu leiden, nichts zu essen oder zu trinken zu haben. Aber auch, um sich selbst zu disziplinieren. „Für gläubige Muslime ist Ramadan der allerheiligste Monat. Wir beten viel, lesen aus dem Koran, wir wollen Gutes tun“, sagt Mikail Isik.

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Nach dem Essen ziehen sich alle für kurze Gebete zurück – ebenfalls getrennt. Dann gibt es Nachtisch. Heute typisch deutsch: Bienenstich. Außerdem wird Baklava (ein in Honig oder Zuckersirup eingelegtes Gebäck aus Blätter- oder Filoteig, gefüllt mit gehackten Walnüssen und Pistazien) und türkischer Tee serviert. Die Familie ist traditionell eingestellt und gläubig. „Wir sind sehr glücklich hier in Hagen, haben immer einen respektvollen Umgang erfahren, die ganze Familie ist eingebürgert“, betont Isik, dass er den Großteil seines Lebens in dieser Stadt verbracht hat.

Dank an die „Küchenchefin“ für das leckere Essen

Die Kinder turnen durch das Wohnzimmer. Ausgelassene Stimmung. Mikail Isik gibt seiner Frau einen Kuss auf die Wange und bedankt sich für die Vorbereitung und das leckere Essen bei „der Küchenchefin“. Nach zwei langen Coronajahren, in denen beispielsweise auch kein Zusammenkommen in der Moschee möglich war, freuen sich viele Muslime in der Stadt, dass die Gemeinsamkeit und der Austausch, von denen die Ramadan-Zeit auch lebt, wieder aufleben kann. Beispielsweise beim gemeinsamen Iftar in einer der Moscheen. Nicht nur Türken sind dort, auch Afrikaner, Syrer. „Jeder ist willkommen.“

Ramadan – die wichtigsten Regeln

Sahur – das Fasten startet mit einem Frühmal vor dem Morgengebet und vor der Dämmerung.Iftar – das Fasten endet mit dem Sonnenuntergang. Dann darf wieder gegessen und getrunken werden.Spirituelle Hingabe: Muslime besinnen sich in der Ramadanzeit auf das Gebet und das Lesen des Korans. Sechsmal am Tag wird gebetet.Spenden: für einen guten Zweck, entrichten die meisten gläubigen Muslime in der Ramadanzeit.Ramadanfest: Das Fest markiert das Ende des Fastenmonats. In diesem Jahr geht es vom 2. bis zum 4. MaiAusnahmen: Schwangere, Stillende, Reisende und Kranke fasten nicht. Auch Kinder müssen nicht fasten. Für sie gibt es kleine Geschenke, erzählt Isiks Tochter: „Wie eine Art Adventskalender für den Ramadanmonat.“ Kinder fasten nur, wenn sie möchten und so viel, wie sie schaffen.

Nach dem Nachtisch sitzt die Familie beisammen, schaut Fotos an, unterhält sich. Später geht es noch zum Mitternachtsgebet in die Moschee – oder es wird zuhause gebetet (Männer und Frauen beten getrennt, zuhause in unterschiedlichen Räumen).

Für die Besucherin gibt es zum Abschied eine Packung süßer Datteln – das ist Tradition. Gastfreundschaft wird groß geschrieben. Zwei in vielen Aspekten sehr unterschiedliche Kulturen treffen am Küchentisch in Altenhagen aufeinander. Und dann heißt es „Auf Wiedersehen, Frau Laura.“ Auf Wiedersehen, Familie Isik.