Hagen. Als erster türkischstämmiger Karnevalsprinz machte Erdinc Özcan-Schulz in Hagen vor zehn Jahren Furore.

Karneval ist bekanntlich eine typisch deutsche Lustbarkeit. Das närrische Treiben ist geordnet bis ins kleinste Detail, organisierter Frohsinn eben. Und im Epizentrum dieser strukturierten Anarchie sollte ausgerechnet ein Türke stehen? „Natürlich habe ich mitbekommen, dass über mich und meine Rolle diskutiert wurde“, berichtet Erdinc Özcan-Schulz (49): „Wäre ja auch merkwürdig gewesen, wenn das nicht der Fall gewesen wäre.“

Es ist jetzt zehn Jahre her, dass Erdinc Özcan-Schulz in ganz Deutschland bekannt wurde. Als Hagener Karnevalsprinz. Als erster türkischstämmiger Narrenregent in der Republik. Dass sich das Festkomitee traute, einen Prinzen Erdinc I. auszurufen, galt damals als kleine Sensation.

Dabei ist Erdinc Özcan-Schulz Deutscher und nicht Türke. Seine Eltern kamen Anfang der 70er-Jahre nach Wuppertal, wo der zukünftige Hagener Prinz im Dezember 1972 geboren wurde. Er besuchte die Hauptschule, machte eine Lehre als Autolackierer, kellnerte, arbeitete als Sportjournalist, wechselte das Metier und wurde Bankkaufmann, ehe er sich schließlich als Finanzdienstleister selbstständig machte. „Ich bin ein eingetürkter Deutscher“, sagt der alleinerziehende Vater einer Tochter mit leiser Ironie: „Das Türkisch, das ich spreche, ist eine Art Bauern-Türkisch. In der Türkei bin ich für alle der Deutschländer.“

Seine offene Art hat ihm so manche Tür geöffnet

Es ist vor allem seine offene, gewinnende Art, die Özcan-Schulz so manche Tür im Leben geöffnet und die ihn auch im Karneval hat reüssieren lassen. Ein Bekannter nahm ihn 2012 mit zu einer Prunksitzung in Hagen, Özcan-Schulz gewann sofort Anschluss, schunkelte und feierte fröhlich mit („Wie das so ist auf einem geselligen Abend“) und sah sich einige Monate später vor die Frage gestellt, ob er nicht Prinz werden wolle: „Mit Karneval hatte ich bis dahin eigentlich nichts zu tun. Deshalb bin ich ganz locker geblieben und habe zugestimmt.“

Er habe geglaubt, mehr als ein bisschen Schunkeln und Biertrinken werde ja wohl nicht von ihm erwartet, erinnert sich Özcan-Schulz. Doch dann präsentierte ihm das Festkomitee eine ganze Latte von Terminen, nach einem davon, einem Besuch in einem Altenheim, änderte sich seine Einstellung: „Damals sagte mir eine Frau, dies sei eine ihrer schönsten Abende gewesen. Ich war gerührt, die Dame war 96.“ Özcan-Schulz wusste jetzt, dass Karneval mehr ist als Schunkeln und Biertrinken.

Der „Türken-Prinz“ bleibt authentisch

Aber dass sich das närrische Volk in Hagen bis heute gern an seine Herrschaft erinnert, hat sicherlich in erster Linie mit seiner unverbrauchten Art zu tun. Der „Türken-Prinz“ ließ sich nicht in irgendwelche Rollen pressen, sondern blieb authentisch, was bei ihm heißt: leutselig, kontaktfreudig, zugänglich und liebenswürdig.

Wenn es Karneval nicht gegeben hätte, man hätte es für ihn erfinden müssen. „Ich kann mich auf jede Party einlassen, auf jeden Mensch und auf jede Situation“, sagt er: „Ich kann mich über jedermann lustig machen, aber ich habe auch keine Probleme damit, mich selbst zum Clown zu machen, solange das alles in respektvoller Weise geschieht.“

Özcan-Schulz findet bis heute Gefallen am karnevalistischen Treiben. Es gefalle ihm, sagt er, dass hier alle Altersgruppen und sozialen Schichten zusammenträfen, dass der Unternehmer mit dem Sozialhilfeempfänger zusammen feiere. Von dieser Perspektive aus betrachtet, sagt Özcan-Schulz, dürfe Karneval eigentlich keine typisch deutsche Tradition bleiben, sondern müsse viel internationaler werden.

Das Reglement ist typisch Deutsch

Andererseits sei das bisweilen strenge Reglement, etwa dass man sich als Prinz auf der Bühne nicht einfach nach allen Seiten umdrehen dürfe, in anderen Ländern womöglich schwer zu vermitteln: „Ja, ich würde schon sagen, das ist typisch Deutsch. Aber ich kann damit sehr gut leben.“

Özcan-Schulz hat viele Freunde gewonnen während seiner Zeit als Karnevalsprinz in Hagen, noch heute ist er auf Sitzungen und privaten Feiern ein gerngesehener Gast. Letztlich komme es ja nicht auf die Herkunft an, sondern auf den Menschen an sich, sagt er: „Ich suche mir meine Freunde nicht danach aus, ob sie Türken oder Deutsche, Russen oder Ukrainer sind. Wichtig ist doch, dass ich mit ihnen zurechtkomme, dass wir uns als Menschen verstehen.“

Mehr als Schunkeln und Biertrinken

Als sich seine Amtszeit als Prinz 2013 ihrem Ende zuneigte, habe er eine Art Abschiedstournee unternommen und sich bei allen Vereinen und Gesellschaften in Hagen bedankt, sagt Özcan-Schulz. Ein Präsident habe ihn damals beiseite genommen und ihm gesagt, er sei einer von denen gewesen, die dagegen waren, dass ein „Türke“ in Hagen Prinz werde, aber dass Özcan-Schulz diese Aufgabe großartig ausgefüllt habe und er sich nun bei ihm entschuldigen wolle.

Wie bei der alten Frau im Seniorenheim war Özcan-Schulz gerührt: „Der Mann hätte mir das ja nicht sagen müssen, ich hätte es nie erfahren.“ Aber es sei eine der schönsten Erfahrungen gewesen, die er als Prinz in Hagen gemacht habe und die ihm bewiesen hätten, dass der Karneval mehr sei als Schunkeln und Biertrinken.