Hagen. Es ist immaterielles Unesco-Kulturerbe. Und dennoch nimmt ihre Zahl rapide ab. Walther Fröhlich aus Hagen macht es noch: Brieftauben züchten.

Die gute Nachricht zuerst: Das Brieftaubenwesen ist von der UNESCO-Kommission als immaterielles Kulturerbe in Deutschland anerkannt worden. „Das ist eine große Anerkennung, wir führen eine lange Tradition weiter“, sagt Walther Fröhlich (58). (Keine Nachrichten aus Hagen mehr verpassen: Der WP-Newsletter)

Doch die schlechte Nachricht folgt sogleich: Die Zahl der Brieftaubenhalter sinkt dramatisch. Gab es vor der Jahrtausendwende noch rund 90 Züchter in Hagen, sind es heute gerade mal 30. „Wir werden immer weniger“, bedauert Fröhlich. Verschwindet das gerade erst zum Kulturerbe ernannte Hobby bald ganz von der Bildfläche?

Etwa zehn Tage alte Jungtauben in der Obhut von Walther Fröhlich.
Etwa zehn Tage alte Jungtauben in der Obhut von Walther Fröhlich. © WP | Michael Kleinrensing

So weit ist es zwar noch nicht, doch die Haltung der pfeilschnellen, durchtrainierten Vögel ist zu einem teuren, aufwendigen Zeitvertreib geworden. Und in einer Großstadt wie Hagen ist es für einen Züchter auch nicht leicht, sich mit den Nachbarn zu arrangieren: „Die fühlen sich durch das Gurren, das Fliegen und den Taubenkot schnell gestört“, sagt Fröhlich.

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Da hat er es besser. Der Schlag des Vorsitzenden der Reisevereinigung Lennetal, wie sich der größte Verein in Hagen nennt, liegt auf dem Tücking und bietet den Tauben viel Platz zum Ausfliegen über die nahen Felder und Wälder. 100 Tiere hält Fröhlich hier, darunter die Nummer 0405-18-21, einer seiner erfolgreichsten Flieger. Ein Tauberich übrigens. „Tauben tragen keine Namen, sondern Nummern“, erläutert Fröhlich.

Echte Hochleistungssportler

Beruflich ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Maschinenbau an der Fernuniversität Hagen tätig, seine Freizeit aber widmet er den Vögeln. Obwohl: Auch die Taubenzucht sei eine Wissenschaft, doziert Fröhlich und setzt an zu einem Vortrag über Beringung, Futterauswahl, Training und Zucht: „Brieftauben sind Hochleistungssportler.“ Auf ihren Wettflügen erreichen manche Tiere Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 120 Stundenkilometern.

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Eine aufwendige Angelegenheit

Die Wettflüge sind ebenfalls eine aufwendige Angelegenheit. Die Vögel werden an einen weit entfernten Ort gebracht – nach Passau etwa oder ins österreichische Ennstal – von wo aus sie den Weg nach Hause finden müssen. Das steckt in ihnen drin, mit aller Macht zieht es sie in den heimischen Schlag – wie Menschen, die vor Heimweh in der Fremde vergehen würden. Wie ihnen das gelingt, weiß niemand genau, sagt Fröhlich: „Sie orientieren sich am Magnetfeld der Erde, am Sonnenstand, an optischen Reizen auf dem Erdboden, aber genau erforscht ist das nicht.“

Weibliche Tauben im Taubenschlag von Walther Fröhlich.
Weibliche Tauben im Taubenschlag von Walther Fröhlich. © WP | Michael Kleinrensing

Man kann dem Leistungsvermögen der Vögel aber auf subtile Weise nachhelfen. Viele Züchter lassen nur die Männchen an Wettflügen teilnehmen. Wenn sie in den Schlag zurückfinden, dürfen sie zur Belohnung ein Weibchen begatten: „Das motiviert sie unheimlich, beim nächsten Wettkampf noch schneller zu fliegen.“

Unterschied wie Rennpferd und Ackergaul

Das Konkurrenzdenken unter den Züchtern ist ausgeprägt, sogar Dopingkontrollen gibt es. Kein Wunder, denn mit richtig erfolgreichen Wettfliegern ist durchaus großes Geld zu machen. So zahlte 2018 ein solventer chinesischer Züchter 1,252 Millionen Euro für einen Vogel aus einer Zucht in Belgien. Brief- und Stadttauben unterschieden sich in etwa so wie Rennpferd und Ackergaul, sagt Fröhlich.

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Wenn da nicht die Raubvögel wären. Für Habicht, Sperber und Falke sind Tauben ein gefundenes Fressen, und muskulöse Wettflieger munden ihnen ebenso gut wie herrenlose Stadttauben. Auf dem Tücking haben sich die Greifer schon einige von Fröhlichs Vögeln geholt, was dem Züchter jedes mal einen Stich ins Herz versetzt. „Man baut nunmal eine Beziehung zu seinen Vögeln auf“, sagt Fröhlich. Deshalb bringe er es auch nicht über sich, eines seiner Tiere zu schlachten und zu verzehren.

Jeder Brieftaube wird im Alter von fünf Tagen ein Ring am rechten Fuß aufgezogen. Dieser ist mit einer Nummer versehen und dient als „Personalausweis“.

Ein Beispiel: Die Nummer DV-0405-22-2201 bedeutet dies: DV (Dt. Verband), 0405 (Vereinsnummer), 22 (Jahrgangsnummer), 2201 (laufende Nummer).