Hagen. Die Hagener Philharmoniker und der Dirigent Steve Hackman bringen George Gershwin und Freddie Mercury zusammen. Eine gute Idee?
Was haben die britische Rockband Queen und der amerikanische Komponist George Gershwin gemeinsam? Gar nichts. Außer, dass beide Musiklegenden sind. Zusammenzubringen, was nicht zusammengehört, das fasziniert den US-Komponisten und Dirigenten Steve Hackman. Im Auftrag der Hagener Philharmoniker verschränkt er jetzt im Sinfoniekonzert die berühmtesten Werke von Queen und Gershwin zu einem spannenden Musikexperiment mit glamourösen Einsprengseln. Das begeisterte Publikum im ausverkauften Saal der Stadthalle steht nach dem letzten Takt sofort auf und applaudiert lange im Stehen.
Röhrenglocken zaubern Bombast
Natürlich muss ein Programm „Queen vs. Gershwin“ mit einem Kracher starten. „We Will Rock You“ gibt den Rhythmus des Abends vor, jenen Queen-typischen Stolperpuls, der zwar eine ungeheure vorwärtsdrängende Energie erzeugt, aber gleichzeitig immer wieder jene kleinen spitzen rhythmischen Widerhaken jenseits von Schema F auswirft. Queens Rock ist sinfonisch gedacht, er verlangt nach schwellender Orchestrierung und der breiten Palette, mit der ein Sinfonieorchester Musik malen kann. Daher wirken die Arrangements der großen Klassiker im Orchestersatz von Steve Hackman völlig natürlich und organisch – zumal Drumset und Percussion das Klangbild laut dominieren; Streicher und Bläser liefern darunter das Füllmaterial.
We Are the Champions
Das Publikum ist konzentriert damit beschäftigt, Wiedererkennungseffekte zu verarbeiten, denn Hackman schneidet „We Are the Champions“ mit „An American in Paris“ zusammen, bringt „Under Pressure“ und das „Concerto in F“ nebeneinander. Dazu muss man aber auch sagen, dass im erste Teil Gershwins Ragtime mehr Groove aufbringt als Freddie Mercurys Rock’n’Roll. Die tontechnische Aussteuerung wackelt und auch die Einsätze der Sänger – was aber bei einem solchen Experiment als Arbeit unter Laborversuchsbedingungen anerkannt werden muss. Gershwins Mischung aus Swing, Broadway und Music Hall-Tanzrhythmen ist ja tatsächlich für Orchester geschrieben. Hier kann sich das Philharmonische Orchester Hagen mit seinem ganzen Können in feiner Linienzeichnung und großartigen solistischen Leuchtfeuern zeigen.
Die Jazztrompete singt
Moderator Stefan Keim lobt, wie gut die Sänger Casey Breves, Malia Civetz und Andrew Lipke mit tollem Einsatz den richtigen Stil treffen: „Es gibt nicht so viele Leute, die Freddie Mercury gut singen können, und diese drei gehören dazu.“ Für Glanz und Glamour sorgen derweil die Röhrenglocken und allerlei andere Zaubereien im Schlagzeug, während die Jazztrompete und der weiche Posaunensatz bei Gershwin die menschliche Stimme ersetzen.
Steve Hackman ist mit seinen musikalischen Fusionen ausgesprochen erfolgreich in den USA. Der Hagener Generalmusikdirektor Joseph Trafton hat ihn nach Europa geholt, erstmals 2020 ist er mit „Beethoven vs. Coldplay“ und einer Saturday Night Lounge im Theater Hagen aufgetreten. Erst jetzt am Samstag wurde das Beethoven-Coldplay-Projekt unter großer Begeisterung weiterentwickelt.
Ein großes Abenteuer
Die sensible, elegante, innovative Musiksprache Gershwins mit den bombastischen Klangwelten von Queen zu vermählen, ist allerdings eine ganz andere Hausnummer. Steve Hackman macht daraus ein großes Abenteuer für alle Akteure. Er verschränkt im Finale die beiden berühmtesten Rhapsodien des 20. Jahrhunderts zu einer „Bohemian Rhapsody in Blue“. Dafür nimmt er die Einzelteile von Gershwins und Mercurys Kompositionen auseinander und montierte sie gewissermaßen übereinander, so dass Mercurys avantgardistische Textzeilen über Gershwins Tönen erklingt. Als Pièce de Résistance schwebt der Pianist Micah McLaurin über die Bühne zum Flügel, hellblond und in einen weißen Glitzeranzug gewandet, darüber ein Cape, das die Hochzeitsschleppe von Herzogin Megan hausbacken aussehen lässt. Dieses Kostüm funkelt und sprüht mit dem wunderbaren Orchester um die Wette, die Sänger gehen leidenschaftlich mit, während das Publikum vor Aufregung Schnappatmung kriegt. Das ist große Oper im Sinfoniekonzert.
Als Zugabe vereint eine innige Liebeserklärung alle Akteure noch einmal zu einer berührenden musikalischen Geste: Somebody to Love.