Hagen. Viele kleine Aktionen können die Welt verändern: Warum Amber Neumann, Kenneth Mattice und Gennaro Chianese in Hagen Geflüchteten helfen
Untätig zusehen, das liegt ihnen gar nicht. Daher haben drei Künstler des Theaters Hagen kurzerhand angepackt, als ein Tänzer vom Dortmunder Ballett um Hilfe für drei geflüchtete Mütter mit Kindern aus der Ukraine bat, die er über Bekannte von Bekannten kannte. Daraus ist die Aktion #Hagenhelps entstanden. Amber Neumann, Kenneth Mattice und Gennaro Chianese fahren derzeit in ihren Freistunden zwischen Balletttraining, Opernprobe und Aufführung durch die Stadt und sammeln Spenden ein. Sie hoffen, dass sich daraus ein Schneeballprinzip der Unterstützung ergibt.
Überwältigende Resonanz
„Wir hatten keine Ahnung, was passiert, als wir uns erkundigt haben, wer uns Wohnungen und Möbel überlassen könnte“, blickt Amber Neumann, Trainingsleiterin und Choreographie-Assistentin des Hagener Balletts, zurück. Es ist erst wenige Tage her, doch die Weltsicht der drei Ehrenamtlichen hat sich seither radikal verändert. „Wir haben so nette, so offene Leute gefunden. Wir haben über unsere Netzwerke und über Ebay-Kleinanzeigen gefragt: Wer kann ein Bett spenden, wer Möbel, wer hat ein freies Appartement? Und es kam sofort Rücklauf. Mein früherer Vermieter hat uns eine Wohnung zur Verfügung gestellt, und er will keine Miete, sondern nur die Nebenkosten haben. Das ist überwältigend.“
Tänzer Gennaro Chianese ergänzt: „Die Hilfsbereitschaft war wunderbar. Es war so schön, zu den Leuten zu fahren und zu sehen, wie sehr sie helfen wollen. Diese Hilfsbereitschaft, diese Offenheit, das zeigt eine Seite von Hagen, die gerne übersehen wird. Sie ist das Schönste, was mir in fünf Jahren Hagen passiert ist.“
Schutz und Obdach geben
Gennaro Chianese kommt aus Neapel in Italien, Amber Neumann aus Michigan in den USA und Bariton Kenneth Mattice aus Wisconsin/USA. Mattice ist auf einem Bauernhof aufgewachsen und damit prädestiniert dafür, den Kleinbus zu steuern, den das Theater den drei Engagierten zur Verfügung gestellt hat. Am Interview konnte er krankheitsbedingt nicht teilnehmen. Inzwischen hat das Trio vier Wohnungen organisiert und möbliert, in denen insgesamt acht Frauen mit sieben Kindern Schutz und Obdach gefunden haben. Nun brauchen sie aber selber Hilfe: für die Begleitung der Geflüchteten bei Behördengängen, bei der Einschulung, der Suche nach Jobs, kurzum der Begleitung bei der Integration. Und natürlich sind weiterhin Wohnungen, Möbelspenden, Einkaufsgutscheine und Geldspenden sehr willkommen.
Die Theaterkünstler verstehen sich als Verbindung zwischen den Geflüchteten und der Gesellschaft. Amber: „Wir können ihnen Trost geben, sie besuchen, ihnen beim Deutsch lernen helfen. Eine Wohnung zu finden, ist nicht schwer, aber einen Alltag in Würde zu finden, dem Alltag eine sinnvolle Struktur zu geben, das ist schwer.“
Das kann jedem passieren
Amber Neumann, Gennaro Chianese und Kenneth Mattice haben festgestellt, dass Hilfe nach dem Schneeballprinzip funktionieren kann wie ein Crowdfunding, eine Schwarmfinanzierung: Wenn jeder eine Kleinigkeit beisteuert, die er entbehren kann, Geld, Zeit, Dinge, können alle als Gemeinschaft etwas bewirken. „Jedes Kleine kann zu etwas Großem beitragen. Wir möchten diese Idee teilen. Es ist toll zu sehen, wie die Solidaritätsmaschine läuft“, zieht Gennaro eine erste Bilanz. „Wir leben so, als wären wir in Sicherheit und uns könnten keine schlimmen Dinge passieren, keine Arbeitslosigkeit, keine Flucht. Jeder sollte aber lernen, dass jedem von uns so etwas passieren kann.“
Erfahrung öffnet Augen
Die Hilfe hilft in wundersamer Weise auch den Helfern. „Diese Erfahrung hat meine Augen geöffnet, wie viel Gutes es gibt. Ich lerne Neues über die Gesellschaft.“ Gennaro Chianese reflektiert damit nicht zuletzt die Corona-Pandemie. „Wir haben in den vergangenen zwei Jahren ein wenig das Gefühl für Gemeinschaft verloren. Als Tänzer war ich zwei Jahre lang nicht im Körperkontakt mit meinen Kollegen. Wir haben vergessen, wie es ist, um Hilfe zu bitten.“
Wir sind alle zusammen da
Amber ergänzt: „Wir haben uns zwei Jahre nicht gesehen, aber wir sind noch alle zusammen da. Wenn mehr Leute Verantwortung übernehmen und sich kümmern, wird die Bürde für jeden einzelnen leichter. Kleine Aktionen von vielen Leuten können einen Unterschied machen.“ Daher hoffen die drei Künstler auf weitere Unterstützung. „Don’t think globally, act locally“, dafür plädiert Gennaro Chianese.
Kontakt über Amber Neumann: hagenhelps@gmail.com