Tausende strömten in die Ausstellung von Sylvester Stallone in Hagen. Zum Abschied in einigen Tagen schreibt ihm Reporter Mike Fiebig einen Brief.
Sehr geehrter Herr Stallone,
die Zeit läuft ab. Die ihrer Ausstellung im Osthaus-Museum in Hagen. Ihre eigene Lebenszeit. Meine auch. So melancholisch wie das klingt, ist es gar nicht gemeint. Es ist vielmehr eine Vergegenwärtigung. Wir sind endlich. Und die Zeit kommt niemals mehr zu uns zurück. Das Thema und das dazugehörige Uhren-Symbol durchzieht fast jedes ihrer Werke, die in unserem Museum hängen.
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Für die kommenden Tage, das dürfte Sie interessieren, werden noch einmal Hunderte Besucher im Museum erwartet. Sie reihen sich an Tausende, die ihre Werke seit Ausstellungsbeginn bereits gesehen haben. Ich bin gestern noch mal dort gewesen. Ich lasse ihnen in diesen Zeilen ein paar Gedanken von Menschen da, die ich getroffen habe – und von mir selbst.
Berührt und bewegt von Ausstellung
Ich traf Petra Hehl und Michael Schumacher. Nein, sein Name ist kein Scherz. Er heißt wirklich so. Die beiden sind gestern Morgen an der österreichischen Grenze, wo sie leben, losgefahren, um die Ausstellung in Hagen zu sehen. Sie sind, Sie mögen sich vielleicht nicht erinnern, Herrn Schumacher 1984 am Tegernsee begegnet, als Sie eine Frischzellenkur dort gemacht haben. Er sagt: „Die Begegnung und noch ein paar andere Dinge, die Stallone betreffen, haben sehr viel mit meinem Leben gemacht.“ Er ist nicht weiter darauf eingegangen. Aber er war berührt und bewegt. Davon, ihrer Kunst nah zu sein.
Die Zeit kommt niemals zurück
In das Gästebuch vor dem Christian-Rohlfs-Saal haben Menschen aus der ganzen Welt ihre Berührung durch die Ausstellung niedergeschrieben. Aus den USA, aus Italien, aus Deutschland, aus England. Eine Annika schrieb auf Englisch: „Die Zeit kann man nicht besitzen, aber man kann sie nutzen. Der größte Fehler, den man machen kann, ist zu denken, dass man Zeit hat. Und wenn sie einmal verloren ist, kommt sie nie zurück.“ Annika hat recht. Sie haben recht. Mit ihren Bildern und der stetigen Aufforderung darin, sich dieser Endlichkeit bewusst zu werden.
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Kunst durch Kinderaugen
Ich traf Ina Esch, eine Fotografin, mit ihren drei Kindern und deren Großmutter im Gepäck. Sie waren aus Münster da. Sie schwärmten von unserem Museum, wie schön es sei. Und Ina Esch erzählte mir, dass sie es genieße, zu sehen, wie Kinder durch ihre Augen Kunst betrachten.
Ihre Kunst, Herr Stallone. Mala, Kilian und Tom, die Kinder von Ina Esch, wissen nichts über Sie. Kein Rocky, kein Rambo, kein Weltstar-Thema. Sie waren begeistert von der Farbpracht, von den Motiven. Von der Nähe zur Kunst.
Ein Coup für unsere Stadt
Sie waren ein Coup, Herr Stallone. Einer für unsere Stadt, für unser Museum. Sie waren ein Türöffner zu diesem ersten Museum der Moderne, dass es weltweit überhaupt gab. Nicht New York, nicht Paris, nicht London oder sowas.
Hagen, Herr Stallone, Hagen.
Osthaus hätte Stallone ausgestellt
Ich will Sie nicht mit der Kunsthistorie unserer davon ab weltweit eher unbekannten Stadt nerven. Aber Karl Ernst Osthaus war mit diesem Museum angetreten, den damaligen Arbeitern dieser Stadt zeitgenössische Kunst zugänglich zu machen. Er kaufte und bestellte bei lebenden Künstlern, bei Avantgardisten, bei, entschuldigen Sie den laienhaften Ausdruck, In-Neu-Richtungen-Denkern. Es ist gut vorstellbar, dass Osthaus in seinem Folkwang-Museum, das ursprünglich in dieser, unserer Stadt in einem einmaligen Gebäude von Henry-van-de-Velde entstand, auch Sie ausgestellt hätte, Herr Stallone. Sie sind zwar ein Weltstar, aber auch ein zeitgenössischer Künstler mit einer langen Maler-Historie. Sie wären mitunter etwas für Osthaus gewesen.
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Was bleibt eigentlich von ihrer Ausstellung in Hagen? Hohe Besucherzahlen? Ein Image-Gewinn für Hagen? Geld in der Museumskasse? Vielleicht ein Bilderverkauf für Sie? Alles möglich und denkbar. Ich sehe aber eine ganz andere Geschichte, Herr Stallone. Die zweier Verkannter, zweier Übersehener, zweier Underdogs.
Parallelen zu Hagen
Unsere Stadt ist so viel besser als viele, die hier leben, sie bewerten. Und so viel schöner, als viele, die nie wirklich lange hier waren, über sie reden. Unser Museum ist von Weltruf. Es ist ganz dringend für jeden, der nie da war, einen Besuch wert. Ihre Bilder, ihre Ausstellung haben das wieder bewiesen.
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Sie haben Menschen nach Hagen gelockt, die hier sonst nicht hinkommen und die mit guten Worten über Hagen wieder nach Hause fahren. Sie haben jene ins Museum gelockt, die es jeden Tag vor der Haustür haben und den Schatz vor Augen nicht sehen. Oder nicht sehen wollen. Oder beides. Das verkannte Hagen ist ins Licht getreten.
Mehr als nur „Rocky“
Sie aber auch, Herr Stallone. Sie sind nicht (nur) Rocky. Oder Rambo. Oder der armdrückende Truck-Fahrer aus „Over the top“. Sie sind ein Künstler. Seit über 50 Jahren. Sie sind sensibel. Sie reflektieren unentwegt. Sich und die Welt. Sie sind feinfühlig, verletzlich und melancholisch. Sie mussten 75 Jahre alt werden, damit ein breites Publikum diese Seite an ihnen erfahren durfte. In und durch unsere Stadt, unser Museum. Hagen und Sie, Herr Stallone, haben in meinen Augen durchaus etwas gemeinsam. Ich bin froh, das gesehen zu haben.
Große Resonanz für die Kunst
Zum Ausstellungsfinale werden noch zahlreiche Menschen durch das Museum gehen, um „Best of life“, ihre Ausstellung, anzuschauen. Führung wird sich an Führung reihen, Menschen aus ganz Deutschland werden noch einmal erwartet. Ist es nicht schön, zu sehen, dass das, was ihnen immer am wichtigsten war, hier bei uns große Resonanz erfährt? Die Kunst nämlich.
Sie können uns einen großen Gefallen tun, Herr Stallone. Sie könnten da, wo Sie hinkommen, gut über uns sprechen. Die Besucher der Ausstellung in Hagen werden derweil weitererzählen, wie ihre Kunst sie berührt hat.
Auf bald. Mike Fiebig