Hagen. Missstände in der Pflege: Eine Krankenschwester aus Hagen kündigt. Den Alltag in der Klinik kann sie mit ihrem Gewissen nicht länger vereinbaren.
Es ging einfach nicht mehr. Und deshalb ist seit knapp drei Wochen Schluss. Schluss, ohne dass Susanne Schulte (Name von der Redaktion geändert) eine neue Anstellung gefunden hatte. „Diese Missstände mitzutragen, Teil dieses Systems zu sein“, sagt sie, „das will ich nicht mehr. Und das kann ich auch mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren.“
Krankenschwester Susanne Schulte (47), mitten im Berufsleben, hat ihre Anstellung in einer Hagener Klinik gekündigt. Nach 23 Jahren. „Das, was ich zuletzt auf der Station erlebt habe, hat mich in diesem Entschluss bestärkt“, sagt sie und hat dabei auch die Monate der Corona-Pandemie im Auge, „aber im Grunde genommen war die Situation vorher auch nicht besser.“
Überbelegte Stationen und fehlendes Personal
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Dann erzählt sie – vom Personalmangel, von ständigen Änderungen in den Dienstplänen, von fehlenden Ansprechpartnern für die Pflegekräfte, von der schlechten Zusammenarbeit der unterschiedlichen Berufsgruppen, von der zunehmenden Bürokratisierung, von überbelegten Stationen und knappem Personal.
„An eine vernünftige Übergabe zwischen den Schichten war nicht zu denken. Für Pausen war keine Zeit. Und trotzdem ist keine Zeit geblieben, sich mit der eigentlichen Pflege zu beschäftigen“, sagt Susanne Schulte. „Immer wieder sind Kräfte aus Leiharbeitsfirmen eingesprungen. Sie kannten die Stationen nicht, die Räumlichkeiten, die Abläufe, die Patienten – für die Kollegen, die fest im Haus angestellt sind, hat das erhebliche Mehrarbeit bedeutet. Von Entlastung keine Spur.“
Patient wird zum Störfaktor
Die Leidtragenden neben den Pflegekräften: die Patienten. „In der Institution Krankenhaus droht er zu einem Störfaktor zu verkommen“, sagt Susanne Schulte, „es geht schon lange nicht mehr um Menschen und ihre Geschichten, ihre Schicksale. Es geht um Zimmernummern, um Diagnosen, um Zahlen – darum, wie viel Geld Untersuchungen und Eingriffe für das Haus bringen. Qualität in der Pflege spielt keine Rolle mehr. Wir reagieren nicht schnell genug, es passieren Fehler, wir arbeiten am Limit, und das Klima ist angespannt.“
Die Kündigung ist die letzte Konsequenz. „Ich habe nicht geschwiegen“, sagt Susanne Schulte, „ich habe mich an Stationsleitungen gewandt, ich mich mit dem Pflegemanagement auseinandergesetzt, die Mitarbeitervertretung eingeschaltet. Geändert hat das alles nichts.“ Und weiter: „Ich hatte das große Glück, in Deutschland eine hochwertige Ausbildung absolvieren zu können. Die Ansprüche waren hoch. Und ich bin nicht bereit, diese Ansprüche jetzt – nach so vielen Jahren – herunterzuschrauben. Dieser Beruf ist eigentlich so attraktiv, so abwechslungsreich – aber er ist systematisch heruntergewirtschaftet worden.“
Das Klatschen hilft Pflegekräften im Alltag nicht weiter
Dabei wird über Missstände diskutiert, dem Pflegepersonal in der Coronazeit öffentlich applaudiert. „All das bringt die Beschäftigten und die Patienten aber nicht einen Schritt voran“, sagt Susanne Schulte, „Klatschen ist eine nette Geste. Aber im Alltag hilft es herzlich wenig. Die Probleme werden vergessen und verdrängt. Ich kenne viele Kollegen, die auf den Job angewiesen sind, den Druck ertragen und den Kampf gegen Missstände längst aufgegeben haben. So weit wollte ich es nicht kommen lassen.“