Hagen. Uwe Winter ist Pfleger auf der Intensivstation im Johannes-Hospital in Hagen. Die Corna-Zeit hat für ihn vieles verändert.
Vielleicht reicht in dieser vermaledeiten Krise ein einziger Superlativ gar nicht mehr aus. Vielleicht ist so vieles „das Schlimmste“. Deshalb muss Uwe Winter auch einen kleinen Moment grübeln. Und dann sagt er: „Das Schlimmste sind die Reglementierungen. Das Schlimmste ist, dass viele Besucher nicht zu ihren Angehörigen können. Es sterben Menschen, es spielen sich menschliche Dramen ab.“
Intensivstation, Johannes-Hospital Boele: Da, wo Uwe Winter (49) arbeitet, gehören Dramen manchmal zum Alltag. Und doch sind diese Dramen in der Corona-Zeit besondere. Dramen, die auch jemandem nahe gehen, der seit 25 Jahren als Krankenpfleger arbeitet, der mal Freude, der immer wieder auch Elend auf der Intensivstation erleben muss. Einem, dem es eigentlich gelingt, all das hinter sich zu lassen, wenn sich die Kliniktür nach Feierabend schließt. „Man stumpft mit der Zeit ab, das muss auch so sein. Sonst zerbricht man irgendwann.“
Dramen auf der Intensivstation in Hagen
Kein Bonus für Hagener Pflegekräfte
Mit einem Pflegebonus sollten all die Beschäftigten in Krankenhäusern belohnt werden, die besonders bei der schwierigen Versorgung von Covid-19-Patienten belastet waren.
Nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz gelten als „besonders belastete Krankenhäuser“ aber nur die, die im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Mai bei weniger als 500 Betten mindestens 20 mit dem Coronavirus infizierte Patienten behandelt haben oder bei mehr als 500 Betten mindestens 50.
Diese Kriterien treffen auf keine Hagener Klinik zu.
Was diese Dramen zu besonderen Dramen macht… „Es kommt die Einsamkeit hinzu“, sagt Uwe Winter. „Menschen, die in Kliniken sterben, werden oft von ganzen Familien begleitet. Das geht jetzt nicht. Auf der Intensivstation müssen Menschen in Einsamkeit sterben. Allein.“
Uwe Winter erlebt diese Dramen. Auf der Station, an den Betten und noch einmal am Telefon, wenn er mit den Angehörigen spricht, ihnen Botschaften überbringen muss, die niemand hören will. „Es braucht dafür Zeit“, sagt der Mann, der alles hat, nur keine Zeit. „Und diese Zeit, die muss man sich einfach nehmen. Ich denke immer, es könnten ja auch meine Angehörigen sein, die dort liegen.“
Grenzerfahrungen im Corona-Alltag
Dramen und Grenzerfahrungen gehören zu einem bitteren Corona-Alltag. Uwe Winter, Pfleger und Mitglied der Mitarbeitervertretung, zählt zu jenen, die schon lange im Job sind. „Wir müssen in diesen Situationen versuchen, die jungen Kollegen aufzufangen.“
Kollegen, Intensivpfleger, die in dieser vermaledeiten Corona-Krise einst öffentlich beklatscht wurden. Politiker haben sich das zunutze gemacht und großspurig Sonderzahlungen versprochen. Uwe Winter und nicht einer seiner Kollegen, die in Hagener Kliniken seit Monaten im Grenzbereich schuften und nicht auf Arbeitszeiten achten, haben davon zunächst keinen einzigen Cent gesehen. Dafür, so hat sich später herausgestellt, haben alle Häuser dann doch nicht genügend Corona-Patienten behandelt – bittere Corona-Realität.
Tropfen auf den heißen Stein
Immerhin: Es soll jetzt eine Regelung geben. Boni nach Gehaltsgruppen. „Aber letztlich ist das ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Uwe Winter, der sich in der Mitarbeitervertretung engagiert. „Abgesehen davon sind es nicht nur wir Pfleger, die in Klinken Großartiges leisten. Was ist beispielsweise mit den Mitarbeitern an der Pforte oder mit den Raumpflegern, die auf Einhaltung der Hygiene achten. Das ist eigentlich ein Thema für die gesamte Belegschaft.“
Grenzerfahrungen gehören schon immer zu Uwe Winters Alltag. Auf einer Station die so langsam an Grenzen gerät. Nicht etwa, weil es an Betten fehlen könnte. „Es fehlt einfach am Personal“, sagt Uwe Winter. Er und seine Kollegen arbeiten am Limit, manchmal auch jenseits einer Grenze, die man nicht genau festmachen kann. Mehr, viel mehr – das geht einfach nicht.
Pflege auf der Intensivstation wird noch intensiver
Pflege auf der Intensivstation ist immer intensiv, jetzt, am Corona-Patienten, noch intensiver. „Das richtige Lagern ist wichtig“, sagt Uwe Winter, „das ist auch körperlich anspruchsvoll. Dazu die Schutzbrille, die Maske, der Anzug. Nach zehn Minuten läuft einem das Wasser am Hintern runter. Zum Teil sind wir aber eine halbe Stunde an einem Patienten. Die Angst, dass man sich selbst anstecken könnte, ist immer dabei. Wir führen Tagebuch, beobachten uns selbst.“
Vieles haben Uwe Winter und seine Kollegen seit März dazugelernt. „Wir wissen, welche Vorteile welche Therapie bietet“, sagt er, „aber das eine Medikament, das wirklich hilft, das gibt es eben trotzdem nicht.“
Ein Krankenpfleger aus Leidenschaft
Immerhin: Es gibt jetzt einen Impfstoff. Uwe Winter wird zu den ersten gehören, die ihn verabreicht bekommen. „Ich werde mich möglichst zeitnah impfen lassen“, sagt er, „aber ich habe mir das sehr genau überlegt, habe durchaus gehadert.“
Vielleicht werden die Dramen mit den Impfungen weniger. Und vielleicht rückt dann das, was diesen Beruf ausmacht, für Uwe Winter wieder in den Fokus. „Ich bin gerne Krankenpfleger“, sagt der dreifache Familienvater, „sonst würde ich diesen Beruf ja nicht so lange ausüben. Menschen zu helfen, wieder einen möglichst normalen Alltag erleben zu können – das treibt mich an.“ Auch in dieser vermaledeiten Corona-Zeit.