Hagen. Wie die Hochwasser-Experten der Feuerwehr Hagen Michael Funke und Kai Riepe über die Aufarbeitung des Unwetters denken

Welche Lehren aus der Flutkatastrophe zu ziehen sind, darüber gehen die Meinungen bei der Feuerwehr auseinander. Von der Kritik von zwei Hagener Feuerwehrleuten vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages vergangene Woche distanzierte sich Hagens Feuerwehrchef Veit Lenke und verwies auf die Aufarbeitung des Hochwassers mit den Experten Kai Riepe und Michael Funke. Die beiden Beamten der Berufsfeuerwehr beschäftigen sich seit Jahren mit der Frage, wie Hagen auf Hochwasser und Extrem-Unwetterlagen besser vorbereitet werden kann und haben in der Zeit verschiedene Maßnahmen angestoßen. Was die Feuerwehrmänner aus der Flut für den Hochwasserschutz gelernt haben und warum sie die Kritik ihrer Kameraden nicht teilen.

Die Beamten der Berufsfeuerwehr Michael Funke (links) und Kai Riepe beschäftigen sich seit Jahren mit dem Hochwasserschutz. Auf ihre Initiative wurde etwa ein Sandsacklager in Berchum errichtet und neue Pumpen angeschafft.
Die Beamten der Berufsfeuerwehr Michael Funke (links) und Kai Riepe beschäftigen sich seit Jahren mit dem Hochwasserschutz. Auf ihre Initiative wurde etwa ein Sandsacklager in Berchum errichtet und neue Pumpen angeschafft. © WP | Michael Kleinrensing

So schwere Überschwemmungen wie in diesem Juli hat es in Hagen seit mehr als hundert Jahren nicht mehr gegeben. In Nahmer und Wesselbach waren es besonders die vielen kleinen Flüsse, die zu reißenden Strömen wurden. Was lernt man da für die Zukunft?

Michael Funke: Es werden bauliche Maßnahmen von der unteren Wasserbehörde und dem Wirtschaftsbetrieb Hagen getroffen, wie etwa erhöhte Stützbalken. Darüber hinaus gibt es zusammen mit Ingenieurbüros Überlegungen, wie wie man so einer Hochwasser-Lage in Hagen künftig besser begegnen kann, auch mit Blick auf den Klimawandel. Wir sind da im Gespräch.

Gibt es einen Zeitplan, bis wann konkrete Ergebnisse vorliegen?

Funke: Nein, weil wir noch in der Aufbereitung des Hochwassers sind. Die Stadt hat aber schon reagiert: Bei der Unteren Wasserbehörde sind zwei zusätzliche Wasserbauingenieure eingestellt worden und bei der Feuerwehr arbeiten Kai Riepe und ich ab kommenden Jahr zu zweit an dem Thema. Das läuft natürlich ganzstädtisch, aber schwerpunktmäßig müssen wir etwa in Hohenlimburg, Dahl, Delstern, Volme, Selbecker Bach gucken. Die Lenne ist im unteren Bereich ausgeufert, da haben wir zum Glück die Renaturierung, wo sich das Wasser ausbreiten konnte.

Kai Riepe: So eine Renaturierung wie an der Lenne haben wir bei Volme und Ennepe nicht. Die Volme ist einer unserer gefährlichsten Flüsse, weil er durch die Innenstadt geht und kanalisiert ist. Bei der Lenne haben wir genug Fläche, wo das Wasser hinfließen kann. Und für den Holthauser Bach steht auch die Frage im Raum, wie wir den Fluss am besten auslaufen lassen können.

Funke: Der Kölner Hochwasserschutz, mit dem wir im engen Kontakt stehen, hat nach jedem Rhein-Hochwasser die Schutzvorrichtungen um zehn Zentimeter erhöht. Wir müssen nach jedem schweren Regen-Ereignis gucken, ob wir noch mal eine Schüppe oben drauflegen. Es ist ein dynamischer Prozess.

Was heißt das konkret?

Funke: Wenn ich zum Beispiel am kompletten Fluss eine zehn Meter hohe Mauer ziehe, dann kann der Fluss zwar nie ausufern, aber dann kann bei Starkregen auch kein Wasser mehr mehr in den Fluss abfließen und die Überschwemmungen im Umfeld werden verschärft.

Riepe: Hinzu kommt: Was passiert am Ende dieser zehn Meter hohen Mauer? Wenn sich das Wasser in einem Abschnitt nicht ausbreitet, dann breitet es sich woanders aus. Das Problem wird nur verlagert. Deswegen muss man das Thema ganzheitlich sehen und das macht es so komplex.

Funke: Alle Maßnahmen, die wir ergreifen, müssen mit allen Akteuren abgestimmt werden – mit dem Wirtschaftsbetrieb Hagen ebenso wie etwa mit der Unteren Wasserbehörde. Das muss abgestimmt werden in einem gemeinsamen Alarmplan und das schafft man nicht in wenigen Monaten oder Jahren.

Muss man das nicht schneller schaffen?

Funke: Das kann man nicht schneller schaffen. Weil uns die Daten von Hochwasserrisiko-Karten zu ungenau waren, haben wir vor ein paar Jahren die Firma Hydrotek zur Datenerhebung beauftragt, die Volme neu zu berechnen. Bis das Ergebnis vorlag, hat es 1 ½ Jahre gedauert. Es mussten Querprofile von den Flussläufen erstellt, Abflusshindernisse ermittelt und Stressfaktoren und die Topographie eingerechnet werden. Und dann kommt ein Jahrhundert-Starkregen, bei dem es in einem Waldgebiet in der Nahmer 242 Liter pro Quadratmeter geregnet hat und das Wasser mit Geröll die Berge hinunter strömte. Darauf ist keine Kommune und kein Land ausgerichtet, da können sie noch so hohe Schutzmaßnahmen haben.

Also würden sie sich den Forderungen ihrer Kollegen aus dem Untersuchungsausschuss des Landtages nicht anschließen, wonach man etwa bessere Warn-Apps bräuchte und generell hätte mehr tun können?

Funke: Wir haben bei der Feuerwehr Hagen über tausend Einsatzkräfte und da ist nicht jeder derselben Meinung. Die beiden haben sich als Privatpersonen vor dem Ausschuss geäußert und wir sind da anderer Meinung. Das Land NRW hat auf die Flutkatastrophe reagiert, eigentlich die ganze Bundesrepublik: Weil man Systeme einführen will wie in Holland, wo im Ernstfall Warnungen per vorinstallierter App auf jedes Handy geschickt werden. Wir sind stolz darauf, dass die Stadt Hagen seit 2015 jedes Jahr in den Hochwasserschutz investiert hat. Es wurde Gerät angeschafft und es werden Stellen geschaffen. Wir sind anders aufgestellt durch die Beschaffungen der vergangenen Jahre und in Hagen ist bei dem Starkregen niemand zu Tode gekommen. Sicher müssen wir mit den neuen Erkenntnissen aber auch noch nachsteuern.

Es muss mehr Gerät geben...?

Funke: Es muss mehr Gerät geben und es müssen zum Beispiel gefütterte Wathosen angeschafft werden, weil die Kameraden frieren, wenn sie über Stunden im Hochwasser arbeiten. Das sind Erkenntnisse, die wir aus der Aufarbeitung der Flut im Juli gewonnen haben. Wir sind zudem mit Firmen und Behörden in Hagen in Kontakt, um die Hochwasser-Schutzmaßnahmen abzustimmen. Auch die Meldeketten von Bezirksregierung, Hochwasser-Meldedienst und Deutschen Wetterdienst werden mit uns überarbeitet, damit wir künftig noch schneller reagieren können. Das sind Sachen, wo sich Hagen nicht verstecken muss und zukunftsorientiert aufgestellt ist. Ich bin stolz darauf, was wir in den letzten sechs Jahren erreicht haben – vor allem mit Blick auf die Zusammenarbeit. Alle Akteure sitzen bei dem Thema an einem Tisch. Wir haben etwa einen runden Tisch mit dem Wirtschaftsbetrieb Hagen, wo das Szenario aufgearbeitet wird.

Gemeinsame Arbeit

Vor sechs Jahren übernahm der Hohenlimburger Michael Funke eine Stelle mit dem Sachgebiet „Hochwasser und Extrem-Unwetterlagen“. Weil Funke 2020 zur Feuerwehrschulung wechselte, übernahm Kai Riepe die Stelle.

Ab 2022 beschäftigen sich die Feuerwehrleute Funke und Riepe gemeinsam mit dem Hochwasserschutz in Hagen.

Riepe: Diese Empfehlung geben wir auch bei Vorträgen in anderen Kommunen: Sprecht miteinander. Da sagt die Feuerwehr das eine, das Umweltamt das andere – dabei gibt es ganz viele Schnittpunkte, die man Ämter und organisationsübergreifend miteinander besprechen muss. Wir haben gelernt, dass wir größer und anders denken müssen. Auf dieser Basis einen gemeinsamen Einsatzplan zu machen ist viel sinnvoller als alles andere.

Aber verderben zu viele Köche nicht auch den Brei?

Funke: Es muss natürlich abgestimmt werden. Jeder verfolgt sein eigenes Ziel, aber es gibt viele Schnittmengen. Beispiel: Im Herbst hatten wir Einsätze, bei denen sich nach Regen Laub vor die Bachläufe gesetzt hat. Wir waren mit der Feuerwehr in Holthausen im Einsatz, der WBH am Milchenbach und in der Nahmer, wo auch andere Kollegen der Feuerwehr auf den WBH getroffen sind. Das sind solche Beispiele, wo ein Rad ins andere greift.

Riepe: In dem Fall erreichten uns vorher auch viele Anrufe aus der Bevölkerung, die uns auf die zugesetzten Bachläufe hingewiesen haben. Vor der Flut hätte sich da wohl kaum jemand gemeldet, als die Bachläufe voller liefen. Aber die Bürger sind nach der Flut vor ihrer Haustür viel sensibler geworden.

Gemeinsame Arbeit

Vor sechs Jahren übernahm der Hohenlimburger Michael Funke eine Stelle mit dem Sachgebiet „Hochwasser und Extrem-Unwetterlagen“. Weil Funke 2020 zur Feuerwehrschulung wechselte, übernahm Kai Riepe die Stelle.

Ab 2022 beschäftigen sich die Feuerwehrleute Funke und Riepe gemeinsam mit dem Hochwasserschutz in Hagen.