Boele. Friedhelm Witte aus Hagen hat 21 Jahre lang an jeder Sitzung der Bezirksvertretung Nord teilgenommen. Sein Metier: die Einwohnerfragestunde.
Da steht er nun auf seinem Boeler Marktplatz. Um die Ecke, in einem Haus in der Dortmunder Straße, ist er aufgewachsen. Er war Messdiener, Eisenbahner und dann Lokalpolitiker in Hagen. Aber nicht in offizieller Mission. Friedhelm Witte (81) hat niemals für ein politisches Amt kandidiert, geschweige denn eines bekleidet, nie einer Partei angehört, nie ein Wahlprogramm entworfen oder ein Verwaltungsdokument ausgewertet. „Ich war ja bei der Eisenbahn und hatte Wechseldienst. Manchmal war ich zwei oder drei Tage unterwegs. Ich hatte keine Zeit für andere Sachen.“
Und doch hat Friedhelm Witte, in seinem persönlichen, ganz bescheidenen Rahmen rund um den Boeler Marktplatz, Lokalpolitik gemacht. 21 Jahre lang hat er an jeder Sitzung der Bezirksvertretung Nord teilgenommen. „Nicht eine habe ich ausgelassen“, sagt Witte.
Aktive Teilnahme an der Demokratie in Hagen
Nun ist es das verbriefte Recht eines jeden Staatsbürgers in unserem Land, aktiv an der Demokratie teilzunehmen. Sich einzubringen. Dazu muss man nicht unbedingt einer Partei oder einem politischen Gremium angehören. Dazu genügt bisweilen die Einwohnerfragestunde.
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Die Einwohnerfragestunde steht ganz oben auf der Tagesordnung jeder Sitzung einer Bezirksvertretung oder des Stadtrates. Und in der Einwohnerfragestunde der Bezirksvertretung Nord schlug 21 Jahre lang die Stunde von Friedhelm Witte. Sobald der Bezirksbürgermeister ihm das Wort erteilte, legte er los. Mäkelte, schimpfte, lobte. Dass hier ein Bürgersteig ausgebessert werden musste und dort ein Fahrradweg nicht markiert war. Dass es an einer Straßenkreuzung für Kinder gefährlich zuging. Dass es auf dem Marktplatz an Sitzmöglichkeiten fehle. Dass gewisse Bereiche vermüllt würden.
Der lebendige Mängelmelder in Hagen
Friedhelm Witte war so eine Art lebendiger Mängelmelder.
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Und siehe da: Sobald er ein Anliegen – oder auch zwei oder drei – in der Einwohnerfragestunde der Bezirksvertretung Nord vorgebracht hatte, tat sich etwas. Der Bezirksbürgermeister nickte. Die Protokollantin schrieb. Und eine Tage später war der Mangel behoben. War die Gefahrenstelle entschärft. Der Radweg markiert. Die Stolperfalle auf dem Bürgersteig verschwunden. „Ich habe gemerkt, dass ich in der Einwohnerfragestunde etwas erreichen kann“, berichtet Witte. Nicht immer seien die Politiker oder die Verwaltung auf seine Anregungen eingegangen: „Aber oft.“
Nur an Abstimmungen durfte Witte nicht teilnehmen
Sicherlich wäre es übertrieben, Friedhelm Witte als heimlichen Bezirksbürgermeister von Boele zu bezeichnen. Oder was meint Heinz-Dieter Kohaupt, der echte Bezirksbürgermeister, der ja auch schon seit 16 Jahren im Amt und zur Institution geworden ist wie Friedhelm Witte? „Friedhelm war wie ein gewählter Bezirksvertreter, nur dass er nicht an den Abstimmungen teilnehmen durfte“, sagt Kohaupt mit einem Augenzwinkern.
Eine Sitzung der Bezirksvertretung Nord ohne Friedhelm Witte war 21 Jahre lang undenkbar. Der Reporter, der dies schreibt und seit zwölf Jahren sehr viele Sitzungen miterlebt hat, verbürgt sich dafür, dass es nicht eine gab, in der Witte zu Beginn nicht das Wort ergriffen hätte. Und so soll es ja auch sein. Doch nur wenige Bürger machen von diesem Recht Gebrauch, häufig finden die Sitzungen kommunalpolitischer Gremien unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Ein Blumenstrauß in der letzten Sitzung
Auch Friedhelm Witte macht jetzt Schluss, mit einem Blumenstrauß wurde er nach seiner letzten Sitzung vom Bezirksbürgermeister verabschiedet.
„Einmal muss ja Schluss sein“, sagt Witte. Um einen kleinen, bescheidenen Betrag wird die Demokratie in Hagen zukünftig ärmer sein. Man wird es vielleicht gar nicht merken.