Hagen. Die Leiterin des Hagener Frauenhauses spricht im Interview über Frauen, die meist über Jahre Gewalt ertragen mussten. Wie wird ihnen geholfen?

1981, also vor 40 Jahren, wurden der Verein „Frauen helfen Frauen“ und das Hagener Frauenhaus gegründet. Katharina Siewert leitet die Einrichtung, in der Frauen Schutz vor Gewalt finden, seit zwei Jahren. Die 40-Jährige weiß, dass Gewalt viele Gesichter hat.

Frau Siewert, beschreiben Sie doch mal die Einrichtung. Wie muss man sich das Hagener Frauenhaus vorstellen?

Katharina Siewert: In dem Gebäude – die Adresse wird natürlich nicht öffentlich bekannt gegeben, um die Frauen zu schützen – befinden sich insgesamt acht Wohnungen. In fünf Wohnungen leben die Frauen, wenn sie Kinder haben, mit ihren Schützlingen zusammen. Jeweils zwei Frauen teilen sich eine Wohnung. In einer Wohnung wird Kinderbetreuung angeboten, eine weitere steht für Gruppenaktionen bereit und in einer sind die Büroräume für die Mitarbeiter eingerichtet. Hier ist immer ordentlich was los.

Wie finanziert sich das Frauenhaus?

Es wird vom Land NRW gefördert, etwa ein Drittel der anfallenden Kosten müssen wir jedoch in Form von Spenden selbst aufbringen. Ohne die Unterstützung der Vereinsmitglieder könnte die Einrichtung nicht existieren.

Wer kommt zu Ihnen, und wie wird der erste Kontakt aufgenommen?

Junge und ältere Frauen melden sich bei uns, es sind Frauen aus allen sozialen Schichten, viele mit Migrationshintergrund. Was alle verbindet: Sie haben körperliche und/ oder seelische bzw. sexuelle Gewalt ertragen müssen. Der erste Kontakt findet per Telefon statt, wir müssen die Situation der Frau bewerten.

Sie haben also eine Art Checkliste, die sie am Telefon abarbeiten, um dann zu entscheiden, ob die Frau aufgenommen wird?

Richtig. Wir nehmen zum Beispiel nach Möglichkeit keine obdachlosen oder drogenabhängigen Frauen auf, um den anderen Bewohnerinnen ihren Schutzraum zu erhalten. Wir können hier keine therapeutische Hilfe leisten. Unsere Mitarbeiterinnen arbeiten traumasensibel, haben aber keine klassische Therapeutinnenausbildung.

Schildern Sie doch bitte mal einen „klassischen Fall“.

Meist fängt es mit Kleinigkeiten an, mit ständigem Kritisieren, mit Kleinhalten und Erniedrigen. Machtstrukturen werden aufgebaut, es geht um Macht und Ohnmacht. Häufig mündet die Gewaltspirale dann in körperlicher Gewalt mit Schlägen und Tritten. Körperliche Gewalt geht oft mit seelischer Grausamkeit einher. Übrigens sagen aktuelle Zahlen aus, dass in Deutschland jede vierte Frau schon einmal Opfer von Gewalt geworden ist. Das Ausmaß ist aber nicht immer so groß, dass ein Aufenthalt im Frauenhaus notwendig ist.

Einige Frauen gehen aber trotz des Martyriums nach dem Aufenthalt bei Ihnen zu ihrem Partner zurück?

Ja, die Frauen sind selbstbestimmt. Wir beraten sie und klären sie über Hilfsangebote auf, letztendlich entscheiden sie aber selbst, wie sie in Zukunft leben möchten. Im vergangenen Jahr sind von 31 Frauen, die bei uns gewohnt haben, aber nur vier zurück zum Partner gegangen.

Was hat sich in den letzten Jahren geändert?

Digitale Gewalt hat extrem zugenommen. Smartphones spielen hier eine große Rolle. So existieren zum Beispiel Nacktbilder der Frau noch auf dem Handy des Mannes, auch wenn das Paar längst getrennt ist. Früher überwachte der Mann die Frau durch Einsperren, heute überwacht er sie, indem er stets weiß, wo und mit wem sie sich aufhält.

Wie unterscheiden sich die Frauen, die zu Ihnen kommen?

Manche haben ihr Leben im Griff, anderen müssen wir das Putzen, Ordnung halten und Einkaufen beibringen. Viele fühlen sich bei uns wohl, behütet und geschützt. Das ist schön, aber nur für eine bestimmte Zeit. Unser Ziel ist immer die Selbstständigkeit der Frau, sie muss einfach alltagstauglich werden.

Was kann jeder von uns tun, wenn er Gewaltanwendung in seinem Umfeld vermutet?

Jeder sollte sein Umfeld wahrnehmen und ein vermeintliches Opfer sensibel ansprechen. Oft reicht der einfache Satz ,Ich bin für dich da‘. Wenn man in einer Nachbarwohnung häufig verdächtige Geräusche hört, kann man einen Aufkleber mit der Nummer des Hilfetelefons – 08000 116 016 – platzieren.