Hagen. Am 8. Mai ist der Tag der Avifaunisten. Sie zählen die Vogelarten, die es in Hagen (noch) gibt. Drei Teams sind am Start.

Martin Schultz (39) ist ein Avifaunist. Ein Vogelbeobachter. Ein Feldornithologe. Ein Wald- und Wiesenvogelexperte. Und er ist ein „HA-bicht“. So heißt das Team, das er zusammen mit vier weiteren Hagener Avifaunisten bildet.

Sie alle pirschen, wegen Corona jeder für sich allein, am kommenden Samstag durch Wiesen und Wälder im Stadtgebiet, um Vogelarten um die Wette zu zählen. Schultz und die anderen Vogelfreunde nehmen am Birdrace („Vogelrennen“) des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten teil. „Wir wollen herausfinden, welche Vogelarten es in Hagen noch gibt, welche neu hinzugekommen und welche verschwunden sind“, begründet Schultz sein Engagement.

Mit den HA-bichten gehen am 8. Mai auch die Teams „Bonasia Hagen“ und „Die Busohlpiraten“ auf Artenjagd. Zugegeben, für Außenstehende klingt es einigermaßen skurril, die Vogelbeobachtung als sportlichen Wettbewerb auszutragen.

Doch dahinter verbirgt sich mehr als eine Selbstbelustigung von Raritätenjägern. Denn mit Hilfe eines solchen Rennens um Vögel will der Dachverband der Avifaunisten den Artenschutz ins öffentliche Bewusstsein rücken.

Wettbewerb ist zweitrangig

Es rennen also nicht die Vögel, sondern die Beobachter hinter selbigen her. Dabei versuchen zwei- bis fünfköpfige Teams, innerhalb eines Tages so viele Vogelarten wie möglich zu sehen oder zu hören. Gemogelt wird nicht, das gebietet die sportliche Fairness. „Der Wettbewerb ist ja auch zweitrangig“, sagt Schultz: „Uns geht es darum, Daten zu erheben, die für die Ornithologie von hoher Nützlichkeit sind.“

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184 Vogelarten wurden auf dem Gebiet der Stadt Hagen nachweislich jemals beobachtet, beim Birdrace 2020 zählten die Vogeljäger immerhin 105 Arten. Der Kiebitz und die Feldlerche gehören zu den Vögeln, die aus Hagen so gut wie verschwunden sind. Als im vergangenen Jahr mal wieder ein Kiebitz auf einem Acker in Garenfeld brütete, war die Freude unter den Naturschützern groß. Doch eines Tages waren die Küken verschwunden: „Möglicherweise hat der Fuchs sie geholt“, überlegt Schultz: „Oder eine Krähe.“

Rotkehlchen, Fink und Grasmücke

Wir treffen den Naturfreund am Rande des Naturschutzgebietes Ruhraue Syburg, einem Refugium für seltene Arten wie die Rohrammer, deren Triller über die Feuchtwiesen schallt. Auch das energische Zwitschern des kleinen Zaunkönigs ertönt, hoch oben in den Bäumen turnt ein Buntspecht, und sogar eine Bekassine lässt sich in dem von mehreren Bächen und Gräben durchzogenen, in weiten Bereichen stark vernässten Wiesengelände blicken. „Leider ist sie nur auf der Durchreise“, erläutert Schultz: „Bekassinen brüten nicht mehr bei uns in Hagen.“ Dazu bräuchte es größere Feuchtgebiete wie im Kreis Minden-Lübecke, wo der Schnepfenvogel noch Nachwuchs großzieht.

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Mit verblüffender Sicherheit benennt Schultz, der auch als Artenschutzbeauftragter für die Stadt Hagen tätig ist, was er sieht und hört. Was er hört, denn zu sehen sind die kleinen Piepmätze an diesem diesigen Morgen nicht. Ein Rotkehlchen. Ein Buchfink. Eine Mönchsgrasmücke. „Ich beschäftigte mich seit meinem zehnten Lebensjahr mit Vögeln und Vogelstimmen“, erklärt er seinen Erfahrungsschatz.

Stare in Spechthöhlen

Ein Star ist vorbeigeflogen, der eifrig schreibende Reporter hat ihn gar nicht gesehen. „Stare sind auch seltener geworden in Hagen“, sagt Schultz ungerührt. Warum? „Sie beziehen gern alte Spechthöhlen im Totholz. Die fehlen.“ Allerdings erlebten die meisten Spechtarten infolge des Windwurfs und der abgestorbenen Holzmassen, die der Borkenkäfer hinterlässt, eine Art Renaissance. Und das könne mittelfristig ja auch den Staren wieder zu mehr Präsenz verhelfen.

Schön ist es an diesem Morgen in der Ruhraue, der vielstimmige Gesang der Vögel ist wie Musik. Der Zaunkönig tschilpt besonders ausdauernd, dieser Frechling. Klein, aber oho. Doch aus den Träumereien reißt einen Herr Schultz mit der nackten, bitteren Realität, und die ertönt in Moll: „Das größte Problem ist der Insektenschwund.“

Sponsoren

Die Teilnehmer des Birdrace sind um Sponsoren bemüht, die einen bestimmten Betrag (zum Beispiel 1 Euro) pro gefundener Vogelart oder einen Pauschalbetrag spenden. Ihre Unterstützung zugesagt haben bislang Dachdeckermeister Daniel Jakobs, die Elisabeth-Apotheke, die Rathaus-Apotheke; Liebchen Handwerkerservice und die Sparkasse Hagen-Herdecke.

Die Spenden werden dem Dachverband Deutscher Avifaunisten überwiesen.

An dieser Tatsache komme kein Naturschützer vorbei. Weniger Insekten, weniger Nahrung für die Vögel, weniger Vögel. Die Kinder wissen ja gar nicht mehr, wie übersät die Windschutzscheibe früher war von toten Fliegen, Mücken und Schnaken.

Umso wichtiger ist es, dass die Avifaunisten die Vögel zählen. Damit wir wissen, was wir noch haben. Und was wir nicht auch noch verlieren dürfen.