Hagen. Singles würden sich aktuell scheuen, zuzugeben, dass sie Geschlechtsverkehr haben – aus Sorge dafür verurteilt zu werden, sagt die Aidshilfe.

Corona trifft alle Bereiche des Lebens, beruflich, aber auch privat. „Und obwohl viele nicht offen darüber sprechen: Natürlich ist auch das Sexleben betroffen“, sagt Andreas Rau von der Aidshilfe Hagen. Er beobachtet, dass in der gesamten Coronazeit deutlich weniger HIV-Tests und Tests zu anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) bei der Hagener Beratungsstelle durchgeführt wurden.

„Die Test-Zahlen sind über das gesamte Jahr gesehen etwa um ein Drittel eingebrochen“, sagt der Leiter der Beratungsstelle. „Viele Singles scheuen sich davor, zuzugeben, dass sie jetzt Geschlechtsverkehr haben. Aus der Sorge, dafür verurteilt zu werden.“

Auch interessant

Es gehöre zur Wahrheit, dass Dating-Portale aktuell einen Boom erleben würden

Gerade mit Blick auf wechselnde Sexualpartner. Ein Thema, auf das Rau bereits mehrfach öffentlich hingewiesen – und dafür auch Kritik geerntet hat. „Ja: Es gibt ein Ansteckungsrisiko bei solchen Treffen. Aber es handelt sich bei einem One-Night-Stand oder Dates mit einer Person aus einem weiteren Haushalt ja nicht um einen Corona-Verstoß“, so Rau. Es gehöre nun mal zur Wahrheit, dass gerade jetzt in Lockdown-Zeiten Dating-Portale einen großen Boom erleben. Und somit auch Treffen mit Menschen, die man vorher noch nicht kannte.

Auch interessant

„Viele Menschen, die allein zuhause sitzen, vereinsamen. Sehnen sich nach Nähe. Und am Ende entscheiden sich dann einige gegen die Vernunft. Ich kann und werde das nicht verurteilen“, betont Rau im Gespräch.

Sich trotzdem Hilfe suchen: Bei der Aidshilfe gilt die Schweigepflicht

Aber sich aus Angst keine Hilfe zu suchen, sich nicht über die Gefahren zu informieren und seine Gesundheit aus Scham hinten anzustellen, das sei falsch: „Wir behandeln alle Fälle anonym und alle Gespräche unterliegen der strengen Schweigepflicht“, betont der Beratungsstellen-Leiter, dass die Aidshilfe immer eine sichere Umgebung für Gespräche bieten will. Auch, wenn diese aktuell vorwiegend nur telefonisch stattfinden können. „Einzelberatungen sind zum Teil wieder möglich. Wir bieten zum Beispiel das Format ,Walk and Talk‘ wieder an – ein Spaziergang mit Maske und viel Abstand. Aber unsere Gruppentreffen entfallen derzeit noch“, erklärt Andreas Rau.

Nach dem ersten Lockdown, den Lockerungen und den nun wieder verschärften Regeln und vielen Umstellungen im Jahr 2020, hofft er, dass es in diesem Jahr wieder bergauf geht. „Wir haben uns in der Zeit noch mal deutlich digitaler aufgestellt, Veranstaltungen live ins Internet übertragen, Videokonferenzen mit Schülern und Gruppen abgehalten. Info-Material bieten wir auch über Apps oder Online-Plattformen an“, betont der Leiter der Beratungsstelle, der als sogenannter „Youthworker“ auch schwerpunktmäßig Jugendliche, ihre Erzieher, Lehrer und Eltern aufklärt. Er hat selbst Apps dafür entwickelt, die Aidshilfe war auch bereits vor Corona online aktiv.

Auch interessant

Rückkehr zur Normalität: Die Aidshilfe ist aktuell viel im Netz aktiv

Trotz allem wünscht er sich natürlich, genau wie die anderen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitstreiter, dass es eine Rückkehr zur Normalität gibt. „Gerade für unsere Jugendgruppen und auch die anderen Gruppen fehlt der Austausch. Und es fehlt auch, dass sie vielleicht einfach mal jemand in den Arm nimmt.“ Auch die Schulbesuche zur Aufklärung können nicht so durchgeführt werden, wie vor den Beschränkungen. „Wie gesagt, wir sind viel im Netz aktiv. Aber das ersetzt natürlich niemals die Arbeit vor Ort. Die Arbeit mit den Menschen, mit den Betroffenen“, sagt Andreas Rau. Aber wann es wieder richtig losgeht, ist offen. Aber eine positive Nachricht gibt es noch: „Die Zahl der positiv auf HIV getesteten Personen ist seit geraumer Zeit rückläufig. Ich befürchte aber einen Anstieg, weil wegen Corona der Zugang zu Kondomen schwerer gewordne ist und sich viele erst nach dem Lockdown testen lassen.“