Hagen. Die Mitarbeitervertretung der Katholischen Kliniken geht deutlich in die Öffentlichkeit und spricht angesichts der Pandemie über die Belastung.

Keine Corona-Prämie für die Pfleger und Pflegerinnen von fünf Hagener Kliniken . Nur das Allgemeine Krankenhaus erhält 237.000 Euro aus dem Topf der Krankenkassen, weil dort zwischen März und Mai mehr als 50 Corona-Patienten behandelt wurden. Eine Mindestgrenze, die im ganzen Land und auch in den Hagener Kliniken für absolutes Unverständnis gesorgt hat. Die Mitarbeitervertretung der Katholischen Kliniken in Hagen wählt für die vielen in der Pandemie hart arbeitenden Pfleger und Pflegerinnen den Weg in die Öffentlichkeit. Und das nicht nur für die eigenen Kollegen, sondern solidarisch für alle in Hagen.

Maresa Möhring ist betrieble Sozialarbeiterin in den KKH.
Maresa Möhring ist betrieble Sozialarbeiterin in den KKH. © Michael Kleinrensing

Meine Damen und Herren, bei Ihnen ist richtig Dampf auf dem Kessel, richtig?

Anja Brand (Krankenschwester und Mitarbeiterin des Qualitätsmanagements) „Das kann man ganz klar so sagen. Uns ärgern die Unterschiede zwischen den Kliniken kolossal, zumal hier ganz viel durcheinandergebracht wurde. Zum einen die Corona-Prämie, die Minister Spahn allen Pflegenden zugesagt hat und auf der anderen Seite die tariflich, teilweise noch zu verhandelnden Prämien. Dabei ist nun eine Kopf-Prämie herausgekommen. Zunächst wurde zwar beschlossen, Patienten möglichst zentral in einem Haus zu behandeln, was sich in der Praxis jedoch als nicht realisierbar dargestellt hat.

In ihrem Hause kommt noch hinzu, dass die Kollegen der Kliniken im Märkischen Kreis eine Prämie erhalten und in Hagen nicht.

Dietmar Kolwe (Vorsitzender der Mitarbeiter-Vertretung „Wenn die Kollegen und Kolleginnen damals die Voraussetzungen erfüllt haben, stehen ihnen die Prämien auch zu. Wir führen hier keine Neiddiskussion. Das ist auch unter den Kollegen überhaupt kein Thema. Wissen Sie, in Krankenhäusern, und damit meine ich nicht speziell unseres, mag es viele frustrierte Leute geben, weil die Rahmenbedingungen wirklich hart geworden sind. Aber alle haben sich diesen Beruf ausgesucht, weil sie ihn gerne machen wollen. Das ist zwar total verrückt, aber es schreit hier niemand in erster Linie nach mehr Geld, sondern eher nach mehr Personal

Das ist aber noch zurückhaltend ausgedrückt. Auf ihrem Rücken wird der Kampf gegen diese Pandemie doch ausgetragen, oder?

Maresa Möhring (betriebliche Sozialarbeiterin) Wer nicht in einer Klinik arbeitet, kann sich nur schwer vorstellen, was ein einziger Corona-Fall mit so einem Haus macht. Er bindet personelle Ressourcen, Zeit, ganze Stationen. Die Hygiene-Konzepte, das viele Umziehen und dazu auch ganz einfach die Sorge, selbst an dem Virus zu erkranken. Denn die Kollegen sehen hier, wie die Menschen daran sterben. Wir sehen ja hier nicht die milden Fälle, sondern die wirklich schwierigen Verläufe. Wir haben alle Angst gehabt, hier bald die gleichen Bilder wie in Italien zu sehen.

Markus Gierke arbeitete früher als Pflegekraft und ist jetzt in der IT-Abteilung beschäftigt.
Markus Gierke arbeitete früher als Pflegekraft und ist jetzt in der IT-Abteilung beschäftigt. © Michael Kleinrensing

Sie sagen, alle Probleme unter denen die Kliniken zuvor gelitten haben, werden jetzt noch deutlicher offengelegt. Ist Corona der Pflege-Brandbeschleuniger?

Dietmar Kolwe Das Wort ist vielleicht zu stark. Aber im Kern stimmt es: die Personalknappheit im Pflegebereich, das Arbeiten unter hoher Belastung und auch die Tatsache, dass Kliniken in Deutschland immer weiter Betten abbauen sollen. Das sind alles Probleme, die es schon gab und die jetzt noch größer werden. Und wenn die Regierung dann damit wirbt, dass Pflegekräfte aus dem Ausland angelockt werden sollen, ist das für den Moment ja schön. Aber als Pfleger weiß ich doch auch: Dann fehlen diese guten Leute eben in Georgien oder Albanien. Dem Menschen an sich ist damit am Ende nicht geholfen. Das gleiche gilt übrigens auch für unsere ärztlichen Kollegen.

Wie zornig und neidisch wird man, wenn man hört, dass die Kollegen des AKH jetzt eine Prämie bekommen und Sie nicht?

Markus Gierke (vorher Pflegekraft, jetzt IT-Abteilung) Ganz und gar nicht neidisch. Im Gegenteil: Wir erkennen einen echten Schulterschluss zwischen den Kliniken in Hagen. Wir alle haben einen Versorgungsauftrag und den Kollegen im AKH ist das ja auch zu gönnen. Uns geht es ums Prinzip. Bei uns stehen weiter abends schwer angeschlagene Menschen vor der Tür, die Corona haben und die wir nicht wegschicken, weil woanders mehr Covid-Fälle behandelt werden oder wir kein Krankenhaus sind, das vom Rettungsschirm profitiert. Wir helfen, weil wir helfen können, wollen und müssen.

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Haben Sie keine Angst, dass ihnen bei der Bekämpfung der Pandemie die Puste ausgeht?

Dietmar Kolwe Die für das medizinische Personal dringend notwendigen Erholungsphasen sind seit Beginn der Pandemie auf ein nicht mehr zu ignorierendes Niveau gesunken. Corona-Bereitschaftsdienste belasten Mitarbeitende, auch wenn sie anfangs nicht zum Dienst gerufen wurden. Wenn man ständig abrufbereit ist, ist das keine erholsame Freizeit. Mittlerweile sind die Corona-Fallzahlen weit über das Maß vom Frühjahr angestiegen. Ohne Überstunden und Mehrarbeit ist die Arbeit nicht mehr zu schaffen. Fakt ist, dass unsere Kliniken in Deutschland von einem Augenblick zum anderen nicht mehr handlungsfähig wären, wenn die Mitarbeiter in den jeweiligen Bereichen nicht permanent bereit wären, einzuspringen, wenn Not am Mann bzw. der Frau ist. Aus unserer Sicht muss dringend und zwangsläufig der Rettungsschirm aus dem Frühjahr neu aufgelegt werden und zwar rückwirkend ab Oktober.

Anja Brand arbeitet im Qualitätsmanagement.
Anja Brand arbeitet im Qualitätsmanagement. © Michael Kleinrensing

Anja Brand: Nein, wir werfen nicht das Handtuch und stellen auch nicht die Versorgung der Menschen ein, auch wenn wir mehr als genug Gründe dafür finden würden: Arbeiten am Limit, ersetzen der erkrankten Kollegen und immer wieder einspringen, trotz schon mehr als genug geleisteter Überstunden. Arbeiten in voller Vermummung mit Masken, die das Atmen erschweren und damit das Arbeiten extrem anstrengend machen. Versorgung und Begleitung von Menschen, die sterben, und als wenn das noch nicht genug wäre, die einsam sterben, ohne ihre Lieben an ihrer Seite. Immer in Sorge um das eigene Leben und das Leben der engsten Familienangehörigen, denn auch wir haben Familie. Familie, die uns nur noch selten sieht, uns aber sehr wohl an den dunklen Augenringen erkennt.

Wäre es nicht an der Zeit, dass sie in Tarif-Verträgen Bonuszahlungen für künftige Pandemien einarbeiten?

Maresa Möhring Erst mal werden diese Tarife durch die Tarifpartner der jeweiligen Einrichtungen verhandelt. Das sind z.B. Öffentlicher Dienst, Caritas und Diakonie. Solche Gespräche laufen dort bereits. Der Tarifabschluss aus dem öffentlichen Dienst, wo es ja Corona-Prämien für die Angestellten gibt, schwappt natürlich jetzt voll in unsere Diskussion rein. Aber die Tarifpartner sind hier auf einem guten Weg in den Verhandlungen um solche Zulagen, so dass solche Ereignisse sich künftig auch in der Bezahlung widerspiegeln sollen.

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In ihren Häusern arbeiten auch viele Azubis, die den Pflegeberuf gerade erst erlernen und das in einer absoluten Not-Zeit tun. Bleibt genug Zeit, diesen jungen Leuten gerecht zu werden?

Anja Brand Das ist auch ein Punkt, der uns umtreibt. Wir brauchen den Nachwuchs dringend und müssen ihn gut ausbilden. Aber natürlich bleibt in einer Pandemie auch etwas auf der Strecke. Der Ober- und Mittelkurs erfährt, wie man in einer Pandemie handelt. Sie sind gezwungen, mehr zu leisten, als das sonst für die Jahrgänge der Fall war.

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Was ist ihre Forderung an Gesundheitsminister Jens Spahn?

Dietmar Kolwe Die finanziellen Möglichkeiten eines Krankenhauses, die trotz Refinanzierung der Pflege stark eingeschränkt und gedeckelt werden, verschärfen sich aktuell durch die Umstände. Diese Pandemie zeigt umso deutlicher, dass Bereiche wie Krankenhäuser nicht wie Wirtschaftsbetriebe im klassischen Sinn geführt werden können. Im Vordergrund sollte nicht der Kampf um das Überleben des Krankenhauses und der Arbeitsplätze stehen, sondern die Gesundheit der Patienten und der Mitarbeiter. Eine leistungsgerechte Bezahlung ist besser als jede Prämie.