Hagen. Immer mehr öffentliche Flächen verwahrlosen und niemand fühlt sich zuständig. Deshalb zieht der Hasper Bezirksbürgermeister jetzt die Notbremse.

Beim Blick auf den wuchernden Wildwuchs in Hagen sind die Grenzen des Tolerierbaren überschritten – zumindest für den Hasper Bezirksbürgermeister Dietmar Thieser: „Seit Jahren gibt es Beschwerden aus der Bürgerschaft über das immer höher sprießende Grün auf städtischen Bürgersteigen, die Vermüllung auf diversen Grünflächen und die Sauberkeit auf Plätzen und Wegen. Aber es tut sich einfach nichts. Wenn wir aus der Bezirksverwaltungsstelle versuchen, den Hinweisen nachzugehen, verstricken wir uns im Rathaus lediglich in einem Zuständigkeitsdschungel, finden aber keine Lösungen.“

Daher hat Thieser jetzt zum äußersten Mittel gegriffen und beim Ordnungsamt eine Ordnungswidrigkeitsanzeige wegen des permanenten Verstoßes gegen die Straßenreinigungssatzung gegen Unbekannt erstattet.

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„Da wünsche ich denen jetzt mal viel Spaß“, ahnt der Hasper SPD-Politiker, dass auch die Behörde an den ungeklärten oder sehr individuell interpretierten Zuständigkeitsfragen sich wund laufen könnte. „Wo kümmert sich der Wirtschaftsbetrieb Hagen, wo der Hagener Entsorgungsbetrieb, was macht die Bahn auf ihren Flächen, was reinigt die Hagener Straßenbahn AG rund um ihre Haltstellen, was die Stadt als Straßenbaulastträger, wie kümmern sich die privaten Anlieger, was pflegt die städtische Gebäudewirtschaft rund um die kommunalen Immobilien, was macht Straßen NRW entlang seiner Routen?“, stellt Thieser die entscheidenden Fragen nach Verantwortlichkeiten: „Da müssen ein für alle Mal die Zuständigkeiten geklärt werden. Denn den Menschen ist es unter dem Strich doch völlig egal, wer es verbockt, die erwarten schlichtweg ein akzeptables Erscheinungsbild.“

Privatleute machen es vor

Problemfelder gibt es in Thiesers Augen reichlich. Beispielhaft präsentiert er die Kreuzung Grundschötteler Straße/Harkortstraße, an der aus den Fugen der überbreiten Bürgersteige allerorten das Grün kniehoch sprießt. Die öffentlichen Flächen sehen entlang der Ortseingangsstraße und rund um das Haltestellenhäuschen erbarmungswürdig aus, während die Bürgersteige der Privatleute picobello gepflegt sind.

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An der nächsten Ecke wuchern die Brombeeren vom Bahngelände auf die Gehwege, an eine Laterne lehnt sich mannshoch eine zarte Birke; wer regelmäßig Radwege nutzt, muss sich immer wieder wegducken, damit herabbaumelnde Äste keinen Schmiss über die Wange ziehen, das Kraut auf der Verkehrsinsel an der nächsten Einmündung ist so in die Höhe geschossen, dass die Autofahrer bloß noch nach vorsichtigem Vortasten die Vorfahrt achten können.

Willkommen in Hagen: Die sich selbst überlassenen Grünflächen entlang der Ortseingangsstraßen sind vielen Bürgern ein Dorn im Auge.
Willkommen in Hagen: Die sich selbst überlassenen Grünflächen entlang der Ortseingangsstraßen sind vielen Bürgern ein Dorn im Auge. © WP | Michael Kleinrensing

„Leider werden diese Missstände seitens der Verantwortlichen gar nicht mehr gesehen“, vermutet Thieser den Personalabbau innerhalb der Verwaltung als Ursache für diese Laissez-faire-Entwicklung und versichert, dass er selbst den Weg der Ordnungswidrigkeitsanzeigen nicht als normalen Umgang etablieren möchte: „Die Bürger erklären uns doch für verrückt, und das mit Recht.“

Gleichzeitig wiederholt er seine Forderung, die Stadtreinigung in Hagen in eine Hand zu legen. Vor Jahren hatte die Hasper Bezirksvertretung bereits eine entsprechende Prüfung seitens der Verwaltung per Beschluss in Auftrag gegeben: „Seitdem haben wir nie wieder was davon gehört.“

Spitzengespräch soll Klärung bringen

Im Hagener Rathaus kümmert man sich derweil um die Anzeige des Ratsherrn – übrigens die allererste in diesem Jahr wegen wuchernder Ritzenvegetation. Und auch 2019 seien lediglich drei Beschwerden dieser Art bearbeitet worden. „Und es wurde kein einziges Bußgeld wegen mangelhafter Pflege verhängt“, so Stadtsprecher Michael Kaub.

WBH fordert notwendige Toleranz

Mit einer intelligenten Begrünungsoffensive wollen der Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH), die Biologische Station am Haus Busch sowie der Verein Naturgarten in Hagen langfristig dafür sorgen, dass für Insekten wieder bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Dabei sollen vor allem die Grünflächen, aber auch das sogenannte Straßenbegleitgrün, Abstandsgrün und andere Restflächen den notwendigen Raum für Wildpflanzen bieten, was nicht immer den Ansprüchen von Ästhetikern entspricht, die mit dem Geodreieck gestaltete Parkanlagen und englischen Rasen favorisieren.

Das wohlgemeinte Ergebnis sieht somit häufig nach verordneter Bequemlichkeit der Pflegetrupps aus. Daher muss diese Strategie – wo sie denn tatsächlich konzeptionell gewollt ist – auch den Bürgern erklärt und durch Aufklärungsoffensiven als Ausdruck von Naturvielfalt zugunsten der Insektenfauna vermittelt werden.

Die Botschaft des Wirtschaftsbetriebs Hagen lautet daher: „Die Bürger müssen an manchen Stellen traditionelle Erwartungen an kurz geschorene Rasenflächen und gepflegte Beete zur Seite schieben.“ Stattdessen sei die notwendige Toleranz gefordert, dass eine eher struppige, aber insektenfreundliche Blühfläche sowie die ungeliebte Ritzenvegetation an Bordsteinen und Verkehrsinseln durchaus einen immensen Wert für die Natur haben.

Eine Klärung der einzelnen Zuständigkeiten soll nun ein Spitzengespräch aller potenziell Verantwortlichen in der Hasper Bezirksverwaltungsstelle bringen, um den verworrenen Knoten der Zuständigkeiten zu zerschlagen. Frei nach dem Motto: Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ‘nen Arbeitskreis – dies allerdings dann erst nach der Kommunalwahl.