Hagen. Es geht nicht mehr: Die Ehe von Claudia und Robert steht vor dem Aus. Doch dann finden sie den Weg zu einer Eheberatung.
Das tägliche Miteinander zehrt an den Nerven. Hinter jeder harmlosen Bemerkung vermuten die sich belauernden Eheleute eine versteckte Stichelei oder gar eine gezielte Verletzung. Längst haben sie sich in ihrem großen Haus getrennte Schlafplätze gesucht, gemeinsame Mahlzeiten sind selten geworden. Harmlose Kleinigkeiten eskalieren explosionsartig zu verbalen Entgleisungen, Gemeinheiten fliegen wie Giftpfeile durch den Raum, immer häufiger wird gebrüllt. Nach 23 Ehejahren steht die Beziehung vor dem Aus. Bis die beiden Mittsechziger zum Telefonhörer greifen und in ihrer Verzweiflung Hilfe bei einer Eheberatungsstelle suchen: „Dort hat man unsere Liebe gerettet.“ Eine Erfolgsgeschichte, über die sie bis heute mit niemandem geredet haben.
Trennung ist deutlich teurer als Paarberatung
„Beide müssen es wollen. Es macht keinen Sinn, wenn beispielsweise der Mann nur deshalb mitkommt, weil die Frau dies so wollte.“ Ursula Hiltemann, Mitarbeiterin im Team der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung Hagen, spricht aus zwei Jahrzehnten Erfahrung: „Es muss eine Eigenmotivation bestehen – das Paar muss es schaffen, die Beziehung zu gestalten und zu halten.“
Der Einzugsbereich der Hagener Einrichtung, die unabhängig von Konfession oder sexueller Orientierung als Ansprechpartner den Hilfesuchenden zur Seite steht, ist allerdings deutlich größer als das Stadtgebiet. Denn viele Paare suchen gezielt Hilfe fern ihres Zuhauses, weil sie aus Schamgefühl lieber in der Anonymität der Distanz abtauchen. „Für manche Eheleute geht das mit dem Gefühl einher, inkompetent zu sein, weil sie das nicht hinkriegen, was anderen gelingt. Für sie ist es peinlich, über das eigene Scheitern zu sprechen. Zumal es sich ja auch häufig um schambehaftete Themen wie Fremdgehen oder nicht funktionierenden Sex handelt“, versichert Hiltemann, dass Diskretion das A & O ihres Teams sei.
„Wichtig ist auch, dass niemand verurteilt wird. Jeder muss das Gefühl haben, gewertschätzt zu sein – Fehler passieren jedem, niemand wird bewertet.“ Ihr Aufgabe sieht die Eheberaterin, die Religionspädagogik und Theologie studierte, vor allem darin, das eigentliche Beziehungsproblem herauszufiltern. „Die Lösung liegt wiederum beim Paar selbst, es muss seinen Alltag so gestalten, dass beide Seiten damit zurecht kommen.“ Dabei könne auch eine Trennung letztlich das Ergebnis sein: „Dann aber bitte ohne Rosenkrieg und mit Respekt – besonders dann, wenn Kinder im Spiel sind“, betont Hiltemann, dass die Beratungsstelle durchaus auch für gewisse Werte und ein hohes Maß an Seriosität stehe.
Gleichzeitig betont sie, dass beispielsweise auch die Frauenberatungsstelle, die ökumenische Beratungsstelle „Zeitraum“ oder auch Paartherapeuten ähnliche Angebote vorhalten. Während sich die Anlaufstelle der Katholiken aus Mitteln des Erzbistums und freiwilligen Spenden trägt, entstehen bei anderen Anbietern auch Kosten für die Gesprächsangebote: „Aber eine Trennung wird immer deutlich teurer als eine Paarberatung“, betont Hiltemann.
Die katholische Ehe-, Familien- und Lebensberatung Hagen ist zu erreichen unter 73434 oder per E-Mail unter eheberatung-hagen@erzbistum-paderborn.de. Außerdem gibt es nicht bloß in Corona-Zeiten auch eine Online-Beratung oder anonyme Chats, wenn es um besonders akute oder äußerst schambesetzte Fälle und Situationen geht.
Claudia und Robert (Namen von der Redaktion geändert) sind bereits eheerfahren, als sie sich in einer Diskothek begegnen. Die erste Beziehung der alleinerziehenden Mutter war schon früh in die Brüche gegangen, er steckte gerade mitten in der Scheidungsphase. „Mein Mann fand mich sofort ganz toll“, erinnert sich die gelernte Arzthelferin und Altenpflegerin, „bei mir hat es ein paar Tage gedauert, bis ich gemerkt habe, was das für ein aufrichtiger und ehrlicher Mensch ist“. Dem Kaufmann, damals im Vertrieb seines Arbeitgebers weltweit unterwegs, gelingt es sogar, das Herz ihrer pubertierenden Tochter zu gewinnen, so dass das Paar nach nicht einmal einem Jahr zusammenzieht. „Er hat mir die schönen Seiten des Lebens gezeigt und mir die Welt zu Füßen gelegt.“
Nach der Scheidung zum Standesamt
Gemeinsam stehen sie das emotionale sowie finanzielle Schlamassel seiner Trennung durch und genießen ihre neu entdeckte Zweisamkeit. Einen Tag nach seiner Scheidung geht es zum Standesamt: „Für uns lief es viele Jahre gut, es fügte sich alles zum Guten“, erinnert sich Robert. Während er ständig umherreiste, machte sie sich sehr erfolgreich mit einem Internet-Handel selbstständig. „Wir sind gut zurecht gekommen, das Haus war bezahlt und wir waren fürs Alter gefestigt.“ Zumindest materiell.
Doch emotional sollte mit seinem frühzeitigen Ruhestand mit 62 Jahren sich ein Riss in ihrer Liebe auftun. Er reaktivierte seine Hobbys, stürzte sich in sportliche Aktivitäten, war aber plötzlich auch Daheim viel präsenter. „Bis dahin hatten wir uns meist nur an den Wochenenden gesehen, oder ich kam abends spät nach Hause, um am nächsten Morgen wieder ganz früh aufzubrechen“, so Robert. Er dringt plötzlich in einen häuslichen Alltag ein, den er bis dato meist nur gestreift hatte. „Er hat alles dreckig gemacht und Unordnung hinterlassen. Der Küchenschrank war plötzlich ganz anders eingeräumt als vorher“, entsteht bei Claudia der Eindruck, ihr Ehemann wolle ihr alles wegnehmen.
Gefangen in der Beziehungsfalle
Sie überlässt ihm den Garten, der Hund stirbt, es gibt kaum gemeinsame Freunde, ihr Rauchertum stört ihn, dafür möchte sie für ihn nicht vegan kochen. Die Tür zu einer neuen Zweisamkeit blieb unentdeckt. „Plötzlich war kein Konsens mehr möglich, wir hatten richtig Krach“, erzählt Robert. „Aus dieser Falle kamen wir nicht mehr raus, wir haben uns belauert, und ein falsches Wort führte sofort zur Explosion“, beschreibt Claudia den steten Ehestress. „Ich war so wütend, dass ich phasenweise drei Tage nicht mehr aufgestanden bin.“
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Die Trennung steht im Raum – mit allen finanziellen Konsequenzen. „Eines Tages holte er die Ordner aus dem Schrank und machte Nägel mit Köpfen. Da wurde mir ganz blümerant. Wir hatten es durch so viel Mist geschafft, so viele positive Erfahrungen gesammelt. Warum konnten wir nicht zusammenleben, wenn es uns richtig gut geht?“, fragt sich Claudia. „Plötzlich wurde mir offensichtlich, was ich alles verliere. Mir war klar, dass ich nie wieder jemanden finden würde, dem ich 1000-prozentig vertraue.“
Mit dem gemeinsamen Willen, eine Alternative zur Trennung ausfindig zu machen, stößt das Paar im Internet auf eine Eheberatungsstelle: „Die Dame dort hat unsere Situation wunderbar auseinandergelegt, uns den Spiegel vorgehalten und wir sind dort geläutert wieder rausgegangen“, berichtet Robert von dem ersten Gesprächstermin. „Unsere Streitereien entpuppten sich letztlich als Kinderkram, unser Fokus wurde auf die positiven Seiten neu ausgerichtet und die Konfliktthemen völlig neu bewertet. Wir haben gelernt, dass wir letztlich auch heute noch prima zusammenpassen und das Fundament stimmt – wir wussten es bloß nicht mehr.“
Fokus füreinander neu justiert
„Ich habe so viel Input bekommen, den ich erst mal sacken lassen musste, der aber auch immer wieder zum Nachdenken anregt“, erzählt Claudia. „Es haben sich aber auch unmittelbare Effekte eingestellt: Unser Miteinander hat sich verändert, es gibt eine neue Achtsamkeit und bessere Sensibilität füreinander, wir formulieren mit mehr Bedacht und hören einander gelassener zu.“
„Ja, das Leben ist doch schön mit ihm“, ist für Claudia das wesentliche Ergebnis aus der Eheberatung. „Die vier Wochen nach dem ersten Gesprächstermin waren die schönste Zeit meines Lebens.“ Eine Erkenntnis fast wie aus einem Kitschroman, würde der eher nüchtern formulierende Kaufmann nicht prompt ergänzen: „Genauso habe auch ich das empfunden.“