Hagen. Die Spielsucht zwang den Hagener zum Lügen, er kapselte sich von Freunden und Familie ab und verspielte mehr als eine halbe Million Euro.

Ein Abend mit Freunden im Casino oder einer Spielothek, dabei ein kühles Getränk und ein leckerer Snack, was ist schon dabei, denken sich viele. So auch der Hagener Marvin Müller (Name geändert). Doch genau das wurde ihm zum Verhängnis. Seine Spielsucht zwang ihn zum Lügen, er kapselte sich von Freunden und Familie ab und verspielte insgesamt mehr als eine halbe Million Euro.

Schleichender Prozess

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Marvin Müller wird nachdenklich, wenn er an die vergangenen 13 Jahre denkt. Zwar fällt es ihm heutzutage leichter, darüber zu sprechen, doch das war nicht immer so. Der Hagener leidet unter einer Spielsucht. Zwar habe er diese nach mehr als zehn Jahren endlich im Griff, doch das Verlangen, wieder zu spielen, wird wohl nie aufhören, sagt er.

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„Es ist ein ganz schleichender Prozess“, erklärt er. Alles habe in einer kleinen Pommes-Bude angefangen. „Damals war ich erst 17 Jahre alt und in dem Imbiss stand ein kleiner Spielautomat.“ Zwei Euro hat er hineingeworfen und zu seinem Glück hat er einmal an dem Rad gedreht und gewann 620 Euro. Voller Euphorie kaufte er sich damals direkt eine Playstation und ging am nächsten Tag direkt nochmal hin. „Ich dachte: Wow, wie einfach ist es denn, so schnell an so viel Geld zu kommen.“ Doch das Glück und die Euphorie entwickelten sich zum Teufelskreis.

Ein täglicher Besuch

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Am Anfang hat Marvin andauernd gewonnen, doch das änderte sich irgendwann. Und nicht nur das – er ging immer häufiger in Spielhallen, schon bald täglich. Gleichzeitig erhöhte sich dann auch der Einsatz, aus zwei Euro wurden schnell 20 und aus 20 dann wiederum 50 Euro. Anfangs dachte der damals 18-Jährige, das sei ja nicht so schlimm.

Doch es wurde immer mehr Geld und er hat immer weniger gewonnen. Es ging so weit, dass Marvin richtig frustriert war, wenn er nichts gewann, und schlechte Laune hatte. „Die ließ man dann häufig an seinen Mitmenschen aus“, erzählt er. Freunde, Familie und seine damalige Partnerin litten sehr darunter. Doch er hat seine Spielsucht sieben Jahre lang verheimlicht. „Natürlich haben sich meine Eltern häufig gewundert, sie wussten aber nichts, ich habe mir immer irgendwelche Ausreden einfallen lassen.“

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Erst mit 24 Jahren hat er sich seinen Eltern anvertraut. „Ich habe es dann wirklich geschafft, ein Jahr lang nicht zu spielen.“ Doch dann ging das Ganze von vorne los. „Es ist einfach ein Teufelskreis“, sagt er heute. Bis 2019 hat der Hagener weitergespielt. „Ich habe immer wieder versucht aufzuhören und durch Freunde dann wieder angefangen.“ Auch wenn man selbst nicht Geld in den Automaten schmeißt, sei man auf eine gewisse Art und Weise trotzdem immer dabei. Irgendwann wurde Marvin größenwahnsinnig, er verspielte jeden Abend zwischen 300 und 500 Euro. „Da kam bei mir der Punkt, an dem ich mir sagte ,ich muss was ändern’.“ Seine Eltern haben ihn verstanden, ihn unterstützt und gemeinsam nach einer Lösung gesucht.

Stationäre Therapie

Zunächst ist Marvin zu Treffen vom Blauen Kreuz in Hagen gegangen, einmal wöchentlich fand die Sitzung

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statt. Doch geholfen hat es nur wenig, daher entschied er sich im Februar 2019 dazu, eine stationäre Therapie zu machen. Dreieinhalb Monate weg von zu Hause, raus aus Hagen, kaum Kontakt zu Familie und Freunden. „Es gab strenge Zeiten, zu denen man sich in Listen eintragen musste und zu seinen Therapien gehen musste.“

Schnell lernte Marvin dort Freunde kennen, die ebenfalls unter einer Spielsucht litten. Doch genau das, was anfangs so toll erschien, wurde ihm wiederum zum Verhängnis. „Irgendwann war es wie eine Art Klassenfahrt, wir haben zusammen etwas unternommen, haben Sport gemacht und waren dann bei unseren Sitzungen.“

Er spielt wieder

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Er habe das ganze mit der Zeit immer lockerer gesehen. Trotzdem hat der Hagener seine Therapie bis zum Ende durchgezogen und ist auch nicht spielen gegangen. Doch heutzutage sagt er, dass man von der Sucht wohl nie komplett loskommt. Zwar habe er das Spielen deutlich zurückgeschraubt, doch er spielt eben wieder.

„Spielhallen und Online-Casinos wissen, wie sie Menschen wie mich locken können.“ Doch Marvin hat das Spielen unter Kontrolle, auch wenn die Sucht niemals völlig verschwinden wird. Seine Eltern unterstützen ihn nach wie vor und achten auf seine Ausgaben. Und auch zu den Freunden, die er in der Therapie kennengelernt hat, hält er noch Kontakt. „Wir haben eine Whats-App-Gruppe und tauschen uns dort regelmäßig über unser Spielverhalten aus.“

Selbsthilfegruppe hilft in Hagen Betroffenen

Paul Wenzel leitet die Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige.
Paul Wenzel leitet die Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige. © WP | Michael Kleinrensing

Paul Wenzel hat es geschafft. Der 57-jährige Hagener spielt nicht mehr. Er hat einen Ausweg gefunden und ist glücklich darüber. Seit November 2013 versucht er nun, anderen Betroffenen zu helfen, hat seine eigene Selbsthilfegruppe gegründet. „Es kommen Menschen, die noch spielen, aber auch Menschen, die es geschafft haben, mit dem Spielen aufzuhören“, erzählt er.

Eigentlich trifft sich die Gruppe rund um den 57-Jährigen jeden Donnerstag um 17 Uhr. Doch aufgrund der Corona-Pandemie durften seit dem 17. März monatelang keine Treffen stattfinden. „Das war wirklich schlimm“, sagt Wenzel. Doch mittlerweile ist das Angebot wieder angelaufen, sagt der Hagener. Seit etwa drei Wochen kommt die Gruppe wieder zusammen. Eines ist dem Hagener besonders wichtig: „Spielsüchtig bleiben wir alle.“ Es komme allerdings darauf an, ob man es schafft, spielfrei zu bleiben. In die wöchentliche Sitzung kommen ganz verschiedene Menschen: „Jedes Mal gibt es eine Eingangsrunde“, erklärt Paul Wenzel. Dabei stellt sich jeder kurz vor. Doch niemand sei gezwungen, viel von sich preiszugeben. „Jeder muss nur das erzählen, was er erzählen möchte“, sagt der Hagener.

Zurück zum normalen Leben

In der Gesprächsrunde geht es um viele Aspekte, aber vor allem möchte Paul Wenzel den Betroffenen einen Weg zeigen; einen Weg raus aus der Sucht und zurück in ein normales Leben. Der 57-Jährige litt selbst jahrelang unter seiner Spielsucht, es hätte ihn beinahe ruiniert. Seine Ehefrau hat ihm damals geholfen. Nun möchte er anderen helfen.

Die Selbsthilfegruppe trifft sich immer donnerstags um 17 Uhr. Angesetzt sind die Gesprächsrunden für 90 Minuten, doch manchmal dauert es „gerne auch länger“, sagt er.

Wer an einer Runde teilnehmen möchte, kann einfach in die Bahnhofstraße 41 kommen oder sich vorher telefonisch unter 0157/71951547 bei Paul Wenzel melden (wochentags ab 16 Uhr und am Wochenende ab 9 Uhr). „Es ist jeder willkommen.“