Hagen. Mit 19 kommt Julian in Jugendhaft - bewaffneter Raubüberfall. Wie sein Leben aus der Bahn geriet und warum er der Abwärtsspirale nicht entkommt.

Mit 19 Jahren kommt Julian* in Jugendhaft. Er wird verurteilt wegen eines bewaffneten Raubüberfalls. Er würde gerne die Geschichte erzählen, wie sich sein Leben nach der Hafterfahrung um 180 Grad gedreht hat. Kann er aber nicht, gibt er ehrlich zu. „Ich hab’ echt mehrere Monate lang versucht, mein Leben auf die Reihe zu kriegen. Man redet sich ein, dass alles gut wird. Aber als Vorbestrafter habe ich nirgendwo einen vernünftigen Job gekriegt, immer überall nur Absagen. Und dann kamen irgendwie die alten Kontakte wieder.“ So seine subjektive Wahrnehmung. Er verkaufte wieder Drogen. Auch, um Schulden abzubezahlen. „Das ist irgendwie eine ewige Abwärtsspirale, aus der man nicht wieder rauskommt.“

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Wie sein Leben aus der Bahn geriet, ist eine lange Geschichte, die im Jugendalter bei der Bundeswehr, mit falschen Freunden, Waffen und Drogen anfängt und zunächst damit endet, dass er in Untersuchungshaft landet. Statt wegzurennen habe er sich damals der Polizei gestellt, sagt er. Zu dem Zeitpunkt habe er selbst auch Drogen verkauft. Der Mann, den er überfallen hat? „Selbst Drogenverkäufer“, sagt der junge Mann, der sich damit rechtfertigt, „nie unschuldige Menschen“ überfallen zu haben. „Sie waren so wie ich.“ Nicht sein erstes Mal. Nicht die einzige Straftat, aber die erste, bei der er erwischt wird.

Ein halbes Jahr im Jugendknast

Die Beamten erwischten Julian nicht weit entfernt vom Tatort, weil ihnen das Opfer in die Arme gerannt war. „Ich hatte etwas Gras dabei, das habe ich noch verstecken können“, sagt er. Dann habe er sich mit erhobenen Händen gestellt. Und wusste: Jetzt ist es vorerst vorbei, das Leben in Freiheit. Zu dem Punkt hatte Julian keine Vorstrafen, unschuldig sei er aber lange nicht gewesen. „Ich habe davor viel Mist gebaut.“ Näher will er darauf nicht eingehen, um nicht erkannt zu werden.

Im Jugendknast sitzt er dann ein gutes halbes Jahr. In einer tristen Zelle, ohne Fernseher, nur mit Radio und einer Bibel. „Ich habe viel nachgedacht“, sagt er jetzt, „und viel Sport gemacht.“ Am Anfang habe er dort keine Arbeit gehabt. Nur zweimal pro Woche konnte er duschen­, einmal am Tag hatte er Hofgang.

Dann wurde er in Strafhaft verlegt und konnte Arbeiten, sechs bis acht Stunden am Tag. Die restliche Zeit – langweilig, trist, traurig. Ob die Zeit im Gefängnis ihn verändert hat? „Ja“, sagt er selbst.

Opferschutz der Polizei hilft Betroffenen

Auswirkungen von Straftaten reichen von Traumata, dem totalen Zusammenbruch, Ängsten bis hin zur kompletten Hilflosigkeit. „Betroffene sollten sich unbedingt Hilfe suchen, um langfristige Schäden zu vermeiden und aus der erlebten Situation wieder herauszukommen“, so die Polizei. Das Kriminalkommissariat Kriminalprävention/Opferschutz (KK KP/O) der Polizei Hagen kümmere sich generell um alle Personen, die Opfer einer Straftat werden und Bedarf haben. Betroffene können sich nach einer Anzeige an die Dienststelle wenden. In vielen Deliktsbereichen erfolgt eine Kontaktaufnahme zu Opfern, jedoch auch eigeninitiativ. „So zum Beispiel bei Fällen von häuslicher Gewalt, Nachstellung/Stalking, bei Sexualstraftaten, Raubüberfällen oder teilweise auch nach gefährlichen Körperverletzungen.“ Je nach Sachverhalt nehmen die Beamten auch Kontakt nach Straftaten auf, die ältere Menschen betreffen. In manchen Fällen wenden sich Betroffene auch direkt an die Dienststelle, ohne vorher eine Anzeige erstattet zu haben. Liegt eine Straftat vor, wird zur Erstattung einer Anzeige geraten. Ansonsten bestehe ein Strafverfolgungszwang und die Beamten müssten auch eigenständig eine Anzeige vorlegen.

Präventionsarbeit ist individuell

Die Aufgabe des Opferschutzes bestehe zum einen in der Stabilisierung der Opfer: „Es gilt, das Selbstwertgefühl zu steigern und das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass er oder sie nichts falsch gemacht hat.“ Gleichzeitig sei es wichtig, zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind. Opfer erhalten Informationen und Erreichbarkeiten zu den Kooperationspartnern der Polizei. Dazu zählen der Weiße Ring und Beratungsstellen. Dies erfolge grundsätzlich nur auf Wunsch und mit Zustimmung des Opfers. Gleichzeitig habe die Kontaktaufnahme und Beratung durch Experten einen präventiven Charakter. „Es muss vorgebeugt werden, dass die Personen nicht Opfer einer schlimmeren Straftat wird (beispielsweise im Rahmen einer Gewaltspirale nach häuslicher Gewalt).“ Opfer von Straftaten sowie Zeugen oder Angehörige von Opfern können zudem durch die Abläufe eines Ermittlungsverfahrens erneut belastet werden. Der Schutz der Personen spiele deshalb bereits beim Erstkontakt eine wichtige Rolle. Die Schilderung des Tatgeschehens könne zu vergleichbaren Belastungen führen wie die Tat oder das Ereignis selbst.

Gute Netzwerkarbeit

Die Präventionsarbeit ist stark abhängig von der Straftat und erfolgt individuell je nach Tatbestand. „In Hagen gibt es eine ausgesprochen gute Netzwerkarbeit. Die Polizei Hagen ist in den unterschiedlichsten Arbeitskreisen vertreten und hat starke, erfahrene Kooperationspartner, mit denen ein enger, regelmäßiger Austausch erfolgt.“ Die Polizei Hagen ist u.a. am Runden Tisch gegen Häusliche Gewalt, im Kinderschutzforum und in Arbeitskreisen (Prävention, sexualisierte Gewalt, Droge) vertreten.

Ob sie ihn für die Zeit danach vor weiteren Straftaten abgeschreckt hat? „Nein.“ Statt abschreckend zu wirken, habe er eher noch mehr falsche Kontakte in der Haft geknüpft, „mit krimineller Energie.“ Er habe sich bessern wollen, es aber nicht dauerhaft geschafft, nachdem er auf Bewährung wieder draußen war, macht er aus seiner Schwäche keinen Hehl.

Viel steht auf dem Spiel

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Er wisse, dass das, was er mache, verboten sei – und was für ihn auf dem Spiel stehe. Weitere Jahre seines Lebens im Gefängnis, eingesperrt. Davor habe er zwar Angst, aber nicht genug. Das optimistische Gefühl, nicht geschnappt zu werden, überwiege. „Ich brauche das Geld“, sagt Julian außerdem dazu. Ob die Geldnot Straftaten rechtfertige? „Nein, das weiß ich selbst. Ich will auch irgendwann aufhören, ich bin kein schlechter Mensch“, beteuert er immer wieder.

Aber er kriege einfach auf jede Bewerbung eine Absage. Es klingt wie eine Rechtfertigung, und ein Versprechen, dass er sich selbst macht. Wenn er erst mal einen Job kriege, dann werde alles gut. Denn von irgendwas müsse er ja leben. Er ist wortgewandt, kann sich gut ausdrücken, sieht gepflegt aus.

Kontakt für Opfer

Grundsätzlich können und sollten sich Personen, die Opfer einer Straftat wurden oder fürchten, Opfer einer solchen zu werden, immer an die Polizei wenden, so die Polizei. Dort erfolgt eine Beratung (s. Zweittext) und die Strafverfolgung. Zusätzlich können Betroffene auch Kontakt zum Jugendamt, zur Kinderschutzambulanz, Diakonie, dem Weißen Ring oder Beratungsstellen aufnehmen.

Zuletzt musste er wieder vor Gericht. Angeklagt war eine Körperverletzung. Er bekam eine weitere Strafe auf Bewährung. Wenn er jetzt noch einmal straffällig wird, muss er in Haft, das ist sicher.

Die Stimme im Hinterkopf

Und trotzdem: Julian begeht weiter Straftaten. Verkauft Drogen. Und obwohl er wisse, dass es verwerflich ist und falsch, schwingt auch ein wenig Stolz in seiner Stimme mit. Das gebe ihm das Gefühl, dass er selbst etwas auf die Beine gestellt habe. Dass das, was er macht, illegal ist, spiele dabei keine Rolle, oder nur eine kleine, wenn die Stimme im Hinterkopf ihm manchmal sagt, einfach aufzuhören. Aber das Gefühl von Macht, das schnell verdiente Geld und der gewisse Adrenalinkick hingegen wiegen größer.

Kurz vor Ende des Gesprächs dreht sich der junge Mann noch einmal um: „Ich will wirklich alles ändern und mir jetzt bald einen Job oder eine Ausbildung suchen“, sagt er nochmal. Denn irgendwie hat er offenbar selbst das Gefühl, dass die meisten seinen Bekenntnissen kaum Glauben schenken.

* Der Name des Betroffenen wurde geändert.