Hagen. Esther Schulz aus Hagen hat Lymphdrüsenkrebs. Sie verzichtet auf Chemo und stirbt friedlich im Kreis der Familie.

Dies ist eine Geschichte, in der es um eine Frau geht, die gestorben ist. Es geht um den Tod, um ihren Tod, um die letzten Monate, Wochen, Tage mit einem geliebten Menschen, der an Lymphdrüsenkrebs leidet. Kann eine solche Geschichte Trost spenden, kann sie Mut machen, kann sie einfach nur das Gute transportieren? Sie kann, diese Geschichte kann. Es ist die außergewöhnliche Geschichte von Esther Schulz, die für sich beschlossen hat, dass sie die Art ihres eigenen Lebensendes selbst bestimmen und bis dahin eine intensive Zeit in der Familie verbringen möchte.

Mai 2018, Allgemeines Krankenhaus Hagen: Lymphdrüsenkrebs. Die Diagnose trifft Esther Schulz und ihre Familie mit voller Wucht. Es gibt eine Chance auf Heilung – sagen die Ärzte. Chemotherapie. „Meine Frau hat sich Bedenkzeit erbeten“, sagt Günther Schulz, Pastor der freikirchlichen Missionsgemeinde an der Voerder Straße in Haspe, „und dann hat sie beschlossen, dass sie genau das nicht möchte.“

Zweifel und Konflikte auch innerhalb der Familie

Esther Schulz hat auf eine Chemotherapie verzichtet. Über die Zeit bis zu ihrem Tod im Kreis der Familie ist jetzt ein Buch erschienen.
Esther Schulz hat auf eine Chemotherapie verzichtet. Über die Zeit bis zu ihrem Tod im Kreis der Familie ist jetzt ein Buch erschienen. © schulz | Schulz

Es ist ein Entschluss, der keinen Jubel auslöst. Denn in diesem Moment steht fest: Esther Schulz wird sterben. Bald, vielleicht sehr bald. Wann genau, das vermag niemand zu sagen. Aber viel Zeit bleibt ihr nicht. „Die Ärzte haben anfangs versucht, ihr das auszureden“, sagt Günther Schulz, „das soll nicht böse klingen, aber sie sind so ,programmiert’. Einer war sogar regelrecht wütend: ,Gehen sie nach Hause, sterben sie. Das wird eine richtig unschöne Geschichte’ – hat er gesagt.“ Andere, darunter ein Mediziner aus dem Uni-Klinikum in Essen, akzeptiert den Entschluss und begleitet die sterbenskranke Frau.

Buch beschreibt die letzten Monate

„Ich sehe den Himmel – wie die Diagnose Krebs den Blick auf das Leben und das Sterben klärte.“ – so heißt das Buch, das Benjamin und Günther Schulz nach dem Tod von Esther Schulz herausgegeben haben.

Darin beleuchten Vater und Sohn die letzten Monate von Esther Schulz, die sich nach einer Krebsdiagnose dazu entschlossen hatte, auf eine Chemotherapie zu verzichten.

Entstanden ist das Buch aus einem Gespräch über zwei Tage, dass die beiden mit Esther Schulz vier Wochen vor ihrem Tod geführt haben.

Das Buch ist erschienen im Werdewelt-Verlag.

Dabei gab es auch bei Günther Schulz, bei seinem Son Ben und beim Rest der Familie Zweifel, ob das der richtige, ob das ein guter Weg ist. „Ich würde von einer Phase der Irritation sprechen“, sagt Günther Schulz, „ja, die hat es gegeben. Und natürlich verläuft eine solch lange Phase, in der man weiß, dass ein Mensch, den man sehr liebt, stirbt, nicht völlig konfliktfrei.“

Tief verwurzelter Glaube an Gott gibt Kraft

Esther Schulz mit ihrem Mann Günther: Die letzten gemeinsamen Monate hat das Paar sehr intensiv erlebt.
Esther Schulz mit ihrem Mann Günther: Die letzten gemeinsamen Monate hat das Paar sehr intensiv erlebt. © Benjamin Schulz

Aber nach und nach versteht die Familie, was Esther Schulz bewegt. „Zum einen hatte meine Frau nach einer schweren Darmerkrankung lange mit Depressionen zu kämpfen“, sagt Günther Schulz, „zum anderen hat sie Erfahrung mit Krebs in der eigenen Familie. Sie hat mitbekommen, wie belastend eine Chemotherapie sein kann. Da ist jemand gestorben, von dem man nicht wusste, ob er den Folgen der Therapie oder denen der Krankheit erlag. Das hatte sie wohl vor Augen.“

Dazu kommt ein tief verwurzelter Glaube. „Das“, so sagt Günther Schulz, „hat mit Sicherheit eine große Rolle gespielt. Wir glauben fest, dass das Leben über den Tod hinaus geht. Wir sind überzeugt, dass Gott eine Tür für den Weg in die Ewigkeit aufmacht. Meine Frau hat oft bei uns im Wohnzimmer gesessen, hinaus geblickt durch ein riesiges Fenster, den Himmel gesehen und gesagt: Das ist mein Ziel. Da gehe ich hin.“

Termin beim Bestatter selbst organisiert

Davor liegt dieser Wunsch, bei denen zu sein, die sie liebt und von denen sie geliebt wird. „Meine Mutter hat nie resigniert“, sagt Ben Schulz, „sie wollte in der Familie sein, nicht in irgendeiner Klinik. Und in ihrer Familie wollte sie diese Krankheit leben. Sie war sehr dynamisch. Sie hat die Dinge auch während der letzten Monate immer selbst angepackt.“ Das geht so weit, dass Esther Schulz einen Termin mit einem Bestatter organisiert und ihre eigene Beisetzung nebst Trauerfeier organisiert.

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Auch dabei wird sie medizinisch begleitet. „Sie hatte den Wunsch, ohne Schmerzen zu sein“, sagt Günther Schulz, „und dieser Wunsch hat sich erfüllt – was vor allem einem ganz hervorragenden Palliativteam zu verdanken ist.“

Viel Zeit für den Abschied

Die Art des Todes, der bewusste Entschluss: „Er hat uns viel Zeit eingeräumt, uns voneinander zu verabschieden. Wir haben unseren Frieden gefunden, ihn erlebt“, sagt Günther Schulz und erzählt von einem wundersamen Ritual an jedem Abend: „Immer, wenn wir uns gute Nacht gesagt haben, haben wir gesagt: Wir schauen mal, ob wir uns morgen hier wieder sehen oder im Himmel. Gott weiß es.“

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Als Esther Schulz am 8. Juli 2019 stirbt, versammelt sich die ganze Familie. Ihr Mann, ihr Sohn, die sechs Enkel. Sie sieht die Familie, sie sieht den Himmel. Es ist ein Tod, wie Esther Schulz ihn sich gewünscht hat. Ein Tod, der Hoffnung macht, weil sie zuvor wertvolle 14 Monate so verbringen konnte, wie sie selbst sich das gewünscht hatte.