Hagen. Der Lappen muss hochgehen. Diese Weisheit gilt nicht mehr. Der Hagener Intendant Francis Hüsers verrät, was im Theater Hagen jetzt passiert
Theaterküsse werden in Hagen derzeit mit zwei Metern Abstand geprobt, und Intendant Francis Hüsers (59) buchstabiert öfter Sagrotan als Verdi. Was wie ein phantastisches Stück von E.T.A. Hoffmann klingt (Seltsame Leiden eines Theater-Direktors), wird jetzt Realität. Der Lappen muss um jeden Preis hochgehen, so lautet das Credo aller Künstler. Nun bleibt der Vorhang coronabedingt unten. Was passiert in einem Geistertheater ohne Publikum?
„Ich musste mit dem Hagener Oberbürgermeister Erik O. Schulz entscheiden, ob die Tänzer zur Probe
kommen dürfen“, schildert Hüsers die Situation. „Wenn man an einem Theater arbeitet, ist es widersinnig zu sagen: Kommt zur Arbeit, aber passt auf, dass Ihr Euch nicht zu nahe kommt.“
Gleichwohl gehen viele Mitarbeiter derzeit nicht spazieren, sondern Hüsers versucht, den Betrieb aufrecht zu erhalten. „Was können wir zum Beispiel mit ,Salome’ vernünftig proben? Die technische Einrichtung? Das Licht?“ Abgesagte Vorstellungen bedeuten, dass die Abteilungen für kommende Produktionen eine freie Bühne haben.
Theoretisch.
Praktisch ist eine Steigleitung für die Sprinkleranlage und die Löschwasseranlage auf jeder Etage gebrochen, das halbe Haus musste leergepumpt werden, die geplante Generalprobe für die Punk-Party „Wenn die Nacht am tiefsten“ fiel ins Wasser. Wenn es läuft, dann läuft es.
Beispiellose Situation in Hagen
Francis Hüsers sitzt in seinem Büro und würde sich die Haare raufen, wenn noch welche da wären. In seiner über 100-jährigen Geschichte hat das Theater Hagen eine solche Situation in Friedenszeiten nicht erlebt. Weil der Vorstellungsbetrieb stillgelegt ist, fallen die Einnahmen zu 100 Prozent weg. Die Kosten laufen weiter. Wie lange das gut geht, ist ein Rechenexempel.
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„Es war völlig richtig, das Haus zu schließen“, betont Hüsers. „Aber meine größte Sorge ist, dass die Seuchengefahr bis zum 18. April nicht vorbei ist, dass die Schließung länger dauert.“ Nach Weihnachten ist die Passionszeit die einnahmestärkste Zeit des Jahres, „Die fünf Wochen fehlen einfach. Wir können nicht die Einnahmen erzielen, die wir erzielen wollen. Das ist besonders bitter, weil wir laut den neuesten Zahlen gerade nach dem Einbruch im vergangenen Jahr wieder anziehen.“
Auswirkungen bis in die nächste Spielzeit
Nicht nur die Vorstellungen in Hagen sind abgesagt, auch die Gastspiele in Remscheid und in Solingen. Die Kinderoper, die mit Hagener Schülern in den Osterferien geprobt werden sollte, muss verschoben werden. „Das hat Auswirkungen bis in die nächste Spielzeit hinein, wir machen gerade den dritten Spielplan, und das wird nicht der letzte sein.“
Flexibel ist man am Theater schon von Berufs wegen, aber für die aktuelle Situation gibt es keinen Präzedenzfall. „Wir versuchen, so viele Produktionen wie möglich nachzuholen, so dass wir die Abos erfüllen können. Es wird möglicherweise Änderungen bei den Daten oder bei den Stücken geben. Ab Mitte der Woche hoffe ich, einen Spielplan für die Zeit ab dem 19. April präsentieren zu können.“
Das Theater Hagen will und muss während der Zwangsschließung beim Publikum präsent bleiben. Viele Bühnen bieten deshalb digitale Vorstellungen an. Das funktioniert in Hagen nicht. Hüsers: „Wir können nicht Streamen wie die anderen. Das ist technisch im Haus nicht möglich. Wie beziehen unsere EDV-Leistungen vom Hagener Betrieb für Informationstechnologie (Habit). Wenn mir eine Sängerin einen Link schickt, kann ich den in der Regel nicht öffnen, weil entweder die Datenmenge zu groß ist oder der Link vom Server blockiert wird.“
Kein Streaming
Dass das Theater Hagen aufgrund solcher Beschränkungen den digitalen Wandel verpasst, war immer wieder ein Thema. Nun gewinnt die Debatte an Fahrt. „Gerade die nächsten Wochen werden die Diskussion um das Streamen noch verschärfen.“ Hüsers hofft, dass sein Haus stattdessen mit kreativen Ideen in den sozialen Medien das Publikum an sich binden kann.
Wie jeder Theaterleiter derzeit ist Francis Hüsers in stetigem Kontakt mit der Arbeitgeberorganisation, dem Deutschen Bühnenverein. Der prüft unter anderem, ob die Kurzarbeitsregelung, welche die Bundesregierung angesprochen hat, auch für Theater gilt. „Das scheint aber eher schwierig zu sein. Wir brauchen einen Notfallfonds für Freischaffende und Institutionen im Kulturbereich. Der Bühnenverein ist bereits im Gespräch mit den Rechtsträgern.“
Aber das Theater Hagen hat erst recht in Krisenzeiten ein wunderbares Publikum. Hüsers: „Eine Abonnentin hat bereits eine Spende für die freiberuflichen Gastsänger gemacht, die jetzt ohne Gage da stehen. Das hat uns alle sehr gerührt.“
Was Abonnenten und Theaterbesucher jetzt wissen müssen:
Das Theater Hagen hofft, in den nächsten Tagen einen neuen Spielplan präsentieren zu können und damit alle Abos zu erfüllen. Abos und im Freiverkauf erworbene Karten bleiben weiter gültig und können gegen Gutscheine getauscht werden. Wer möchte, kann sich auch sein Geld zurückerstatten lassen. Alle aktuellen Infos gibt es auf www.theaterhagen.de