Wehringhausen. Kaum ein Aspekt des Baus der Bahnhofshinterfahrung ist so im Gedächtnis geblieben wie der Streit um das rosafarbene Haus.
Es war ein eher kurioser Tross, der sich vor fünf Jahren an einem Montagmorgen im März in der Morgendämmerung auf den Weg in Richtung Weidestraße machte: Polizeifahrzeuge mit Hundeführern, dahinter ein Möbelspediteur, Vertreter der städtischen Gebäudewirtschaft, Mitarbeiter des heimischen Energieversorgers, der Rechtsamtsleiter aus dem Rathaus sowie ein Obergerichtsvollzieher rollten am Ufer der Ennepe vor, um das legendäre rosafarbene Haus in Besitz zu nehmen.
Zwar war die Stadt zu diesem Zeitpunkt schon fast seit zwei Jahren Eigentümerin der baufälligen Immobilie. Doch in einem zermürbenden Gerichtspoker durch diverse Instanzen weigerten sich die Bewohner, das Gebäude zu räumen. Ein juristischer Spuk, der in den Boulevard-Medien und auf den Fernsehbildschirmen der Hagener Bahnhofshinterfahrung für bundesweite Schlagzeilen sorgte. Denn letztlich blockierte der marode Bau den pünktlichen Fortgang der Straßenbauarbeiten bei dem Millionen-Projekt.
Bauabschnitt im Bummelmodus
Hätte es im Anschluss an den verspäteten Abriss des rosafarbenen Hauses nicht noch weitere erhebliche Verzögerungen beim Bau der Ennepe-Querung gegeben, wäre die Bahnhofshinterfahrung sogar deutlich früher eröffnet worden.
Ursprünglich sollte die 59 Meter lange, schiefwinkelige Brücke bereits im August 2018 stehen. Doch das Unternehmen, das sich den Zuschlag für das Teilstück schon im Frühjahr 2017 gesichert hatte, ließ bei der Umsetzung über geraume Zeit die erforderliche Dynamik vermissen und kassierte eine Vertragsstrafe in Höhe von 150.000 Euro.
Die Firma habe im Rahmen des Baubooms sehr schnell gemerkt, dass sich andernorts mehr Geld verdienen lasse, versuchte man sich beim Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH)den fehlenden Elan zu erklären. Zunächst überwarf sich das Unternehmen mit den ausgeguckten Ingenieuren, dann wurde mit einem neuen Planer einverändertes Gründungskonzept entwickelt.
Als im Herbst 2018 dann endlich 27 Bohrpfähle für die Widerlager des Brückenbauwerks acht Meter tief im Felsuntergrund versenkt waren, gab es zwar die Hoffnung, dass das Bauwerk bis Sommer 2019 stehen könnte, doch im Winter tat sich zwischen erstem und zweitem Bauabschnitt erneut sehr wenig.
Erst nach intensiven Gesprächen mit der Baufirma kam in der zweiten Jahreshälfte 2019 die notwendige Dynamik in die Baustelle – bis zum Nikolaustag sollte die klaffende Lücke in der Bahnhofshinterfahrung geschlossen werden. Doch auch dieses Ziel wurde verfehlt, so dass die Eröffnungsfeier letztlich in den März verschoben werden musste.
Geräuschlose Schlüsselübergabe
Nach monatelangem Gezerre um Räumungsklagen und Abfindungszahlungen verlief die eigentliche Übergabe der Immobilie letztlich unspektakulär: Zwar hatte die Feuerwehr sicherheitshalber geprüft, ob ein manipulierter Gasaustritt vorliegen könnte und die Abordnung an Offiziellen womöglich eine explosive Überraschung erwartet. Doch bereits wenige Minuten später tauchte das Oberhaupt der Pächterfamilie auf, übergab artig die Schlüssel, so dass die ebenfalls angerückte Fachfirma unverrichteter Dinge wieder abrücken konnte. Gemeinsam mit dem Gerichtsvollzieher und begleitet von zwei Polizeibeamten übergab der Mieter bei einem letzten Rundgang die Wohnräume, den angrenzenden Supermarkt, den Hochzeitssaal, angebaute Lagerschuppen sowie ein petrolfarbenes Nebengebäude, in dem die Stadt einst Asylanten einquartierte.
Ursprünglicher Besitzer des rosafarbenen Hauses war ein Dresdener Hochschul-Professor, der die Immobilie bereits 1994 an die dort lebende Familie vermietet hatte. Aufgrund ausbleibender Mietzahlungen kündigte der Besitzer das Mietverhältnis bereits 2012, bevor dann ein Jahr später im Rahmen eines Enteignungsverfahrens die Stadt Hagen Eigentümerin des Objektes wurde. Prompt wurde eine Räumungsklage auf den Weg gebracht, um den Weg für die Bahnhofshinterfahrung freizumachen. Schließlich stand das Haus genau an jener Stelle, an der eine Brücke über die Ennepe die Verbindung zwischen den ersten beiden Bauabschnitten schaffen sollte.
Klage-Marathon durch die Instanzen
Ein wild-bizarrer Ritt durch die Instanzen der Judikative, bei dem auch die Bezirksregierung eine unrühmliche Rolle spielte, weil sie es versäumt hatte, die Enteignungsverfügung allen Mietern zuzustellen, aber auch Vergleichsangebote in Höhe von 40.000 Euro in den Wind geschlagen wurden, kostete die Stadt vor allem Nerven. Außerdem wartete auch die Stadt Hagen, die parallel über das Jobcenter den Lebensunterhalt der Familie weitgehend finanzierte, ebenfalls vergeblich auf Mietzahlungen – hier addierte sich am Ende ein sechsstelliger Betrag.
Am Ende musste die Stadt sogar eine Sicherheitsleistung von 50.000 Euro beim Gericht hinterlegen, damit die Zwangsvollstreckung überhaupt durchgezogen werden konnte – schließlich stand der Familie zu dem Zeitpunkt noch der erneute Berufungsweg zum Oberlandesgericht offen.
Die Bauarbeiten waren während des Gezerres um die Immobilie längst fortgesetzt worden. Nur die wegen des verzögerten Rosa-Haus-Abrisses ausgesparte Brückenverbindung zwischen den ersten beiden Bauabschnitten entwickelte sich zu einer weiteren Hängepartie. Dieses neuerliche Termingeschachere (siehe Info-Box) sorgte letztlich dafür, dass die ursprünglich für den Nikolaustag geplante Eröffnungsfeier noch einmal verschoben werden musste. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte . . .