Eilpe. Als die Berliner Mauer fiel, waren sie noch nicht auf der Welt. Der Wissensdurst ist groß bei den angehenden Abiturienten der Gesamtschule Eilpe.

Man kann sich gut vorstellen, welcher Schrecken Ida Siekmann in die Glieder gefahren sein muss, als sie eines Morgens im August 1961 die Gardine vor ihrem Schlafzimmer zurückzog und sich plötzlich einer Mauer gegenüber sah. Auch der Geschichtskurs der Jahrgangsstufe 13 an der Gesamtschule Eilpe hat versucht, sich in die Gefühlswelt der Berlinerin aus der Bernauer Straße hineinzuversetzen. „Obwohl das nicht so einfach ist; die Menschen damals, vor allem die in der DDR, haben ja ganz anders gelebt als wir“, sagt Diana Omar (19).

Die Berliner Mauer, der Todesstreifen, die DDR, das zweigeteilte Deutschland – die jungen Leute, die kurz vor dem Abitur stehen, waren noch gar nicht auf der Welt, als mit dem Fall der Mauer 1989 eine Zeitenwende begann. „Über das, was damals geschah, wussten wir verdammt wenig, obwohl es doch zur Geschichte unseres Landes gehört“, sagen Tristan Gierschmann (17) und Marlene Oefler (19).

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Insofern führte die Beschäftigung mit diesen Schlüsselmomenten deutscher Geschichte auch zu der Erkenntnis, dass ein Teil der heutigen Bundesrepublik nicht immer frei und demokratisch, sondern von Unrecht und Unterdrückung geprägt war. „Das Wort Demokratie trug die DDR nur in ihrem Namen“, hat Alexander Metsker (18) gelernt: „Sie war ganz und gar kein demokratischer Staat.“

Außergewöhnliches Unterrichtsmodell

Geschichtslehrerin Silvia Bergmann hatte die Klasse vor die Wahl gestellt, die deutsche Teilung und die Wiedervereinigung entweder in klassischen Unterrichtseinheiten kennenzulernen oder aber im Rahmen eines Projektes. Die Jugendlichen entschieden sich für ein außergewöhnliches Modell. Nachdem sie sich selbst über Ursachen und Verlauf von Mauerbau und Mauerfall informiert hatten, entwickelten sie altersgerechtes Unterrichtsmaterial, um ihr Wissen weiterzugeben. Altersgerecht meint in diesem Fall: geeignet für Fünftklässler. Denn Grundgedanke dieses bemerkenswerten schulischen Konzeptes war es, die Kinder aus der 5 ebenfalls mit diesem wichtigen Thema vertraut zu machen.

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An dieser Stelle kommt Ida Siekmann, deren Wohnung von einem Tag auf den anderen neben einer unüberwindbaren Mauer lag, wieder ins Spiel. Wie wird sich die Frau aus der Bernauer Straße damals gefühlt haben? Die Oberstufenschüler teilten den Klassenraum in voneinander abgeschiedene Hälften und konfrontierten die Fünftklässler mit der Situation, plötzlich nicht mehr mit ihren Klassenkameraden von der anderen Seite kommunizieren zu können. „Es wäre ganz schlimm, wenn meine Familie auf der anderen Seite leben würde“, hinterließ dieses Experiment nicht nur bei Pheline Tarja Teves (10) nachhaltigen Eindruck.

Jeder weiß, wo er an jenem Tag war

Zudem konzipierten die „großen“ Schüler eine Homepage mit Zeitzeugeninterviews, Erklärvideos und Originalfilm- und -bildaufnahmen. So befragten sie die an ihrer Schule tätigen Lehrerinnen Marina Opitz und Diana Claussen, die lange in der DDR gelebt haben, nach ihren Erfahrungen. Oder ließen Zeitzeugen zu Wort kommen, die berichteten, wo sie an jenem legendären 9. November 1989, an dem die Mauer fiel, waren. „Denn das ist eines jener zentralen Ereignisse, an die sich jeder erinnern kann“, sagt Lehrerin Bergmann.

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Durch die intensive Beschäftigung mit der deutschen Teilung und insbesondere den erdrückenden Lebensbedingungen in der DDR fanden die Jugendlichen heraus, dass erst vor 30 Jahren ein Staat sein Ende fand, der das genaue Gegenteil des freien Lebens, wie sie es kennen, repräsentierte: „Wir wissen jetzt zu schätzen, wie gut wir es haben“, sagt Melissa Steinke (19).

Und dass die Menschen zur damaligen Zeit eben noch ganz andere Probleme hatten als solche, für die man derzeit auf die Straße gehe, fügt Lehrerin Bergmann hinzu: „Womit ich das heutige Engagement keineswegs schmälern will.“

Eine Wendewundergeschichte im Kino

Im Rahmen des Projektes besuchten die Fünftklässler der Gesamtschule Eilpe den Film „Fritzi, eine Wendewundergeschichte“ im Kino Babylon des Kulturzentrums Pelmke.

Das Kulturzentrum würde den Film für jede Schule in Hagen, die daran Interesse zeigt, erneut ausleihen.

Ida Siekmann wurde die Mauer schließlich zum Verhängnis. Nachdem die DDR-Grenzer ihre Haustür zugemauert hatten, sprang sie auf der Flucht in den Westteil Berlins aus dem Fenster im dritten Stock und zog sich tödliche Verletzungen zu.