Hagen. Wie erzählt man im Jugendtheater von Tod und Verlust? Das Theater Hagen zeigt jetzt das Stück „Die Meerjungfrau in der Badewanne“.

Überlebensgroß hängen die Kleider der Mutter von der Decke der Bühne. Geheimnisvoll schillert der Stoff, faszinierend winden sich die langen Schleppen wie Fischschwänze über den Boden. Philipps Mutter ist zwar abwesend, doch ihr Lied ist in jeder Minute präsent. Der Junge hingegen muss sein Lied erst noch finden. Wie geht man im Jugendtheater mit den Themen Tod und Verlust um? Anja Schöne und ihr Team beantworten am Theater Hagen diese Frage in dem Stück „Die Meerjungfrau in der Badewanne“ mit viel Poesie und Humor. So entsteht ein wunderbares, trauriges und gleichzeitig urkomisches Märchen, das auch Erwachsene trösten und versöhnen kann.

Regisseurin Anja Schöne macht in Hagen Kinder- und Jugendtheater auf hohem Niveau mit einer eigenständigen ästhetischen Handschrift. Bewusst verzichtet die junge Regisseurin darauf, sich der digitalen Bilderflut anzubiedern, stattdessen liebt sie reduzierte Räume und die Arbeit mit wenigen, aber sprachmächtigen Objekten. So liegt über ihren Stücken häufig ein Zauber, eine besondere Magie. Und Anja Schöne holt herausragende junge Schauspieler nach Hagen.

Ein Junge mit vielen Geheimnissen in Hagen

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Stefan Merten gehört dazu. Er ist Philipp, der Junge mit den vielen Geheimnissen, dessen Mutter kurz nach seiner Geburt ihren Meerjungfrauen-Schwanz aus dem Schrank nahm und in der See verschwand. Das Publikum verfolgt mucksmäuschenstill, wie sich Philipp das Unbegreifliche begreifbar zu machen versucht, nämlich, dass er keine Mama mehr hat, wie er Rituale ersinnt, mit geradezu wissenschaftlicher Neugierde den Garten umgräbt, um zu überprüfen, ob die Mutter dort begraben liegt, wie er Freunde findet oder erfindet, und Alltagsobjekte zum Klingen bringt.

Der Kölner Schauspieler ist ein virtuoser Sprachkünstler, der sehr gut singt. Er kann mit seiner Stimme das Publikum in andere Welten versetzen, mehr noch, er verleiht jeder Figur im Stück eine eigene Stimme, der kecken und dreisten Klassenkameradin Doro, der schwarzen Witwe und der Mutter von Baby Martha. Gleichzeitig legt Stefan Merten die Rolle teilweise pantomimisch mit vollem Körpereinsatz an. Und er spielt mit der Sprache, denn Philipp liebt liebt Quatschwörter, denkt sich Wortspiele aus und hat von seinem Vater gelernt, den Dingen stets auf den Grund zu gehen. So weiß er, dass es die Seeräuber in den Dünen sind, die dafür sorgen, dass es die Ebbe gibt, weil sie natürlich die See rauben.

Müll und Verstecke

Bühnenbildnerin Sabine Kreiter erschafft mit wenigen Mitteln eine verwunschene Strandatmosphäre, in der sich die lebhafte Phantasie eines Siebenjährigen spiegelt. Hölzerne Buhnen, angespülter Müll sowie eine versteckte Schublade mit den allerwichtigsten Dingen wie dem Foto der Mutter, dazu das phantastische Fahrrad, erschaffen ganz unaufgeregt eine magische Realität. Dazu kommt aber noch eine weitere Ebene, die der Sehnsucht und des Trostes. Denn das Lied der Meerjungfrau durchwebt die Aufführung, weil es live von der Harfe kommt. Die Harfenistinnen Simone Seiler und Ute Blaumer vom Philharmonischen Orchester Hagen begleiten alternierend die Aufführung. In dieser Kombination von Sprachkunst und Harfenspiel wird aus einer guten Inszenierung eine außergewöhnlich gute.

Die Hagener Caritas begleitet „Die Meerjungfrau in der Badewanne“ fachlich; Mitarbeiterinnen stehen bereit, falls Kinder die Vorstellung besuchten, die gerade den Verlust eines Elternteils bewältigen müssen. „Es ist wichtig, dass wir das Thema anpacken, dass wir auch einmal etwas Stilleres machen“, sagt Anja Schöne. Die Produktion ist bis in die Details liebevoll gestaltet. Doro zum Beispiel wird durch einen Regenschirm verkörpert und ihre blöde allerbeste Freundin durch eine Zitruspresse. Die schwarze Witwe lebt in einem Schmortopf. Um seinen Arm trägt Philipp ein merkwürdiges Band, das fast wie ein Verband aussieht. Wenn man es aufknöpft, entrollt sich der Brief der Mutter, denn die schwarze Witwe hat Philipp auf die Idee gebracht, der Meerjungfrau eine Flaschenpost zu schicken, und die antwortet sogar.

Eine Entwicklungsgeschichte

Weil hier so viele Faktoren so eindrucksvoll zusammenkommen, wird die „Meerjungfrau in der Badewanne“ auch zu einer Entwicklungsgeschichte. Denn eines Tages schafft Philipp es, sein geheimstes Geheimnis jemandem anzuvertrauen.

„Die Meerjungfrau in der Badewanne“ ist ein Theaterstück für Zuschauer ab sieben Jahren nach dem Kinderbuch von Koos Meinderts. Am Theater Hagen ist es im Programm „Jeder Schüler ins Theater“. Der Theaterförderverein finanziert Schulklassen aus der Region die Eintrittskarten. Außerdem bieten die Hagener Philharmoniker interessierten Schulklassen begleitend das Programm Instrumentenkoffer zur Harfe an. Infos: anne.schroeder@stadt-hagen.de

www.theaterhagen.de