Hagen. Das Theater Hagen zeigt Shakespeares Sommernachtstraum als Männerphantasie. Der Liebe wird dabei zutiefst misstraut.

Schaubühnen lieben und fürchten den „Sommernachtstraum“ gleichermaßen. Denn in dieser Komödie vergeht Akteuren und Publikum das Lachen schnell. Shakespeares Gratwanderung zwischen Verletzung und Manipulation ist allerdings schwer darzustellen. Das Theater Hagen erzählt die vierfache Liebesgeschichte jetzt als Männerphantasie nach dem Motto „When a Man Loves a Woman“. Das Haus ist bei der Premiere randvoll mit jungen Besuchern, denn die Produktion gehört zum Programm „Jeder Schüler ins Theater“. Es gibt reichlich Beifall.

Shakespeare zeichnet kein schönes Bild von der Liebe. Helena (Lucia Schulz) zerrt an Demetrius (Yasin Boynuince), der sie nicht will. Demetrius stellt Hermia (Kristina Nadj) nach, die ihn nicht will. Hermia und Lysander (Martin Wißner) haben sich in einer Beziehung von erstickender Langeweile eingerichtet. Die Zauberblumentropfen des Kobolds Puck (Kristina Günther) rütteln die Konstellationen durcheinander. Das Mauerblümchen Helena wird nun von allen Männern umschwärmt. Hermia muss Zurückweisung ertragen und sich als Paternoster-Kralle beschimpfen lassen.

Eine Verbeugung vor Peter Brook in Hagen

Der große Theatermann Peter Brook war der erste, der hinter den scheinbar lustigen Irrungen und Wirrungen Abgründe von Verrat und Gewalt entdeckte. Intendant Francis Hüsers verbeugt sich als Regisseur in Hagen mit seiner Interpretation vor Brooks Jahrhundertinszenierung, auch in seinem Raumkonzept. Swen Erik Scheuerling hat dafür eine demokratische leere Bühne geschaffen, die das Parkett mit einbezieht und sich in Stufen über den abgedeckelten Orchestergraben zu einem runden Podest erhebt, dessen Mittelpunkt ein unsichtbares Bett bildet. Das Ganze wird an die Hinterwand gespiegelt.

Auch in der Personenführung werden Stilmittel der 1970er Jahre eingesetzt, zum Beispiel, wenn die Darsteller durch knallende Parketttüren auftreten, womit eine Einheit von bespieltem Raum und Zuschauerraum suggeriert werden soll. Kostümbildnerin Karina Liutaia stellt die beiden jungen Paare inklusive Hippolyta (Julia Goldberg) wie Comicfiguren heraus, während die Handwerker und die Fürsten/Elfenkönige sich in überhöhter Alltagskleidung bewegen.

Kein Dummbolz mit dicker Hose

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Hüsers legt die Handlung axialsymmetrisch um Theseus/Oberon und Zettel an. Als Theseus trägt Ralf Grobel ein Jackett, als Oberon eine Daunen-Steppweste, und in beiden Fällen ist er ein omnisexueller intriganter Machtneurotiker, so wie man sie im Zeitalter der Me-Too-Debatten derzeit scharenweise aus den Direktionstagen der Kulturbetriebe jagt. Theseus’ Hochzeit mit der Amazonenkönigin ist eine feindliche Übernahme, und Oberon will Titanias Widerspruch durch Demütigung brechen. Der Wuppertaler Schauspieler kann diese gelangweilte Aggressivität mit furchterregender Beiläufigkeit darstellen. Leider muss er auch oft brüllen, dann bricht die Spannung.

Kristina Nadj (Hermia), Lucia Schulz (Helena) und Martin Wißner (Lysander).
Kristina Nadj (Hermia), Lucia Schulz (Helena) und Martin Wißner (Lysander). © Theater Hagen | Klaus Lefebvre

Sein Gegenpart in diesem Ranking der Männerbilder ist Zettel, der Laiendarsteller in der schauspielernden Handwerkertruppe, der sich mit erschütternder Unschuld aber auch wirklich jede Rolle zutraut, und der am Ende als einziger wenigstens Sex hat. Viele Schauspieler legen den Zettel als Dummbolzen mit dicker Hose an. Christian Bergmann von der Bremer Shakespeare-Compagnie macht genau das Gegenteil. Er spielt ihn mit so verwunderter Hingabe, dass mitten in all den Machtkämpfen im Name der Liebe ein Hauch von Gefühl aufschimmert. Sein Monolog ist das vorsichtige Begreifen, dass die Liebe tatsächlich Esel aus Männern zu machen vermag, dass sie aber meistens ein Traum bleibt, Zettels Traum.

Die Sprache wird zum Problem

Grobel und Bergmann sind auch die einzigen Akteure, welche die sprachlichen Möglichkeiten haben, Shakespeares Text zu leben und auszuloten. Denn wenn ein Musiktheater sich mit einem Zuruf-Ensemble an Weltliteratur wagt, bleibt die Sprache das große Problem, so auch hier. Solange sich die Darsteller im Proszenium bewegen, versteht man sie gut, treten sie nach hinten, wird es schwierig bis kritisch. Das ist aber nur die akustische Seite, denn es ist ja nicht einfach, Shakespeares enorme Textmengen mit Bedeutung zu füllen. Dadurch erhält der zweidreiviertelstündige Abend durchaus Längen.

Aber dann gibt es Momente zarter Poesie, etwa, wenn sich Helena und Hermia vor dem Mikrophon an ihre Kinderfreundschaft erinnern, oder wenn Helena Frank Sinatras „I’m a Fool to Want You“ singt. Am Flügel sitzt Dan K. Kurland, der die Musik zum Stück ausgesucht hat, was der Produktion gut tut.

Shakespeare spiegelt die Welt mit dem Theater. In Francis Hüsers’ „Sommernachtstraum“ spielt das Personal im Namen der Liebe sich selbst und anderen etwas vor. Am Schluss wird daher das reduzierte Raumkonzept gebrochen: durch die Vorhangflut des Illusionstheaters.

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